Stefan LochnerPrächtiger Bildband über Kölns ersten Künstler von Weltrang
Köln – „Ein wunderschönes großes Puzzle“ nennt Stephanie Hauschild das Werk von Stefan Lochner, was die Experten demütig nicken, interessierte Laien aber vielleicht stutzen lässt. Schließlich war Lochner über Jahrhunderte hinweg nicht nur der einzige Kölner Maler von Weltrang (erst Gerhard Richter und Sigmar Polke schlossen zu ihm auf), er gehört vor allem zu den am emsigsten erforschten. Allerdings ist der mittelalterliche Maler eben auch ein Paradebeispiel dafür, dass man mitunter immer weniger weiß, je mehr man sich in etwas vertieft.
Genau genommen wüssten wir heute überhaupt nichts von Stefan Lochner, hätte der noch etwas berühmtere Albrecht Dürer auf seinen Reisen nicht dermaßen pingelig Buch über seine Ausgaben geführt. Im Oktober 1520 notierte Dürer, er habe jemandem zwei Weißpfennige gegeben, um die „Taffel auff zusperren, die maister Steffan zu Cöln“ gemacht habe. Im Jahr 1823 schloss dann ein findiger Historiker daraus, Dürer müsse sich damals in Köln den „Altar der Stadtpatrone“ (1440/44) angesehen haben, und zog daraus wiederum den Schluss, der Altar stamme von Stefan Lochner, einem Maler, der in Kölner Urkunden zu eben jener Zeit auftaucht, in der die „Stadtpatrone“ und stilistisch verwandte Bilder entstanden – etwa das „Weltgericht“ oder die „Madonna im Rosenhag“, ein religiöses Trostbild, das mittlerweile zur kölschen Mona Lisa säkularisiert wurde.
Stephanie Hauschild nennt Lochner den ersten deutschen Meister
Es gibt Kunsthistoriker, die finden diese Indizienkette allzu löchrig, um sichere Aussagen zu treffen. Aber die Mehrheit der Zunft sieht die dürftige Quellenlage pragmatisch, schließlich bringt sie uns wenigstens auf die Spur des Mannes, der einige der schönsten Gemälde des deutschen Mittelalters schuf. Stephanie Hauschild nennt ihn im Untertitel ihres jetzt im Kölner Greven Verlag erschienenen Lochner-Bandes sogar den „ersten deutschen Meister“.
Tatsächlich muss Lochner schon zu Lebzeiten eine berühmte oder wenigstens stadtbekannte Figur gewesen sein; als einziger Maler seiner Zeit wird er in Kölner Urkunden namentlich erwähnt. Ab 1442 ist er in seiner Wahlheimat schriftlich nachweisbar, etwa als Hauskäufer und Mitglied des Stadtrats, 1451 verliert sich seine Spur während der verheerenden Pestepidemie. Geboren wurde Lochner vermutlich 1410 in Hagenau am Bodensee; wo er seine erstaunlichen Fähigkeiten erwarb, gehört dagegen zu den fehlenden Puzzlestücken. Immerhin darf man mit Hauschild annehmen, dass er ein Kind der niederländischen Revolution in der Malerei war und den atemberaubenden Realismus des Genter Altars mit eigenen Augen gesehen hatte.
Im Wesentlichen bewegt sich die Autorin damit auf jenen Wegen, denen die Forschung seit der großen Lochner-Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum aus dem Jahr 1993 folgt. Neu ist an ihrem prachtvoll illustrierten Band dagegen die Konsequenz, mit der sie Lochners Werke auf deren ursprüngliche Verwendung hin befragt. Mit gutem Recht verweist Hauschild darauf, dass keines von Lochners Gemälden heute an jenem Ort zu sehen ist, für die sie geschaffen wurden, und dass die allerwenigsten ihren damaligen Zweck erfüllen. Ersteres lässt sich leicht damit erklären, dass die gesuchten Kirchen und privaten Häuser beinahe durchweg nicht mehr existieren, letzteres ergibt sich daraus, dass fast alle Lochner-Werke heute Museen gehören und Museen nun mal keine Kirchen sind. Mit dem im Kölner Dom gezeigten „Altar der Stadtpatrone“ gibt es zwar eine prominente Ausnahme. Aber Hauschild zeigt deutlich, wie wenig das „Dombild“ dort zu Hause ist.
Die Frage nach der ursprünglichen Verwendung der Bilder führt schon deswegen auf die richtige Spur, weil Maler zu Lochners Zeiten keine freien Künstler waren, sondern Aufträge ausführten; die Motive und Interessen der Auftraggeber verraten daher auch stets etwas über die Gemälde selbst. Der Wallraf-Kurator Roland Krischel hat dies am Beispiel der „Madonna im Rosenhag“ einmal durchgespielt und die scheinbar so liebliche Muttergottes wegen ihres hoch komplexen religiösen Bildprogramms einem wohlhabenden Gelehrten zugeschlagen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Auch bei den mutmaßlichen Auftraggebern bleibt allerdings vieles Spekulation, müssen Indizien sichere Erkenntnisse ersetzen; selbst die Stifter des „Altars der Stadtpatrone“ geben den Forschern weiterhin Rätsel auf. Hauschild nimmt die Leser dabei mit auf die Reise durch den mittelalterlichen Alltag, skizziert die Arbeitsabläufe in Lochners Atelier und durchleuchtet die Gemälden nach Hinweisen auf ihre mutmaßlichen einstigen Besitzer. Hier ist nun auch buchstäblich Puzzlearbeit gefragt, denn keines von Lochners Werken ist als Ganzes erhalten geblieben. Allein während der napoleonischen Säkularisierung Kölns wurden wohl etliche der aus mehreren Gemälden zusammengesetzten Altarbilder und Altaraufsätze zersägt und die weniger wertvollen Teile zerstört. So lässt sich zwar vermuten, dass die „Madonna im Rosenhag“ ursprünglich Teil eines aufklappbaren Diptychons und auf dem zweiten Flügel der betende Stifter verewigt war. Aber ohne die beweiskräftige Inschrift dürfte dessen Identität für alle Zeiten verloren sein.
Stephanie Hauschild geht für ihre Recherche mitunter weite Wege, behält die Leser dabei aber stets im Blick. Aus den Augen verliert sich dagegen leider, dass Lochners Werk, obwohl für die private oder öffentliche Andacht bestimmt, neben der religiösen auch eine weltliche Seite hat. So fromm, wie die mittelalterliche Malerei bei ihr erscheint, war diese sicherlich nicht. Vielmehr spiegelte sich in ihr der fortwährende Streit über den rechten Glauben und damit auch die politischen Dimensionen der Zeit. Gerade Stefan Lochners Gemälde bieten dafür reichlich Anschauungsmaterial, etwa der Gegensatz von Burg und Stadt auf dem „Weltgericht“ oder der waffenstarrende „Altar der Kölner Stadtpatrone“ (1442/44), in dem Martin Warnke eine Bittprozession zur Madonna sah, um sich für den Krieg gegen die „Ungläubigen“ zu wappnen. Roland Krischel entdeckte im Altar wiederum eine späte Rechtfertigung für die Vertreibung der Juden aus der Stadt und die anschließende Umwidmung der Kölner Synagoge in ein christliches Gotteshaus.
Auch diese Deutungen bleiben, wie so vieles bei Stefan Lochner, letztlich im Ungefähren. Aber sie gehören unbedingt zu jenem „wunderschönen großen Puzzle“, das Hauschild ansonsten so gewissenhaft beschreibt.
Stephanie Hauschild: „Stefan Lochner. Erster deutscher Meister“, 192 Seiten, 120 Abbildungen, Greven Verlag, 32 Euro.