Opernpremiere in KölnDieser Mozart klappert beständig
Köln – Vorbei sind die Zeiten, da Mozarts „Entführung aus dem Serail“ als Lustspiel in märchenbunter Orient-Kulisse über die Bühne ging. Der Kampf der Kulturen und Geschlechter, der hier ausgefochten wird, zwingt längst jeder Produktion eine politische Positionierung auf. Uwe Eric Laufenbergs Kölner Inszenierung aus dem Jahre 2010 etwa hatte das Stück im kriegerischen Konflikt zwischen Türken und Kurden angesiedelt.
Solchen Zwängen geht die neue Kölner „Entführung“ geflissentlich aus dem Weg. Die junge Regisseurin Kai Anne Schuhmacher räumt mit dem orientalischen Milieu zugleich auch das kulturelle Konfliktpotenzial des Stückes vollständig beiseite. In der eigenwilligen Fassung, die sie gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Rainer Mühlbach erarbeitet hat, geht es vor allem um Beziehungsfragen – um Treue und Verrat, um Bindung und Freiheit, um Nähe und Distanz.
Im „kleinen“ Saal 3 des Staatenhauses ist eine Art Kammerfassung des Singspiels zu erleben; das Gürzenich-Orchester spielt in reduzierter Stärke, die Gesangspartien sind mit jungen Ensemble- und Studiomitgliedern besetzt. So sind die Voraussetzungen für einen spielerischen, experimentierfreudigen Zugang gegeben, der durchaus spannende Alternativen zu gewohnten Deutungsmustern eröffnet – auch wenn das Stück selbst dabei nahezu unkenntlich wird.
Figuren lösen sich in ihren Double auf
Dominique Wiesbauers Bühnenbild verschränkt auf raffinierte Weise Innen- und Außenraum: Die auf einer schrägen Spielebene drapierten Tücher und Stoffbahnen suggerieren eine Strand-Szenerie; zugleich sind es die Laken, aus denen sich Ehemann Belmonte im karierten Pyjama wohlig-schläfrig erhebt. Eigentlich ist er zum Landgut des etwas dandyhaften Bassa Selim (Florian Reiners) gereist, um seine entführte Gattin Konstanze zu befreien. Der junge Koreaner Seungjick Kim lässt es in den einschlägigen Arien auch keineswegs an Nachdruck und lyrischer Emphase fehlen. Trotzdem traut man der Sache nicht so recht, zumal sich die Figur bald in eine Schar gleich gekleideter Doubles auflöst – und damit in eine verwirrende Fülle von Möglichkeiten.
Überall in Kai Anne Schuhmachers Regie treten solche Möglichkeitsräume an die Stelle einer linear erzählten Handlung. Dazu gewinnt sie aus dem zwölfköpfigen Chor immer wieder Abspaltungen und Doppelgänger der Hauptfiguren, die sich auch sängerisch einmischen. So wandelt sich das große Quartett am Ende des zweiten Aufzugs unversehens zum Chorfinale. Musik-Puristen mögen da die Brauen runzeln – aber dazu gibt es im Laufe des Abends ohnehin reiche Gelegenheit: Manche Arien haben keinen klaren Beginn, wachsen zur Gitarren-Begleitung aus dem Dialog und werden erst verspätet vom Orchester aufgenommen.
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Die originalen Charaktere der „Entführung“ erfahren dabei erstaunliche Transformationen. Der baumlange Palastwächter Osmin, mit einer wummernden E-Orgel verwachsen, ist eine komisch-sinistre Figur wie aus einem Tim-Burton-Film, Zofe Blondchen eine Wildtier-Dompteuse mit ergebenen Tiger-Männern. Lucas Singer und Rebecca Murphy singen und spielen das tadellos; ihre explosive Beziehung indes, die eigentlich das komische Rückgrat der Oper bildet, findet überhaupt nicht statt.
Der Originalfigur am nächsten ist der tüchtige Tenor-Buffo Dustin Drosdziok als mutig-furchtsamer Pedrillo im Liftboy-Outfit. Für die intensiv und hochmusikalisch gestaltende Kathrin Zukowski kommt die Partie der Konstanze vielleicht ein wenig zu früh – indes bietet sie auch der dramatischen „Martern“-Arie imponierend die Stirn.
Sie alle könnten es allerdings viel leichter haben, wenn Rainer Mühlbach am Pult etwas weniger Ideenreichtum zelebrierte und sich stattdessen mehr um eine solide Koordination bemühte. Die szenisch stark geforderten Darsteller haben zu wenig Unterstützung; etliche Nummern sind rettungslos verschleppt. Es klappert beständig, im Orchester ebenso wie auf der Bühne. Diese Unsicherheiten lähmen und bremsen letztlich auch die szenische Agilität, auf die es in dieser Version doch gerade ankommt.