Netflix entfernt Karla Sofia Gascón nach rassistischen Aussagen aus seiner Werbekampagne. Aber es gibt noch mehr Vorwürfe gegen den Film.
Oscar-RennenNach dem Skandal um seine Hauptdarstellerin schwinden Chancen von „Emilia Pérez“
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Karla Sofía Gascón (l.) und Adriana Paz in einer Szene aus „Emilia Pérez“
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Noch vor zwei Wochen schien Jacques Audiards „Emilia Pérez“ unschlagbar zu sein. Mit sagenhaften 13 Nominierungen führt der Film das Feld der Oscar-Bewerber an. Ebenso häufig ist er für die französischen Cesars nominiert. Bei den britischen Baftas tritt das Musical um einen transsexuellen mexikanischen Kartellboss, der sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzieht, in elf Kategorien an.
In Cannes war das Ensemble kollektiv als „Beste Darstellerin“ ausgezeichnet worden, Regisseur Audiard zudem mit dem Preis der Jury. Die Mehrheit der Kritiker überschlug sich vor Lob, ob der Originalität der schrägen Geschichte und der Ernsthaftigkeit ihrer Anliegen. Zuletzt kamen noch vier Golden Globes dazu, darunter Preise für die „Beste Komödie“ und für Zoë Saldaña, die seitdem als so gut wie sichere Gewinnerin des Oscars für die „Beste Nebendarstellerin“ gilt. Netflix hält die US-Rechte an „Emilia Pérez“ und hat eine massive Werbekampagne gestartet. Noch nie hat der Streamingdienst den Academy-Award für den Besten Film gewonnen, noch nie standen die Chancen dafür so gut.
Doch jetzt droht diese Kampagne einen Monat vor der Oscar-Gala spektakulär zu implodieren. In den vergangenen Tagen waren Tweets der spanischen Hauptdarstellerin Karla Sofia Gascón aufgetaucht, die der inklusiven Botschaft des Films zuwiderlaufen.
Karla Sofia Gascón wetterte gegen Muslime, Schwarze und Chinesen
Auf den Filmfestspielen in Cannes hatte sich die frisch ausgezeichnete Transfrau noch gegen den Online-Hass ausgesprochen: „Wir alle haben die Möglichkeit, uns zum Besseren zu verändern, bessere Menschen zu werden.“ Nun sieht es aus, als hätte sie selbst noch ein Stück Arbeit vor sich. Auf (damals noch) Twitter hatte die Schauspielerin unter anderem Muslime („Der Islam wird zu einem Infektionsherd für die Menschheit“) und Chinesen („Der chinesische Impfstoff, abgesehen vom obligatorischen Chip, kommt mit zwei Frühlingsrollen ...“) pauschal beleidigt. George Floyd, dessen Tötung durch einen weißen Polizeibeamten die Black-Lives-Matter-Proteste ausgelöst hatte, nannte Gascón einen „drogensüchtigen Betrüger“, die Oscar-Preisverleihung 2021, bei der Filme wie „Nomadland“, „Minari“, „Judas and the Black Messiah“ und „Ma Rainey's Black Bottom“ nominiert waren, verleumdete die als „Beste Hauptdarstellerin“ Nominierte als „afro-koreanisches Festival“.
Gascón tat sich keinen Gefallen damit, auf „unbekannte Gegner“ zu verweisen, die ihre Existenz mit Lügen beschmutzen wollen. Netflix hat nun die Notbremse gezogen und Karla Sofia Gascón aus seiner Kampagne herausgenommen, wie „The Hollywood Reporter“ und „Variety“ berichteten. In einem Werbespot ersetzt Zoë Saldaña die Spanierin. Gascón soll auch nicht mehr an Gala-Veranstaltungen wie der Verleihung der Critics Choice Awards am Freitag teilnehmen.
Unter normalen Umständen dürften solche Maßnahmen ausreichen, im Fall von „Emilia Pérez“ aber gewinnen nun kritische Stimmen Gehör, die den Film von Anfang an und aus ganz anderen Gründen für Oscar-unwürdig hielten. Der Bewertungsaggregator „Rotten Tomatoes“ quantifiziert sowohl die Einschätzungen der Kritik als auch die Reaktionen des Publikums. Während erste Audiards Film mit 73 Prozent überwiegend positiv bewerten, dümpelt die Publikumszustimmung bei katastrophalen 18 Prozent herum. Zum Vergleich: Beim Oscar-Konkurrenten „The Brutalist“ liegt das Verhältnis bei 93 zu 80 Prozent.
In Mexiko, dem Schauplatz von „Emilia Pérez“, sind sich Kritiker und Kinogänger dagegen einig: Von den Akzenten der Hauptdarstellerinnen über den Drehort in der Nähe von Paris bis zur stereotypen Darstellung des Landes wird der Film hier als ein einziger Affront wahrgenommen. Als ähnlich klischeebeladen nehmen einige Kritiker und Kritikerinnen die Darstellung von Trans-Themen im Film wahr, es handele sich um eine „äußerst rückschrittliche Darstellung einer Transfrau“, urteilte etwa die LGBTQ+-Organisation GLAAD.
Dass es sich bei Jacques Audiard um einen weißen, heterosexuellen Mann handelt, der des Spanischen nicht mächtig ist und auch zu Protokoll gegeben hat, dass er für seinen Film nicht erst groß recherchiert habe, bleibt in keiner dieser Kritiken unerwähnt. Mithin treffen hier eine französische Auffassung von künstlerischer Nonchalance und eine angloamerikanische Ansicht von Repräsentation aufeinander.
Dass „Emilia Pérez“ mehr als ein Problem hat, machte niemand so deutlich wie Camila Aurora. Die mexikanische Filmemacherin, eine Transfrau, drehte eine Parodie auf den Oscar-Kandidaten: In „Johanne Sacreblu“ tanzen „Franzosen“ in gestreiften Hemden, mit Baskenmützen und aufgemalten Schnurrbärten durch ein sehr mexikanisches Paris.