Eigentlich ist nichts passiert. Trotzdem hat die Oscar-Verleihung für jede Menge Kontroversen gesorgt.
Oscar-SkandaleWarum es egal ist, wie gereizt Hugh Grant bei den Academy Awards reagierte
Um es mal mit Nena zu sagen: Ich bin total verwirrt. Nicht, weil heute, gestern oder irgendwie, irgendwo, irgendwann etwas passiert ist oder passieren wird. Sondern weil objektiv rein gar nichts geschehen ist, inzwischen jedoch sogar dieses Nichts mehr Kontroversen zu generieren scheint, als der siebenfache Oscar-Gewinner „Everything Everywhere All at Once“ multiple Universen.
Verstehen Sie mich nicht falsch, selbstredend wird gerade im Sekundentakt Geschichte gemacht. Es fühlt sich an, als knie sich die gesamte Menschheit noch einmal in einen gewaltigen Endspurt hinein, bevor dann irgendein empfindungsfähiger, aber völlig ruchloser Chatbot die Herrschaft übernimmt.
Ich spreche nicht von welthistorischen Ereignissen, nur von den kleinen G’schichten, dem völlig folgenlosen Promi-Klatsch, mit dem sich just die 90 Prozent unseres Gehirns befassen, die wir angeblich nicht nutzen. Zum Beispiel die Academy-Awards, sind ja noch nicht so lange her: Hier wurde ausnahmsweise mal niemand auf offener Bühne abgewatscht und es wurden auch keine Umschläge mit Gewinnern vertauscht, ja es gab noch nicht einmal Überraschungssieger. Ausgezeichnet wurden exakt diejenigen, von denen jede und jeder vermutete (und zum größten Teil auch hoffte), dass sie ausgezeichnet werden.
Trotzdem herrscht höchste Aufregung in den Unterhaltungsressorts. Das fade (dachte ich!) Großereignis hat uns Klatschspaltenlesende in zahllose moralische Zwickmühlen geklemmt. Hatte sich Hugh Grant – wie die einen trommeln – als respektloser Miesepeter auf dem roten (okay, champagnerfarbenen) Teppich erwiesen, als er seine arglose Interviewerin mit zunehmend genervten Nicht-Antworten und einem finalen Augenrollen abblitzen ließ?
Oder ist der britische Schauspielveteran unser heimlicher Held, weil er die Hohlheit einer Veranstaltung schlicht nicht aushält, auf der ein Vergleich mit William Makepeace Thackerays voluminösem Gesellschaftsroman „Jahrmarkt der Eitelkeit“ mit einem Hinweis auf die alljährliche „Vanity Fair“-Party verwechselt wird?
Hat sich Angela Basset unsportlich verhalten, weil man ihr die Enttäuschung über den verlorenen Beste-Nebendarstellerin-Oscar allzu deutlich ansah? Oder ist sie eine Königin, die sich nicht scheut, authentische Gefühle zu zeigen?
Ist Brendan Fraser nur der sechste Hetero, der einen Oscar gewinnt, weil er einen schwulen Mann spielt?
Sollen wir uns über das späte Comeback des besten Hauptdarstellers Brendan Fraser freuen? Oder empören, weil er der sechste Hetero ist, der einen Oscar dafür gewonnen hat, dass er einen schwulen Mann spielt? Lauter knifflige Probleme für den Grundkurs Ethik. Wer will sich da entscheiden?
Es geht doch auch einfacher: Blieb Tom Cruise den Feierlichkeiten fern, weil er gerade in Europa den achten Teil seiner „Mission Impossible“-Reihe dreht, oder weil er seiner Ex-Frau Nicole Kidman nicht über den Weg laufen wollte? Und war die etwa schon auf dem Champagner-Teppich angeschickert, oder ist sie schlicht der einzige Mensch, der an so etwas eine Freude hat? Oder, für Fortgeschrittene: Hat der Kokainbär die Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai belästigt?
Das alles sind Fragen, die einen nächtelang wach halten sollten. Zumindest ist das der Eindruck, den die Überschriften vermitteln, unter denen sie im Netz verhandelt werden. Weil das Netz es so will. Ja, ich fürchte, ich habe auch schon meinen Teil an solchen Überschriften produziert, in der Hoffnung, dass Sie dann darauf klicken. Aber auch in der Gewissheit, dass niemand schlechter schlafen wird, weil sie oder er sich fragt, was man jetzt eigentlich von Hugh Grant halten soll.
Ich wette, selbst Hugh Grant ist das total egal. Wenn die Gesellschaft ein Jahrmarkt der Eitelkeit ist, dann sind die Promi-News der Autoscooter, wo Meinungen absichtsvoll aufeinanderstoßen – und doch nur ein Schulterzucken auslösen.