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Spielzeitauftakt in DüsseldorfOthello flüchtet von der Bühne

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Pauline Kästner und Bongile Mantsai in „Othello“  

Düsseldorf – „Black is not a person“, ruft Othello auf der dunklen Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses aus. Schwarz ist kein Mensch. Was Schwarz ist, kann man bei Frantz Fanon, nachlesen, dem früh verstorbenen Vordenker der Dekolonisierung: Ein Objekt, bis zum Bersten mit Bedeutungen und weißen Ängsten aufgeladen, Fluchtpunkt weißer Wut.

Diese Wut findet im Shakespeare-Drama ihre nahezu ideale Verkörperung in Jago, dass er den Schwarzen hasst, wiederholt ja er gleich in seinem ersten Auftritt dreimal, wie einen rituellen Fluch.

Dieser ersten Szene hat die südafrikanische Regisseurin Lara Foot ein Vorspiel vorangestellt, mit dem sie den „moor of venice“ ins deutsche Kaiserreich verpflanzt: Ein Generalstab diskutiert einen indigenen Aufstand in Deutsch-Südwestafrika. Der Vorschlag eines jungen Offiziers, vermittelnd auf die Unzufriedenen zuzugehen, wird sofort abgeblockt, nein, der schwarze Kriegsheld Othello soll in die Kolonie geschickt werden, um den Aufstand der Schwarzen mit aller Härte und auch einiger Symbolkraft niederzuschlagen.

Lara Foot vertraut Shakespeares Geschichte

Diese Rahmung mag zuerst etwas ungelenk daherkommen – die großen Afrika-Karten in Form von Totenköpfen sind jedenfalls beredter als der holzschnittartige Text. Sie erweist sich im weiteren Verlauf des Abends jedoch als durchaus effektiv.

Nicht zuletzt, weil Foot dem gut 400 Jahre alten Plot in einem Maße vertraut, die das deutsche Regietheater (bewusst) verlernt hat. Sie komme aus der Tradition des „Storytelling“, schreibt die Künstlerische Leiterin des Baxter Theatre Center in Kapstadt im Programmheft. Und erzählt von der Zeit, in der das südafrikanische Theater eine von Zensur und Gefängnis bedrohte Gegenöffentlichkeit – „eine Art lebendiger Zeitung“ – zum Apartheid-Regime bildete, ganz so wie manche Bühnen in der DDR.

Der betrunkene Rassist vom Nebentisch

Vom traditionelleren Zugang profitieren zunächst Florian Langes herrlich stümperhafter Edelmann Rodrigo und vor allem Wolfgang Michaleks Fähnrich Jago, der das Publikum zu seinen Mitverschwörern macht und sich genüsslich in seiner Bösartigkeit sonnt wie Richard III. – allerdings weit weniger glamourös. Eher wirkt der berühmte Bühnen-Intrigant hier wie der betrunkene Rassist vom Nebentisch, dessen Monologen man nur zunickt, um ihn nicht noch weiter zu reizen. Wie Michalek zwischen Rampensau, Puppenspieler und lebendig gewordener Kommentarspalte balanciert, ist jedenfalls schamloses und gleichermaßen kluges Theater.

Der südafrikanische Schauspieler Bongile Mantsai – langjähriger Mitstreiter von Lara Foot und in dieser Spielzeit Artist in Residence am Düsseldorfer Schauspielhaus – hat diesem bösen Geist vor der Pause scheinbar wenig entgegenzusetzen. Er verleiht seinem Othello große Würde und Beredtheit, wechselt fließend zwischen Shakespeare’schem Frühneuenglisch, schnalzendem isiXhosa und gelegentlichem Deutsch, aber letztlich funktioniert er nur – als tragische, aber beinahe willenlose Figur Shakespeares ebenso wie als williger Handlanger seiner Kolonialherren.

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Bongile Mantsai, Wolfgang Michaelek   

Eindrücklicher sind die kargen aber magischen Bilder, die Foot zusammen mit Bühnen- und Kostümbildner Gerhard Marx für ihren dekolonisierten „Othello“ findet: Die große Afrika-Karte, die in willkürlich geschnittene Einzelteile zerlegt wird; der Sandsturm, der den deutschen Truppen entgegenweht, als sie in Afrika gelandet sind; die Steine, die an Seilen hängend, unentschlossen über der Bühne schweben.

Erst als er sich längst hoffnungslos in Jagos Marionettenfäden verheddert hat, entwickelt Bongile Mantsais schwarzer Feldherr Eigenmächtigkeit und theatrale Wucht. Begreift, dass er von Geburt an Gefangener eines fremden Diskurses war, das schwarze Objekt eben, dank dessen Weiße ihre Subjektbildung erst vollziehen können.

Bongile Mantsai will die ihm zugedachte Rolle nicht spielen

Sein Schicksal ist vorgezeichnet, von den deutschen Kolonialherren, von rassistischen Schablonen, die schon zu Shakespeares Zeiten bereitlagen. Einmal flieht Mantsai sogar in den Zuschauerraum, er will die ihm zugedachte Rolle nicht weiterspielen. Das Saallicht geht an und Jago weist ihn energisch zurecht. Er soll gefälligst sagen, was geschrieben steht.

Immer wieder verweist Foots Inszenierung auf die Absurdität der vorgeschriebenen Leichtgläubigkeit des Schwarzen: Pauline Kästners Desdemona etwa ist selbstbewusst, integer, alles andere als ein willfähriges Opfer männlicher Leidenschaften. Und Jagos Intrige wird der Lächerlichkeit preisgegeben, in dem das Ensemble vom inkriminierenden Taschentuch stets als „handkerchief“ spricht und dies noch möglichst unnatürlich betont.

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Schließlich muss – Achtung, Spoiler! – Jago selbst beim finalen Würgemord an der unschuldigen Desdemona Hand anlegen, Othello wälzt sich neben ihm ohnmächtig auf dem staubigen Boden, ein Verdammter der Erde.

Wenn am Schluss die schwebenden Steine lautstark zu Boden fallen, ist das Urteil gefällt: Black is not a person, Othello schon. Lara Foot und Bongile Mantsai haben ihn aus seinem eigenen Stück befreit. Ein kraftvoller, mitreißender Saisonauftakt in Düsseldorf.