Das queere Abendmahl von Paris sorgt für Diskussionen. Dabei entspricht es dem olympischen Geist mehr als Leonardos Vorbild.
Oueeres Abendmahl bei OlympiaGanz Paris feiert die Vielgötterei und das ist auch gut so
Schon auf Leonardos Abendmahl schien Jesus in unfeine Gesellschaft geraten zu sein. Während er verloren auf den leeren Teller vor ihm blickt, wird zu seinen Seiten erregt gestritten und heftig gestikuliert. Ein Kunsthistoriker ließ sich sogar dazu hinreißen, die zwölf Jünger als „vorlauten Haufen“ zu schelten, dabei hatten diese allen Grund, die Haltung zu verlieren. Soeben hatte Jesus ihnen eröffnet, dass ein Verräter unter ihnen sei.
Einige schauen ungläubig, andere wütend, und wieder andere ergehen sich in wilden Anschuldigungen und Verdächtigungen. Mit dem Zusammenhalt der Apostel scheint es nicht weit her zu sein. Obwohl unter Freunden, ist Jesus der einsamste Mensch der Welt.
Ins lebendige Abendmahl-Bild hatten die Regisseure den Sänger Philippe Katerine als Bacchus gemischt
Einen „vorlaufen Haufen“ sahen manche Zuschauer auch bei der Eröffnung der Olympischen Spiele von Paris. Eine Gruppe queerer Aktivisten hatte sich in bunten Kostümen auf einer Brücke hinter einem langen Tisch versammelt, an dem, etwas entrückt von den übrigen, die lesbische DJ Leslie Barbara Butch saß – oder vielleicht auch thronte. Sie trug einen Hut mit Strahlenkranz, weshalb man sie mit Leonardos Jesus verwechseln konnte, zumal ihre Jünger wie bei diesem hübsch aufgereiht für die Kamera (oder eben den Maler) posierten.
An diesem queeren Abendmahl stießen sich nicht nur französische Bischöfe, sondern auch rechte Agitatoren aus aller Welt. Donald Trump Jr. sah gleich Teufelsanbeter am Werk, etwas feinfühligere (oder von Tausenden Abendmahl-Parodien auch nur abgestumpfte) Kommentatoren monierten hingegen den wüsten Synkretismus der Szenerie. Ins lebendige Abendmahl-Bild hatten die Regisseure den französischen Sänger Philippe Katerine gemischt, der als halbnackter blauer Bacchus auf dem Tisch lag (genau genommen in der blumigen Tischdekoration) und im Dauerregen ein Liedchen trällerte.
Mittlerweile haben die Organisatoren bedauert, religiöse Gefühle verletzt zu haben, und gegen den millionenfach beglaubigten Augenschein behauptet, sie hätten gar nicht Leonardos Abendmahl neu inszeniert, sondern ein weit weniger berühmtes Gemälde des niederländischen Barockmalers Jan van Bijlert.
Um 1635 malte dieser ein Trinkgelage auf dem griechischen Olymp, ganz im Stil der Utrechter Caravaggisten, einer Malschule, die den dramatischen Lichteffekten des Malers Caravaggio huldigte. Genau genommen wohnen wir einer Hochzeit bei: Vermählt werden Thetis und Peleus, unter den Gästen befinden sich Minerva, Diana, Mars, Venus und Amor sowie Flora, Göttin des Frühlings.
Auf Bijlerts „Festmahl der Götter“ geht es nicht viel freizügiger zu als auf zahllosen Varianten dieses beliebten Motivs (eine barbusige Dame hier, ein paar bocksbeinige Herren dort). Aber der zu Lebzeiten sehr beliebte Genremaler hatte schon damals die „satanische“ Idee, die olympische Gesellschaft hinter einen bei Leonardo abgeschauten Tisch zu verteilen. An diesem sitzt inmitten des dem Original sehr genau nachempfundenen Trubels sogar ein von tanzenden Halbnackten gerahmter falscher Jesus, der offenbar bis zum Jüngsten Gericht durchzufeiern gedenkt. Selbst wenn er für seine Jünger das Brot brechen sollte – diese sprechen vor allem seinem Blut (und diesem allein) mit größter Hingabe zu.
Das Bild durchzieht ein heiliger Unernst, der bis zu den auf einer Wolke im aufreißenden Himmel rangelnden Putten reicht. Gotteslästerlich ist dies alles nur, wenn man Leonardo für einen göttlichen Maler hält. Gut möglich, dass Bijlert diesem Glauben anhing, denn sein Verrat scheint ihm sichtlich Spaß gemacht zu haben.
Diverser als Leonardos Bibeladaption ist dieses Festmahl allemal – und so queer, wie die Schaulust es erlaubte
Eifrige Kommentatoren haben rasch herausgefunden, dass sich Bijlerts „Festmahl der Götter“ im Musée Mangin in Dijon befindet, also zum angeheirateten französischen Kulturerbe gehört. Die Choreografen der Eröffnung folgten dem Geist des Vorbilds beinahe ergeben, lediglich in den Details erlaubten sie sich zahlreiche Freiheiten. Blaue Bäuche und orangefarbene Bärte fehlen bei Bijlert jedenfalls, dafür gibt es zwei behelmte Soldaten sowie drei Frauen, eine davon ist eine Dienerin. Diverser als Leonardos Bibeladaption ist dieses Festmahl allemal – und so queer, wie die barocke Schaulust es erlaubte.
Ohnehin scheint Bijlert die Meinung zu vertreten, dass er nicht Leonardos Abendmahl verspottet, sondern die antiken Gelage auf dem Olymp wieder ins angestammte Recht setzt. Die griechischen Götter feierten schließlich schon rustikale Feste, als Christus noch eine fixe Idee im Himmel war; selbst katholische Theologen geben mittlerweile zu, dass sich die Eucharistie historisch bis zu „heidnischen“, eigentlich griechisch-göttlichen Mahlzeiten zurückverfolgen lässt. Wenn wir heute lediglich eine Art, das Brot zu brechen, als heilig gelten lassen wollen, ist dies sowohl ahistorisch als auch aus der modernen Zeit gefallen.
Schon der Name verrät, dass die Olympischen Spiele kein christlicher Gottesdienst sind und im Zweifelsfall den griechischen Göttern näherstehen als dem Monotheismus, der sie usurpierte. Als globale Veranstaltung des 21. Jahrhunderts sind sie ohnehin der Vielgötterei verpflichtet – was wohl Hindus und Buddhisten zum Streit über das queere Abendmahl zu sagen haben? Dieses mag gegen das erste biblische Gebot verstoßen. Aber das tut es aus gutem Grund und innerer Notwendigkeit. Die moderne Welt kennt eben größere göttliche und menschliche Vielfalt als eine flüchtige Auslegung der Bibel erahnen lässt.