Das Kölner Pablo Held Trio widmet sich auf seinem grandiosen neuen Album ausgesuchten Klassikern des Jazz. Unsere CD-Kritik.
Pablo Held TrioMit Jazz-Standards auf dem Zenit der eigenen Spielkunst
Das Kino sei eine Zeitmaschine, heißt es, über den Jazz ließe sich Ähnliches sagen. Im Jazz verschmelzen Vergangenes und Gegenwärtiges, Tradition und Moderne, und das mitunter so eng, dass man sich beim Zuhören wie ein entdeckungsfreudiger Zeitreisender fühlt. Früher oder später dockt jeder Jazz-Interessierte wohl auch bei den Standards an, jenen Songs, die einst durch Broadway-Shows, Musicals oder Hollywood-Filme populär wurden und deren federleicht dahin schwebenden Melodien man sich bis heute kaum entziehen kann. Nun hat das Kölner Pablo Held Trio ein Album ausschließlich mit Standards aufgenommen – endlich, möchte man jubeln, denn Pianist Pablo Held, Bassist Robert Landfermann und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel zeigen sich mit ihren hinreißenden Interpretationen im Zenit ihrer Spielkunst.
Es ein großes Missverständnis, anzunehmen, dass auch das Pablo Held Trio jetzt „in Nostalgie macht“
Freilich wäre es ein großes Missverständnis, anzunehmen, dass auch das Pablo Held Trio jetzt einfach mal „in Nostalgie macht“. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Mit jedem Ton und jeder subtilen Verschiebung von Stimmungen und Klangfarben tauchen Held, Landfermann und Burgwinkel tiefer ein in „ihre“ Standards und warten geduldig, bis ihnen die Stücke ihr Innerstes preisgeben. „Alle Songs sind Lieblingsstücke von mir“, sagt Pablo Held, „ich kenne sie in- und auswendig. Unser Trio ist jetzt seit mehr als 18 Jahren zusammen, und schon bei unserer ersten Session im Proberaum haben wir Standards gespielt. Dies ist auf der ganzen Welt der gemeinsame Nenner, um schnell miteinander Musik machen zu können. Es sagt aber auch viel über die Qualität der Stücke, dass sie seit 100 Jahren gespielt werden und wir von ihnen immer noch etwas über Komposition und Form erfahren können.“
Irgendwann ließ das Trio Standards hinter sich, um vornehmlich Helds eigene Kompositionen zu spielen – oder um sogar ganz ohne Set-Liste auf die Bühne zu gehen: „Dann wissen wir nicht, was wir spielen werden, und können uns zuvor auch nichts vornehmen.“ Fürs neue Trio-Album wählte er sechs Standards: „I’ll Never Be The Same“, „You Won’t Forget Me“ und „Last Night When We Were Young” werden um „Very Early“ von Bill Evans und „Barbados“ von Charlie Parker ergänzt, während „Just in Crame“ Helds Neugestaltung von „Just in Time“ ist. Aufgenommen wurden sie auf dem Jazzcampus Basel vor Musikstudierenden, daran anschließen sich vier weitere, echte Live-Aufnahmen: „Lush Life“ eröffnet mit einem fulminanten Solo Helds, „All The Things You Are“ offeriert brillante Gruppenarbeit, während die ineinander übergehenden Klassiker „Lover“ und „Round Midnight“ in ihrer überbordenden Improvisationsfreude fast epische Ausmaße annehmen.
„Wenn ich mich mit solchen Stücken beschäftige“, sagt Held, „gehe ich so weit wie möglich zum Original zurück, ich höre die Broadway-Version oder, wie bei Evans’ 'Very Early', die erste Fassung. Dies ist eine sehr persönliche Beschäftigung: Ich drehe und wende das Material und warte darauf, dass etwas mit mir passiert. Oft sind die Lyrics ein Anhaltspunkt dafür, wie ich die Melodie spiele und Stimmungen aufbaue, immer aber muss ich ein Stück zunächst verstehen. Solches Ergründen macht mir am allermeisten Spaß.“ Oft sind es bereits die Intros, die sich zu kunstvollen Miniaturen verdichten, bevor die Melodien, Improvisationen und auch jene sublimen Impulse aufsatteln, die Landfermann und Burgwinkel mit traumwandlerisch sicherem Verständnis aufgreifen und weiter ausbauen.
So ergeben sich intensive Dreiergespräche, in denen die Musiker das Ausgangsmaterial quasi transzendieren und es zur eigenen Erfahrung machen. Nicht nur geht es um den künstlerisch bestmöglichen Ausdruck eines Standards, immer geht es auch um Haltung und Form, ebenso um Emotionen. Held: „Tatsächlich ist es immer sehr emotional, mit den engen Freunden zu spielen. Das ist nicht immer einfach, es geht ja um etwas, um Freundschaft, Austausch, Vertrauen, auch um Verletzbarkeit. Wenn man sich öffnet, macht man sich verletzbar und wird auch gemeinsam verletzbar. Nur so aber kommt man an seine Gefühle heran.“
So sehr „Pablo Held Trio Plays Standards“ als virtuoses Glanzstück begeistert, so aufregend entfaltet das Album seine gesamte Strahlkraft erst, wenn man es als Mosaikstück ins musikalische Gesamtwerk von Pablo Held, Robert Landfermann und Jonas Burgwinkel einfügt. Erst dann wird nachvollziehbar, warum das Pablo Held Trio längst zu den herausragenden Formationen des europäischen Jazz zählt. Setzt man das „Standards“-Album ins Verhältnis zum Vorgänger „Who We Are“, offenbart sich, wie tiefgründig das Trio grundverschiedene Stile und Stimmungen aufgreift und sie als Sprungbrett fürs Eintauchen in den grenzenlosen (Frei-)Raum zwischen Komposition und Improvisation nutzt. Und erst wenn man sich an jene Version von „You Won’t Forget Me“ erinnert, die das Trio mit Saxofonist Sebastian Gille aufnahm, funkelt der subtile Feinschliff der Trio-Fassung besonders hell. Vergegenwärtigt man sich dann auch noch Helds Album „Buoyancy“, das er im Quartett mit Kit Downes, Percy Pursglove und Leif Berger einspielte, erschließt sich vollends, mit welcher Konsequenz Held das schöpferische Modell seiner Ästhetik ausbaut.
Wie Kieselsteine, die man ins flache Wasser wirft, bilden sich sogar noch weitere (Energie-)Ringe: „Underwater Rendezvous“, das Eröffnungsstück des Albums „Buoyancy“, faszinierte besonders durch die sphärische Stimme von Norma Winstone; zum „Standards“-Album steuerte sie nun empathische Liner Notes bei. Fast zeitgleich veröffentlichte sie ein wunderbares Duo-Album mit Pianist Kit Downes, der wiederum kongenialer Partner von Jonas Burgwinkel und Reinier Baas im Trio Deadeye ist. Derweil spielte Robert Landfermann im Trio mit Pianist Elias Stemeseder und Schlagzeuger Leif Berger das faszinierend freie Album „Neon Dilemma“ ein und setzte auf seinem Großwerk „Rhenus“ die Schlagwerk-Virtuosen Jonas Burgwinkel und Christian Lillinger effektvoll nebeneinander ein.
All dies zeugt von der enormen künstlerischen Wirkkraft der Freunde Held, Landfermann und Burgwinkel, die im elastischen Spagat zwischen Tradition und Moderne ihre Jazz-Geschichte(n) schreiben. Dabei nimmt das Album „Pablo Trio Plays Standards“ nun einen ganz besonderen Stellenwert ein.
„Pablo Held Trio plays Standards“, Hopalit Records