Am Ende rief Kamala Harris zur Sache, aber davor war die Democratic National Convention eine ziemlich irre Show.
Parteitag der US-DemokratenIst das alles nur Show oder etwa hochpolitisch?
„Georgia, wie geben Sie Ihre Stimme ab?“, fragt der Auszähler des Delegierten-Appells. Anstelle einer Antwort ertönt ein kehliges „Yeah!“, das Erkennungszeichen von Lil Jon. Schon schwenkt die Kamera auf den sonnenbebrillten Crunk-Veteranen. Crunk ist eine clubtaugliche Variante des Südstaaten-Hip-Hop und der 53-Jährige eine Ikone des Pfirsich-Bundesstaates.
„Wir sind heute Abend hier, um Kamala Harris offiziell als Präsidentin der Vereinigten Staaten zu nominieren“, brüllt der Rapper mit Kieselstimme ins Mikrofon, während er seinen Weg aus dem Unterrang in den Innenraum des United Center macht. Dann legt der DJ seinen Hit „Turn Down For What“ an, und Lil Jon skandiert über tief grollende Bässe Harris' Wahlslogan „We're not going back“ („Wir gehen nicht zurück“).
Willkommen zur 2024 Democratic National Convention, ein Parteitag so weit wie nur irgend möglich von seiner deutschen Entsprechung entfernt. Alles nur Show, so lautet das gängige Vorurteil hierzulande. Zum Beispiel der „roll call“: Harris und Walz stehen nicht nur längst als Kandidaten fest, auch die Formalie der Abstimmung nach Staaten hatten die Demokraten bereits vor zwei Wochen online hinter sich gebracht. Das schafft Platz für eine Party, man tanzt, man feiert, man spricht sich Mut zu. Statt einer abstrakten Zahl steht jetzt eine jubelnde, aufgeputschte Menge hinter der Präsidentschaftskandidatin.
Es ist eben nicht nur alles Show in Chicago, im Sinne eines konsequenzlosen Budenzaubers. Eher könnte man von einer viertägigen Zeremonie sprechen, von einer rituellen Handlung, die etlichen Ansprüchen und Bedürfnissen zu genügen und ganz unterschiedliche Adressaten anzusprechen hat – Zionisten und Palästina-Protestler, Progressive, Moderate und Republikaner, die ihre eigene, zum Trump-Kult verkommene Partei nicht mehr wiedererkennen. Von einem Politvarieté, das am Ende, wenn 100.000 rot-weiß-blaue Ballons von der Decke fallen, trotz aller dargebotenen Vielfalt, zu einer schlüssigen Erzählung finden muss.
Selbst Kamala Harris' Kleiderwahl ist mit symbolischer Bedeutung aufgeladen
Da ist dann selbst die Kleiderwahl mit Bedeutung aufgeladen: Als Kamala Harris sich am ersten Tag der Convention auf der Bühne zeigt, trägt sie einen hellbraunen Anzug. Ungewöhnlich für offizielle Funktionen. Anfangs bemüht man sich eben noch um unzeremonielle Lockerheit, zudem wird der Anzug der Amtsanwärterin als subtile Anspielung an die gespielte Aufregung gelesen, die Barack Obama vor zehn Jahren auslöste, als er eine Pressekonferenz zum Nahost-Problem in Khaki gewandet abhielt. „Unpräsidial!“, unkten damals die Republikaner.
Als Kamala Harris am Donnerstagabend zur wichtigsten Rede ihres politischen Lebens antritt, entscheidet sie sich für die dunkelblaue Variante. Viele ihrer Zuhörerinnen und auch einige Zuhörer im United Center tragen dagegen weiß, die Farbe der Suffragetten. Schließlich wäre Harris die erste Präsidentin in der Geschichte des Landes. Eine Tatsache, die sie, um keine wertkonservativen Wähler zu verschrecken, lieber andere betonen lässt.
Es ist der Parteitag der „wife guys“, ein Fest freundlicher Männer
Zum Beispiel die Männer an ihrer Seite. Es ist der Parteitag der „wife guys“, ein Fest freundlicher Männer, die mit Stolz auf die Leistungen ihrer Frauen blicken und sich bemühen, ihnen ein guter Partner zu sein. Mithin das Gegenmodell zur toxischen Männlichkeit von Donald Trump – den Hakeem Jeffries, Fraktionsführer der demokratischen Minderheit im Repräsentantenhaus, mit einem „Ex-Freund, der einfach nicht verschwinden will“ vergleicht – und seines Vize J.D. Vance, für den unabhängige Frauen „kinderlose Katzen-Mütter“ sind.
„Ich bin die einzige Person, die dumm genug ist, nach Michelle Obama zu sprechen“, hebt der Ex-Präsident am zweiten Tag bescheiden zu seiner Rede an. Auch Doug Emhoff, der First Gentleman in spe, stellt sein Licht gekonnt untern Scheffel und beschreibt seine Frau als „fröhliche Kriegerin“, die „immer für unsere Kinder da war“: „Und ich weiß, dass sie auch für Ihre Kinder immer da sein wird.“ Später hält er seine Tochter Ella Emhoff fest im Arm, die strickende Modedesignerin repräsentiert die Generation Z.
Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz, den hier alle nur „Coach“ rufen, benutzt Football-Metaphern und erzählt freimütig und emotional von den eigenen Fruchtbarkeitsbehandlungen, die er und seine Frau Gwen durchlitten haben – ein menschelnder Gegenentwurf zur restriktiven Reproduktionspolitik der Republikaner. Das Private ist politisch oder kann zumindest als solches verwendet werden. Als Walz von der übergroßen Liebe zu seinen drei Kindern spricht, steht sein 17-jähriger Sohn Gus in der ersten Reihe auf, heult vor Rührung und ruft stolz aus: „Das ist mein Vater!“ Die besten Momente lassen sich nicht planen.
Vieles andere schon: Während sich die Republikaner mit dem T-Shirt-zerreißenden Ex-Wrestler Hulk Hogan begnügen müssen, stehen die Berühmtheiten bei den Demokraten Schlange: Die legendäre Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey betont, wie zuvor Coach Walz, in ihrer ersten Parteitagsrede den Wert guter Nachbarschaft: „Wenn ein Haus brennt, fragen wir nicht nach der Ethnie und Religion des Hausbesitzers, wir fragen uns nicht, wer sein Partner ist oder wie er gewählt hat. Nein, wir versuchen nur, sie so gut es geht zu retten.“ Wer in diesem Bild gezündelt hat, muss sie nicht eigens erwähnen.
Beyoncé und Taylor Swift bleiben Chicago fern
Pink leiht zusammen mit ihrer Tochter in „What about us?“ den Stimmlosen ihr gewaltiges Organ, Stevie Wonder beschwört mit „Higher Ground“ die höheren Werte. Zum Finale wird Beyoncé erwartet, gerüchteweise sogar Taylor Swift.
Aber die bleiben fern. Jetzt soll es nicht mehr um Stars und Promis gehen, sondern um den Ernst der Lage. „Kommen wir zur Sache“, ruft Harris. Zwar erzählt auch sie zuerst ein wenig von sich selbst, von den einfachen Verhältnissen und harter Arbeit, von ihrem Schülerjob bei McDonald’s und ihrer Liebe zu Aretha Franklin, John Coltrane und Miles Davis. Aber dann geht es um Politik, um die Bedrohung, die Donald Trump – ein „unseriöser Mensch“, so Harris – für die Demokratie darstellt. Die Show ist vorbei, der Kampf hat begonnen.