Paul McCartneySo fröhlich kann der Lockdown klingen

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Hat gut lachen: Paul McCartney

Köln – Wenn es um Quarantäne-Alben geht, ist Paul McCartney einsamer Champion. Als John Lennon im September des Jahres 1969 seine „Scheidung“ von den Beatles verlangte, zog sich McCartney auf seinen Bauernhof auf der schottischen Kintyre-Halbinsel zurück, richtungslos, deprimiert und die meiste Zeit betrunken.

Langsam begann er neue Songs zu schreiben, oft waren es nur Fragmente. Die nahm er, zurück in seinem Londoner Haus, mit einem kleinen Vierspurgerät auf, ohne Mischpult und ganz allein. Für ihn war das nötige Musiktherapie, doch das im April 1970 unter dem schlichten Titel „McCartney“ veröffentlichte Soloalbum kassierte böse Verrisse.

Paul McCartney: Nicht sein erster Lockdown

Nach dem opulenten „Abbey Road“ hätte der Schock kaum größer sein können – für kurze Zeit galt Produzent George Martin als das eigentliche Genie der Beatles. Banal, substanzlos, schimpften die Kritiker. Und John Lennon ätzte „Engelbert Humperdinck Musik“.

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Zehn Jahre später folgte der nächste Selbst-Lockdown. Seine Band Wings hatte ihr letztes Album veröffentlicht. Wieder zog sich McCartney auf die schottische Farm zurück, wieder meldete er sich mit einem Album zurück, das er ganz allein im Heimstudio eingespielt hatte, diesmal vor allem mit Hilfe quietschiger Synthesizer.

„McCartney II“ ereilte exakt dasselbe Schicksal wie das Solo-Debüt: Substanzloses, bizarres, beschämendes Gedudel, lautete das vernichtende Urteil. Das war allerdings nicht das letzte Wort: Heute gelten beide Alben als echte Pioniertaten: „McCartney“, so hört man es jetzt, hat die Lo-fi-Ästhetik der 1990er vorweggenommen, „McCartney II“ den elektronischen Schlafzimmerpop des darauffolgenden Jahrzehnts. Ja, der Ruf von „McCartney II“ wuchs so weit an, dass der Altstar auf seiner 2016er Tour dessen zickigen Proto-Techno-Track „Temporary Secretary“ in die Setlist aufnahm.

„Erster Gedanke, bester Gedanke“

Nun hat der 78-Jährige also den dritten Teil seiner Do-it-yourself-Eskapaden, „McCartney III“. Auch wenn zwischendrin 40 Jahre vergangen sind: Das Album ist die einzig logische Konsequenz aus der diesmal nicht ganz freiwilligen Selbstisolation des Musikers. Wird auch „McCartney III“ mit 20-jähriger Verspätung als visionäres Werk erkannt werden? Unwahrscheinlich. Dafür fallen die ersten Reaktionen diesmal überwältigend positiv aus.

Der Schock des Neuen bleibt schon deshalb aus, weil McCartney in diesem Jahrtausend bereits zwei Alben veröffentlicht hat, auf denen er alle, oder so gut wie alle Instrumente spielt: „Chaos And Creation in the Backyard“ (2005) und „Memory Almost Full (2007).

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Die waren jedoch ehrgeizige Versuche, ein seinem großen Namen adäquates Spätwerk aufzubauen. Die neue Platte klingt durchweg, als wäre McCartney hier fröhlich seinem jeweils nächsten kreativen Impuls gefolgt, „erster Gedanke, bester Gedanke“, wie es Allen Ginsberg formulierte. Die seltsamen Flötentöne im trockenen Gitarren-Opener „Long Tailed Winter Bird“; der schüchterne „Oo, Oo, Oh yeah“-Chor in „Find My Way“, das verzerrte Stoner-Rock-Geriffe in „Slidin’“, der Billig-Keyboard-Bläsersatz, der in „Deep Down“ so aufreizend mit dem warmen Fender-Rhodes-Piano kontrastiert: Das ist der Sound eines Mannes, der niemanden mehr etwas beweisen will (müssen muss er ja schon lange nicht mehr), der sich über seinen nicht versiegenden Quell an Ideen erfreut und bereit ist, ihn auf unentdecktes Gebiet zu folgen.

Auf „Women And Wives“ hört sich McCartney ein wenig wie der alte Johnny Cash an, wenn auch ohne dessen alttestamentarischen Furor. „Deep Deep Feeling“ wiederum könnte mit seinen schweren Klavierakkorden und Sample-Streichern so etwas wie die Akustik-Version eines alten Massive-Attack-Songs sein, doch dann heult eine wehmütige Pink-Floyd-Gitarre auf und McCartney falsettiert dem tiefen Gefühl (der Liebe) ein „manchmal wünschte ich, es würde bleiben, manchmal, dass es weggehen würde“ hinterher, wiederholt die Worte immer tiefer und verhallter, bis der Acht-Minuten-Track kurz im Keller angelangt ist, nur um ihn nach einer kurzen Pause mit einer lieblich geschrammelten Coda versöhnlich abzuschließen.

Verspielte Momente

Die wenigen und simplen Zeilen können das, was McCartney hier ausdrücken will nur andeuten, aber das macht nichts, die Musik erzählt die ganze Geschichte. Sagenhaft ist das und macht die dann doch allzu verpeilt verspielten Momente auf „McCartney III“ locker wett – allen voran den semi-lustigen Boogie-Rocker „Lavatory Lil“, eine altersschwache Verwandte von Lennons „Polythene Pam“.

Am Ende finden wir uns auf der schottischen Farm wieder: In „When Winter Comes“ nimmt McCartney noch einmal die Melodie des Eröffnungsstücks auf, ermahnt sich, dass der Winter bevorsteht und er den Zaun reparieren muss, zwei junge Füchse schnuppern schon herum, die Lämmer und die Hühner fühlen sich nicht mehr sicher. Können sie aber, mit dieser kleinen Wundertüte von einem Album.

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