Auf dem Podium des Kölner Bündnisses gegen Antisemitismus hatte der Videokünstler Boaz Kaizman eine erstaunliche Erklärung für die deutschen Reaktionen auf den Documenta-Skandal.
Podiumsgespräch in KölnWie antisemitisch ist der deutsche Kunstbetrieb?
Wie weit verbreitet ist der Antisemitismus im deutschen Kunst- und Kulturbetrieb? Zu dieser Frage hatte das Kölner Bündnis gegen Antisemitismus am Montagabend ins Hörsaalgebäude geladen, also eben jenes Bündnis, das in den letzten Monaten auch im Kölner Kulturbetrieb zwei tendenziell antisemitische Umtriebe ausgemacht hatte: die Online-Wiederaufführung des von Wajdi Mouawad verfassten Theaterstücks „Vögel“ am Schauspiel und die Präsentation eines Werks von Daniela Ortiz im Kölnischen Kunstverein.
An diese Fälle erinnerte der eigentliche Gastgeber des Abends, Johannes Platz, Vorsitzender der Deutsch-Israelische Gesellschaft Köln, in seiner Begrüßungsansprache – allerdings ohne näher zu erläutern, worin das für ihn jeweils „Skandalöse“ bestand. Bei Stefan Bachmanns „Vögel“-Inszenierung beließ er es bei dem Hinweis, dass eine jüdische Studentenorganisation in München die Absetzung des Stücks gefordert hatte, bei Ortiz‘ vierteiliger Bilderserie sah er sich offenbar dadurch bestätigt, dass der Kunstverein diese aus der Ausstellung seiner Jahresgaben entfernt hatte. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten von Bachmann und Kunstverein fand nicht statt.
In einem ähnlichen Duktus war der „Input“ des Publizisten Alex Feuerherdt über die deutschen Debatten zu BDS, Achille Mbembe und die Documenta 15 gehalten. Letztere beschrieb Feuerherdt als „antizionistischen Frontalangriff“, aus den verblendeten Aussagen einzelner Besucher leitete er ein allgemeines Einverständnis des Documenta-Publikums mit den von ihm pauschal als antisemitisch eingestuften BDS-Positionen ab. Es war ein Vortrag, der in seiner Glaubensfestigkeit, um Feuerherdt zu zitieren, einer Predigt an die Bekehrten glich.
Als zentraler Redner des Abends war der Kölner Videokünstler Boaz Kaizman geladen. Er hatte nach dem Documenta-Skandal um die Aufstellung des antisemitischen Taring-Padi-Banners einen offenen Videobrief an Hortensia Völckers, damals künstlerische Leiterin der Kulturstiftung des Bundes, verfasst, und sich bestürzt über die (ausbleibenden) Reaktionen in der Kunstszene gezeigt. „Nichts zu sagen, heißt viel zu sagen“, so Kaizman auf dem Kölner Podium. Als eklatanter Verstoß gegen die Menschenwürde greife Antisemitismus nicht nur Juden, sondern alle Menschen an.
Er sei kein professioneller Antisemitismusbeauftragter, sagte Kaizman, wie um seine erstaunliche Erklärung für das „duldende Schweigen“ der deutschen Kunstszene zum Documenta-Skandal zu entschuldigen. Diese lebe wegen der Digitalisierung in akuter Zukunftsangst, was sie anfällig für Verschwörungsmythen mache – und in Deutschland seien judenfeindliche Erzählungen stets schnell zur Hand. „Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht“, so Kaizman, „hält man den Mund.“
Der Publizist Werner Fleischer hatte etwas Mühe, diese These mit den üblichen Erklärungsmustern abzugleichen. So erschien Boaz Kaizman beinahe als Dissident des Podiums, zumal er die BDS-Bewegung lediglich teilweise antisemitisch nannte. Allerdings, so Kaizman, sei der BDS deutlich weniger attraktiv, sobald man die antisemitischen Anteile aus ihm entferne.