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„Little Boxes“So wird der Polizeiruf aus München: Die kurioseste Folge des Jahres

Lesezeit 3 Minuten
Die drei Schauspieler stehen nebeinander und schauen in die Kamera, im Hintergrund das Büro des Polizeipräsidiums.

Johanna Wokalek (Rolle: Kriminalhauptkommissarin Cris Blohm), Stephan Zinner (Rolle: Kriminalhauptkommissar Dennis Eden) und Bless Amada (Rolle: Kriminaloberkommissar Otto Ikwuakwu) 

Im neuesten Polizeiruf 110 mit dem Titel „Little Boxes“ geht es um den Umgang mit Vergewaltigungsvorwürfen. Es ist eine Satire zwischen Wokeness und Polizeiarbeit.

Am Sonntag kommt wohl der kurioseste Polizeiruf des Jahres ins Fernsehen. Die Folge trägt den Titel „Little Boxes“ und nimmt, so scheint es jedenfalls zuerst, „woke“ Akademikerinnen aufs Korn. Die ARD strahlt den Münchner Polizeiruf am 17.09. wie gewohnt um 20:15 Uhr aus. 

Der Fall beginnt wie üblich mit einer Leiche. Der Tote liegt nackt vor dem Institut für Postcolonial Studies und auf seinem Rücken steht das Wort „Rapist“ geschrieben, dem englischen Wort für Vergewaltiger.

Polzeiruf 110 zeigt in „Little Boxes“ eine Karikatur der Wokeness

Es ist der Einstand der Ermittlerin Cris Blohm (Johanna Wokalek), die aus einem Auslandseinsatz nach München zurückgekehrt ist. Nachdem sie für eine Diversitäts-Kampagne der Polizei posiert, wird sie mit dem Fall betraut – darf jedoch nicht mit ihrem langjährig bekannten Partner Dennis Eden (Stephan Zinner) den Fall leiten, der zum Zuarbeiter degradiert wird. Stattdessen wird ihr Otto Ikwuakwu (Bless Amada) zur Seite gestellt, der ihr – vielleicht wegen ihrer ersten Ablehnung - sehr kühl und schweigsam begegnet.

Da der ermordete Dawoud Alrashid (Lucas Janson) sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut herausstellt, geht es an die Uni. Die beiden Ermittler befragen „Profx“ Kim Hallstein (Lise Risom Olsen), eine Lehrperson, die sich nicht als Mann oder Frau identifiziert. Als Blohm und Ikwuakwu sich bei Hallstein über die Glaubwürdigkeit der Vergewaltigungsvorwürfe gegen Alrashid erkundigen, gibt Hallstein erste Einblicke in eine zur Ideologie zugespitzten Bewegung: „Unter patriarchalen Bedingungen kann es so etwas wie einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen Frauen und Männern grundsätzlich nicht geben.“ Alrashid sei also oder so nicht zu bemitleiden. Dem schließt sich auch die Frauenbeauftragte Dr. Salka Holm (Katrin Lux) an.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, allen voran Defne Şahinkaya (Canan Samadi) beschimpfen die Polizisten im Kollektiv, ganz nach dem Motto: „All cops are bastards“. Blohm ist nur eine „Kartoffel“ und Ikwakwu der „Hofkanake“, der auch mal was sagen darf. Um den Toten trauert niemand – er sei ja offensichtlich ein Vergewaltiger gewesen, Beweise brauchen sie dafür nicht. Und die einzige Studierende, die nicht sofort zu Beschimpfungen greift, zeigt sich ebenfalls misstrauisch über den Polizeibesuch.

Cris Blohm steckt in ihrem ersten Fall einiges weg

Die neuen Ermittler des Münchner Polizeirufs haben viel Potential. Es war hoffentlich nicht das letzte Zusammenspiel der quirligen Johanna Wokalek mit Bless Amada, dem man sofort eine Rolle als deutscher James Bond geben sollte.

Was den Inhalt der Folge angeht, war die Devise des Polizeirufs: Keine Angst vor Applaus aus der falschen Ecke. Der Krimi spitzt Positionen nicht nur zu, er stellt junge Akademikerinnen so dar, wie sie nur in den Köpfen von Rechtskonservativen existieren. Die Figuren sind so verbohrt, dass ein respektvoller Austausch unmöglich erscheint. In der Debatte um die Unschuldsvermutung wird auf Fälle wie Till Lindemann oder Luke Mockridge angespielt.

Wie man in der einen oder andere Tanzszene sieht, tut die Folge das auf eine Weise, die man wahlweise humorvoll oder albern finden kann, subtil ist hier aber definitiv nichts. „Little Boxes“ bietet damit den größtmöglichen Kontrast zum melancholischen Tatort der letzten Woche, in dem der größte Feind noch die Nazis waren, jetzt sind es die Linken. Gegen Ende versucht die Folge einen ernsten Spin. Hält man bis dahin durch, erlebt man noch eine eindrückliche Auseinandersetzung mit den Themen des Krimis. Die Folge dürfte bis dahin aber viele zum Abschalten genötigt haben.