Popstar im Kleid auf Vogue-CoverMänner, entdeckt eure weibliche Seite!
- In seiner Kolumne „Prominent verteidigt“ widmet sich Christian Bos mit Vorliebe Promis, die aus ganz unterschiedlichen Gründen in Verruf geraten sind.
- Diesmal: Als erster Mann hat es Harry Styles auf das Cover der amerikanischen Vogue geschafft. Er trägt ein Kleid. Das gefällt nicht jedem.
- Die fortschreitende Feminisierung der Männer sei eine Attacke auf die Werte des Westens, wurden Stimmen laut. Anderen gingen die „Vogue“-Fotografien dagegen noch nicht weit genug.
Köln – Der britische Popstar und ehemalige One-Direction-Mädchenschwarm Harry Styles hat es als erster Mann in der 127-jährigen Geschichte der „Vogue“ auf das Titelblatt des amerikanischen Modemagazins geschafft. Da kann man nun entweder nur gratulieren – zumindest für Styles läuft 2020 nämlich bestens, im August hatte er mit „Watermelon Sugar“ seine erste US-Nummer-Eins-Single. Oder man wartet auf kritische Stimmen, denn ein Traditionsbruch ist das ja schon.
An dieser Stelle muss ich meinen Einstiegssatz ein wenig relativieren. Es waren nämlich sehr wohl bereits Männer auf „Vogue“-Covern zu sehen – unter anderem Styles ehemaliger One-Direction-Kollege Zayn Malik als erster Muslim. Doch bislang stellten die Herren stets nur das schnieke Anhängsel einer glamourösen Frau dar. Malik beschmuste seine Freundin Gigi Hadid, so wie sich ein paar Jahre zuvor Kanye West ungewohnt bescheiden von hinten an den eigentlichen „Vogue“-Star Kim Kardashian kuschelte. Oder in grauer Vorzeit Richard Gere Cindy Crawford im Arm hielt und dabei ein schwarzes Jackett trug, und so vor allem als Werbefläche für die anderen Inhalte des Magazins diente.
Im berüschten Flamenco-Kleid
Aber: Es kam nichts. Keine Beschwerde. Jedenfalls nicht dergestalt, dass ein Mann nichts auf einer Frauenzeitschrift zu suchen habe. Stattdessen erregten sich rechte Lautsprecher über die Gewandung des stylischen Harrys. Der trug nämlich Kleid, was auf dem Cover-Brustbild der Dezemberausgabe kaum zu sehen ist, dafür jedoch umso spektakulärer im Heftinneren, wo der Sänger, die Frisur vom Wind zerzaust, auf einem Wiesenhügel unweit Londons posiert, in einem taubenblauen, üppig berüschten Flamenco-Kleid von Gucci. Stolz, sexy und sehr selbstbewusst wirkt der hosenlose Harry.
Doch diese Einschätzung teilt nicht jeder. „Bringt männliche Männer zurück“, forderte zum Beispiel die rechtskonservative US-Kommentatorin Candace Owens anlässlich des „Vogue“-Covers. Die fortschreitende Feminisierung der Männer sei eine Attacke auf die Werte des Westens. Genau wie der Marxismus. Keine Gesellschaft könne aber ohne starke Männer überleben. In der deutschen Übersetzung klingt das leicht neonazistisch. Hm. Wahrscheinlich kein Zufall.
Irgendwann ein alter weißer Mann
Anderen gingen die „Vogue“-Fotografien dagegen noch nicht weit genug. Bei den Aufnahmen handele es sich um klassisches „queer-baiting“. Meint: Sie sind nur ein Marketing-Trick, mit dem eine etablierte Marke mögliche LGBTQ-Kunden umwirbt, ohne ihre alte, heterosexuelle Zielgruppe vor den Kopf zu stoßen. Trotz seines femininen Auftretens kann Styles auf die übliche Liste wohlgeformter Fernsehmoderatorinnen, Supermodels und Popsängerinnen als Lebensausschnitts-Abschnitts-Partner zurückschauen. Er mag erst süße 26 Jahre alt sein, aber irgendwann wird selbst er ein alter, weißer Mann sein.
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Höchste Zeit, den guten Harry zu verteidigen. Erstens: Die Überlebenschancen nicht nur einer einzelnen Gesellschaft, sondern der gesamten Menschheit, erhöhen sich schlagartig, je mehr Männer ihre weibliche Seite entdecken und ausleben. Zweitens: Auch ein heterosexueller Mann, der sich in seinem Körper und mit seiner Sexualität wohlfühlt, kann vom Mainstream unterdrückten Minderheiten ein Bundesgenosse sein. Drittens: Wie viel kostet dieses sagenhafte Gucci-Kleid und wo kann ich es bestellen? Und: Gibt es das auch in XXL?