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„Falstaff“ im Schauspiel KölnKontrollverlust mit Biersponsor

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Szene aus „Falstaff“ im Schauspiel Köln  

Köln – Na dann, Prost! Was soll man anderes tun, als trinken, wenn einem Heinrich IV, König von England, höchstselbst die Kölschstange vorgesetzt hat? Heute also ein König. So stoßen die ruppigen Gesellen im Lokal zum Wilden Schweinskopf an.

Woraufhin sie John Falstaff, der dickste und trinkfreudigste der Runde, zurechtweist: Für Werbung wäre es noch zu früh. Beim letzten Wort zeigt er bauernschlau auf das Etikett seines Glases. Es trägt Namen des Biersponsors der Inszenierung.

So viel Product Placement muss sein, denn die große Bühne des Schauspiel Köln ist heute Abend eine Kaschemm, auf deren Bänken sich das Publikum verteilt, mittendrin statt nur dabei und Freibier für alle.

Aerosole spucken als gäbe es kein Morgen

Im Herbst des ersten Coronajahres hatte Jan Bosse zum Spielzeitauftakt „Warten auf Godot“ in Köln inszeniert, auch hier hatte der Regisseur das Publikum auf die Bühne geholt, allerdings vereinzelt und von den Schauspielern getrennt, die Samuel Becketts existenzialistisches Nullsummenspiel auf der Zuschauertribüne aufführten.

Seinen „Falstaff“ wollte Bosse eigentlich gleich danach auf die Bühne bringen, im buchstäblichen Sinn: Zuschauer und Akteure unter den Girlanden eines Festzelts vereint. Doch das Ende der Pandemie hielt es nicht anders als Godot und wenn wir ehrlich sind, verhalten wir uns derzeit alle, als hätten Wladimir und Estragon kurzerhand beschlossen, dass der Erwartete nun gekommen sei und redeten mit einem Geist. Jetzt sitzen wir also wieder eng an eng, in Schunkelnähe zum Shakespeare’schen Personal, das mit Bier schwappt und Aerosole spuckt als gäbe es kein Morgen.

Stückbrief

Regie: Jan Bosse

Bühne: Moritz Müller

Kostüm: Kathrin Plath

Musik: Arno Kraehahn, Carolina Bigge

Mit: Bruno Cathomas, Yuri Englert, Stefko Hanushevsky, Peter Knaack, Justus Maier, Jörg Ratjen, Katharina Schmalenberg, Kristin Steffen, Carolina Bigge

Termine: 1. 7.; 2., 3. 9., Depot 1, 195 Minuten, eine Pause

Und es macht Spaß, ja, es ist das größtmögliche Vergnügen, von der Spielwut des Ensembles mitgerissen zu werden. Die Botschaft des Abends ist so klar wie dünnes Bier: „Berauscht euch!“ Mit dieser Aufforderung entlässt uns Bruno Cathomas in die Nacht und man lässt ihn nur ungern ziehen, schließlich wurde er ganz offensichtlich geboren, um den Falstaff zu spielen, diese Personifizierung eines Lustprinzips, das die Zumutungen des Lebensernstes mit genialischen Ausflüchten abtut.

Das Stück setzt sich im Wesentlichen aus William Shakespeares zweiteiligen Historiendrama „Heinrich IV“ zusammen, ganz so wie Orson Welles’ Falstaff-Film „Chimes at Midnight“. Bosse und seine Dramaturgin Gabriella Bußacker haben großzügig gekürzt, um noch stärker den Konflikt zwischen der Staatsräson und dem privaten Recht auf Rausch herauszumeißeln.

Das Recht auf Rausch

Der wahre Gegenspieler von Cathomas’ schwankendem Schluckspecht ist denn auch Jörg Ratjens furchteinflößend unlustiger Regent. Mit schwarz umrandeten Augen und hochhackigen Stiefeln fährt er wie der Tod durchs rauschende Fest, und wenn er dem abtrünnigen Northumberland und seinem heißspornigen Sohn Percy entgegentritt, Teller und Weinkaraffe achtlos beiseite werfend, einen Tisch wie eine Waffe nach sich ziehend, möchte man sich am liebsten unter die nächste Bierbank verkriechen.

Justus Maier geht derweil völlig in der Rolle des aggressiven Hotspur auf – so ein Testosteronschub ist ja auch ein Rausch – und wenn er auf seinen walisischen Mitverschwörer Glendower trifft, hangeln sich beide im herrlich überdrehten Macho-Theater hoch. Stefko Hanushevsky hatte seine Figur mit einem absurden Power-Rock-Song eingeführt, in dem er sich zum einzig Auserwählten erklärt: „I am the chosen one“, improvisiert der Schottenrockträger im Rap-Part: „I’ve got no Hosen on.“ Die Herausforderer mögen Witzfiguren sein (bis auf Yuri Englerts Worcester, dessen sarkastisches „nice“ eiskalt klingt), die Herausforderung ist ernst.

Die schwere Bürde der Krone

Stellen muss sich ihr Katharina Schmalenberg als junger Prinz Hal, Sohn des vierten Heinrich und damit Thronfolger. Hal aber säuft, hurt und stiehlt lieber mit Falstaff, als die schwere Bürde der Krone zu tragen.

Gelegentlich haut er den armen Ritter auch in die Pfanne. Verkleidet sich und raubt ihm die Beute, die sich dieser gerade erst selbst erhamstert hatte. Und dies nur, um sich anschließend Falstaffs fantastische Erzählungen von der großen Überzahl der Feinde anzuhören. Wird er bei einer Lüge ertappt, setzt Cathomas noch eine dreistere hintendrein, hat er sich dann hoffnungslos verrannt, hebt er einfach das Glas und ruft „Themenwechsel“. Der Blick, den ihn Prinz Hal dann zuwirft, zeugt von rückhaltloser Bewunderung.

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Auf das Fest der Verantwortungslosigkeit folgt unweigerlich der Kater: Nach der Pause wird das Publikum wieder auf seine angestammten Plätze geleitet, auf der Bühne schlafen jetzt allein die Schauspieler ihren Rausch aus, Prinz Hal zwängt sich für einen letzten müden Spaß in ein zylinderförmiges Kölsch-Kostüm – „von der Prinzenrolle zur Bierdose“, kalauert er.

Doch kaum ist der alte König tot, obsiegt die so genannte Vernunft: Schmalenberg präsentiert sich geläutert dem Volk, ihr falsches Lächeln ernüchtert sofort, Falstaff und die alten Saufkumpane lässt der neue Herrscher in den Tower werfen, ein Lockdown als Lohn des Übermuts.

Wirklich Neues über den hohen Preis der Vernunft und die Notwendigkeit des Irrationalen hat Jan Bosse nicht zu sagen, doch das macht den Abend nicht schlechter, pulsiert er doch mit reiner Lebenslust. Und die trägt den Namen Falstaff. Wie es schon Shakespeares Julius Cäsar sagte: „Lasst dicke Männer um mich sein.“