Paula Pohlus gibt mit Eugène Ionescos Einakter „Der König stirbt“ ihr Kölner Regiedebüt. Der ist erstaunlich aktuell. Unsere Kritik.
Premiere im Schauspiel KölnWas einst absurdes Theater war, wirkt heute wie die Tagesschau
Eugène Ionesco schrieb seinen Einakter „Der König stirbt“ im Krankenbett, in der festen Überzeugung, dem Tod – von dem er als Junge glaubte, man könne ihm entkommen, in dem man sich ans Dahinsiechen klammere – nun endgültig ausgeliefert zu sein. Weil im Angesicht des Todes das Leben jedoch alles ist, erhob Ionesco seinen spießbürgerlichen Antihelden Behringer, der uns in „Die Nashörner“ noch als kleiner Angestellter begegnet war, zum König der Welt, zum seit Jahrhunderten regierenden Herrscher über neun Milliarden Menschen, Erfinder von Auto und Atombombe, Schöpfer der „Ilias“ und aller Stücke William Shakespeares.
Ein Jedermann im Größenwahn, ein Universalgenie, das hier zum infantilen Jammerlappen herabgewürdigt wird. Anfang der 1960er verstand Ionesco seinen Text jenseits der persönlichen Existenztragödie auch als Allegorie auf den Algerienkrieg und das Ende der französischen Kolonialherrschaft,
Paula Pohlus inszeniert das Drama des alten weißen Mannes
Diese historischen Bezüge sind verblasst, Paula Pohlus erkennt in Behringers Sterben das Drama des alten weißen Mannes, die große Boomerdämmerung. Die Regieassistentin gibt im Depot 2 ihr Kölner Regiedebüt und das fällt beachtlich aus. Zwar herrscht an Abgesängen aufs Patriarchat auf deutschsprachigen Bühnen kein Mangel, aber vieles versiegt in Wunschdenken, Polemik oder Pädagogik. Pohlus dagegen findet in „Der König stirbt“ die Innensicht des Angezählten, der hier in Echtzeit verendet.
„Du stirbst in anderthalb Stunden“, kündigt ihm seine erste Ehefrau Margarete an: „Am Ende der Vorstellung bist du tot.“ Was der Narzisst überhaupt nicht einsehen will: „Ich sterbe, wann ich will. Ich bin der König. Ich bin es, der bestimmt.“ Doch wie im elisabethanischen Theater entspricht der Körper des Königs dem Zustand seines Landes. „Ausradierte Städte, in Flammen aufgegangene Schwimmbäder und Kneipen, die leer stehen“, zählt Margarete auf. Die Feinde verschöben heimlich die Grenzsteine, die Jugend wandere in Massen aus, es seien nur noch tausend Greise da. Das klingt nach Deutschland anno 2024. Was einst absurdes Theater war, ist heute die Tagesschau.
Mit der Anspielung auf den beurlaubten Finanzminister sind Lacher garantiert
Als Julchen, die einzig verbliebene Bedienstete, dem tobenden König mitteilt, dass alle Minister im Urlaub seien, fragt der, vom Stücktext abweichend: „Auch der Finanzminister?“ Der Lacher ist garantiert, aber dass man sich im Hier und Jetzt befindet, hatte man schon vorher verstanden.
Pohlus hat sämtliche Rollen männlich besetzt, sie sind Repräsentanten einer moribunden Ordnung. Zum Introitus stoßen Henri Mertens (als Margarete), Nicolas Streit (als zweite Frau Maria), Sinan Güleç (als Arzt) und Kei Muramoto (als Julchen) in Blechblasinstrumente, vergeigen herrlich schräg den imperialen Marsch aus den „Star Wars“-Filmen, der Thronsaal besteht aus einigen im Halbrund aufgestellten Glaswänden (Bühne: Aline Larroque), ein roter Rollvorhang reicht nicht aus, die Sicht aufs leere Land zu verdecken. Nur wenn Julchen mal wieder im schmalen Spalt zwischen den Glaswänden stecken bleibt, zieht ihn jemand genervt vor die Klagende.
So richtig Fahrt nimmt die Inszenierung aber erst auf, als Benjamin Höppner schwankend die Szene betritt, sein roter Königsmantel ist ein gesteppter Babyschlafsack (Kostüme: Clara Bohnen), seine Rede irrlichtert zwischen Zimperlichkeiten und Allmachtsfantasien, er streckt sich seiner alten Würde entgegen, nur um im nächsten Moment wieder zu Boden zu gehen. Er greint, brüllt, jammert.
Er fleht, auf einer grauen Erdkugel schaukelnd, wie Miley Cyrus auf der Abrissbirne, singend die Sonne an: „Lass alle sterben, wenn ich nur ewig lebe.“ Doch alles ist vergebens. Höppner ist hier ideal besetzt, niemand sonst im Ensemble kann so komisch aufbrausen, niemand sonst so gründlich damit scheitern. Und weil Höppner dieses Scheitern völlig uneitel spielt, mischt sich Mitleid in den Spott.
Als der Hofstaat nach und nach im selbst erzeugten Nebel verschwindet, bleiben nur Margarete und Behringer übrig. Henri Mertens gibt die kühle Sterbehelferin, entkleidet den König in einem letzten Akt der Gnade von seinem aufgeblähten Ich: Das sei nur ein Schmarotzer, ein Efeu, unter dem sich die Mauer des Körpers krümmt. Der alte weiße Mann bleibt, bis auf die Unterhose entkleidet, im Dunkeln zurück, seiner Sinne beraubt, bald vergessen.