Die Abschlussklasse der Kölner Schauspielschule der Keller hat Martin Crimps modernen Klassiker „Angriffe auf Anne“ in die Jetztzeit gehoben.
Premiere im Theater der KellerAnne wird vermisst, aber wer genau ist sie?
Anne antwortet nicht. Bis zum Schluss bleibt sie stumm, ja unsichtbar. Der englische Dramatiker Martin Crimp wurde 1997 mit „Angriffe auf Anne“ international bekannt. Jetzt hat das Theater der Keller diesen Klassiker des postmodernen Theaters unter der Regie von Martin Schulze als Inszenierung für die Abschlussarbeit des 2021er-Jahrgangs der Schauspielschule der Keller gewählt.
Das Wechselspiel der Rollen mit insgesamt 17 Szenen ist wie gemacht, um bei dem jungen, durchweg hochtalentierten Ensemble ein Höchstmaß an Spielwitz zu wecken. Bevor es aber Gelegenheit gibt, sich auf der Bühne zu präsentieren, verharrt das Ensemble mit Masken ganz in Weiß im Hintergrund. Ein Anrufbeantworter irgendwo im Nirgendwo wird besprochen. Das Sammelsurium unterschiedlicher Nachrichten gilt Anne. Fortan werden immer neue Personen und Personengruppen die abwesende Anne im Spiel umkreisen, werden versuchen auszuloten, wer diese Anne ist.
Ist Anne eine Terroristin oder nur eine lustige Weltenbummlerin?
Da ist das kleine Mädchen, das Schutz bei den Eltern suchte, später dann aber zur Bomben legenden Terroristin wurde. Oder ist Anne nur eine lebenslustige Weltenbummlerin? Sie könnte allerdings auch das Opfer eines brutalen Krieges sein, bei dem eine mordende Soldateska die Zivilbevölkerung mit Folter und Tod überzog. Andere sehen in Anne eine bahnbrechende Künstlerin, die den Suizid (-Versuch?) zur Kunstperformance erhob. Immer wieder ändert sich das Bild, das die Personen von Anne machen. Wie unzuverlässige Erzähler einer Geschichte wirken die Sprechenden, bis langsam klar wird, dass wir nichts über Anne, aber dafür umso mehr über die Gesellschaft erfahren, die von ihr berichtet.
Obwohl die einzelnen Szenen teilweise abrupt enden, gelingt es der Regie, die „Angriffe auf Anne“ als eleganten Flow auf die Bühne zu bringen. Regisseur Martin Schulze verzichtet weitgehend auf Kostümwechsel und hält die Konzentration so ganz auf das Gesagte und das Spiel der Darsteller, die immer dann in Erscheinung treten, wenn sie ihre Maske ablegen. Durch kleine Veränderungen hat Schulze das Stück aus den 1990ern in die Jetztzeit gehoben. Der Drang, alles mit dem Handy festzuhalten, kommt jetzt ebenso zur Sprache, wie E-Autos als Statussymbol für eine neue Elite.
Annes beharrliche Abwesenheit ruft mal aggressive Ablehnung, mal haltlose Bewunderung hervor. Gerade noch wird über sie gnadenlos zu Gericht gesessen, da feiern andere sie im nächsten Moment wie einen Popstar. Nur einmal bricht eine der Erzählerinnen aus dem Fluss der Mutmaßungen aus. Annes angebliche frühere Vita als jugendlicher Pornostar wird zur Rechtfertigungs-Ode an eine skrupellose Sexindustrie. Die weibliche Stimme mag da nicht mehr folgen, während ein zweiter männlicher Part auf Englisch mit feister Cowboy-Attitüde das Ungeheuerliche des Gesagten relativiert. Die Mehrdeutigkeit, der von der Regie hier Raum gegeben wird, macht deutlich: Wir blicken nicht auf Anne, sondern in einen Spiegel.
Nächste Termine: 19., 20.11.; 4.,5. 12.; 5.1. 2025, Theater der Keller