Prominent verteidigtMonica Lewinsky ist keine Lachnummer, sondern eine Superheldin
- In der neuen Kolumne „Prominent verteidigt“ bewerten wir die schönsten Streits und Posts auf Instagram und Co.
- Monica Lewinsky hatte einst als Praktikantin im Weißen Haus beinahe Bill Clinton die Präsidentschaft gekostet.
- Zuletzt gewann sie durch einen schlagfertigen Tweet die Herzen des Internets.
- Zurecht, findet unser Kolumnist. Die Zeit ist reif, die skandalgebeutelte Frau auf einen Sockel zu stellen.
Am Anfang des Superheldinnen-Films „Captain Marvel“ stürzt die Titelheldin aus dem Weltall direkt in eine Blockbuster-Videothek. Das junge Zielpublikum begreift sofort, dass es einen Kostümfilm sieht. „Captain Marvel“ spielt in den 1990ern, einer fernen Vergangenheit, in der Menschen mit dem Auto in eine von Tausenden Blockbuster-Filialen fahren mussten, wenn sie sich zu Hause einen Film anschauen wollten.
Eine andere Möglichkeit, sich vor Augen zu führen, wie sehr sich die Gegenwart von der Welt vor 25 Jahren unterscheidet, besteht darin, noch einmal den Clinton-Lewinsky-Skandal Revue passieren zu lassen. Was ich just diese Woche getan habe, nachdem Monica Lewinsky das Kunststück gelungen war, unter Einsatz lediglich dreier Buchstaben durch die sozialen Medien zu kreisen.
Stand-up-Comedian Sarah Cooper, auch bekannt als Autorin des Buches „Wie man Erfolg hat, ohne die Gefühle von Männern zu verletzten“, verbreitete auf Twitter folgenden Rat an die jüngere Generation: „Macht Eure Fehler jetzt. Wenn Ihr erst mal 40 seid, werdet Ihr Euch kaum an sie erinnern!“ Was die inzwischen 46-jährige Monica Lewinsky lakonisch mit einem „Uhhhmmmmmm“ kommentierte und dafür von etlichen Usern als Tageskönigin des Internets gefeiert wurde.
Hochnotpeinliche Details
Für Nachgeborene: Als besagte Monica Lewinsky 22 Jahre alt war, ergatterte sie einen Praktikumsplatz im Weißen Haus, in unmittelbarer Umgebung des amerikanischen Präsidenten, der damals Bill Clinton hieß. Die Nähe zum notorischen Schürzenjäger aus Arkansas führte zu einer, na ja, Affäre. Beziehungsweise zu einer Abfolge sexueller Begegnungen, deren hochnotpeinliche Details bald der Stoff eines live im Fernsehen übertragenen Amtsenthebungsverfahrens waren. Clinton versuchte sich mit Formalien aus der Affäre zu ziehen, etwa in dem er behauptete, niemals Sex mit Lewinsky gehabt zu haben: Allerhöchstens, räumte er im Angesicht der Beweislast ein, hätte sie sexuelle Handlungen an ihm verübt.
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Clinton beendete seine zweite Amtszeit mit höheren Zustimmungswerten als jeder andere US-Präsident nach dem Zweiten Weltkrieg. Monica Lewinsky wurde zum Objekt schlüpfriger Witze. Sie ging an die Öffentlichkeit, sie zog sich ins Private zurück. Bewarb sich erfolglos für diverse Jobs, fing ein Studium in London an. Egal, was sie tat, die Schmach ließ nicht nach. Die Blicke, die Bemerkungen hinter vorgehaltener Hand. „Wie fühlt sich das eigentlich an, Amerikas Blow-Job-Königin zu sein?“, fragte sie ein Mann aus dem Publikum während einer TV-Show.
Ein klassischer MeToo-Fall
Was, wenn der Skandal heute ans Licht käme? Klar, das Internet hilft nun auch nicht gerade dabei, das Privatleben zu schützen, aber die sogenannte Affäre würde man jetzt doch als nahezu klassischen MeToo-Fall begreifen. Eine unbezahlte Praktikantin und der 27 Jahre ältere Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika: Das ist ein Machtgefälle in den Dimensionen der Niagarafälle.
Nein, die Zeiten sind nicht besser geworden, dazu muss man nur die Präsidenten vergleichen. Und doch hätte Monica Lewinsky heute eine viel größere Chance, gerechter behandelt zu werden, als junges und fast zwangsläufig naives Opfer einer patriarchalischen Gesellschaft. Stattdessen hat sie ein Jahrzehnte währendes „slut-shaming“, öffentliches Abstempeln als „Schlampe“, überlebt und ein simples „Uhhhmmmmmm“ genügt, um uns daran zu erinnern. Oder, hätten Sie mit Monica Lewinsky tauschen wollen? Eben. Weshalb wir Lewinsky zur Captain Marvel der MeToo-Bewegung küren sollten. Für mich ist sie eine Superheldin.