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Prominent verteidigtWarum wir David Bowie in der Krise mehr denn je vermissen

Lesezeit 3 Minuten

David Bowie – warum wir ihn jetzt mehr denn je vermissen.

  1. In unserer Kolumne „Prominent verteidigt“, springt Kulturredakteur Christian Bos alle zwei Wochen einer bekannten Persönlichkeit bei. Warum macht er das? Immer aus einem anderen Grund.
  2. Ein Popstar wird seit Jahren konsequent unterschätzt. Eine Schauspielerin gerade von einem Twitter-Shitstorm davon gefegt. Und manchmal ist es einfach Zeit, mal eine alte Geschichte neu zu erzählen.
  3. In dieser Folge schreibt er über David Bowie. Lesen Sie hier auch weitere Folgen.

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so viele Menschen brauchen werde, singt David Bowie als Ziggy Stardust in „Five Years“. Ein Gedanke, den wir nach Monaten in Einzel- oder Familienhaft sehr gut nachvollziehen können. Die fünf Jahre des Titels beziffern die Zeit, die uns laut Ziggy — dem androgynen außerirdischen Rockstar, der als Untergangsprophet zur Erde geschickt wurde — noch bleibt. Eine kurze Gnadenfrist, bevor alles vor die Hunde geht und die Zivilisation zusammenbricht. Das wüste Land, das uns nach der Apokalypse erwartet, beschreibt Bowie zwei Jahre später in seinem „Diamond Dogs“-Album, als könne er das Ende nicht abwarten.

Jetzt ist David Bowie schon fünf Jahre tot und sehr viel apokalyptischer hätten diese fünf Jahre kaum ausfallen können. Selbstredend gibt es da keine logische Verbindung. Aber man muss nur kurz darüber nachdenken, wie viel an- und aufregender der Sturz in den Abgrund der Geschichte mit Bowie als Prophet oder Chronist ausgefallen wäre, um festzustellen, wie sehr er fehlt.

Wie sehr er mir fehlt. Denn trotz der allseits bekannten politischen Ereignisse des Jahres 2016 und trotz der ominösen Häufung toter Musiker — Prince, Leonard Cohen, George Michael, um nur die berühmtesten zu nennen — bleibt es für mich das Jahr, in dem ich um David Bowie getrauert habe. In dem ich hunderte Male sein akustisches Vermächtnis „Blackstar“ aufgelegt habe, das zwei Tage vor seinem Tod erschienen war, in dem meine Lektüre hauptsächlich aus Titeln bestand, die ich auf der Liste seiner hundert Lieblingsbücher gefunden hatte, in dem ich nach Groningen gefahren bin, um die gerade dort Station machende „David Bowie Is“-Ausstellung zu besuchen, die um ein Kondolenzbuch ergänzt worden und deren Souvenirshop restlos ausverkauft war.

Ich fuhr auch nach London, wo die New Yorker Inszenierung von „Lazarus“ gastierte, der Produktion, mit der sich Bowie wenige Wochen vor seinem Tod den lebenslangen Wunsch vom eigenen Musical erfüllen konnte. Das Bühnengeschehen war dann letztlich weniger bemerkenswert, als die Stimmung im Parkett, in dem sich einander fremde Zuschauer zu einer homogenen Trauergemeinde vereinten.

Fünf Jahre nach seinem Tod strahlt Bowies schwarzer Stern heller als je zuvor. Ein Leuchtfeuer in dunklen Zeiten. Ein Himmelszeichen, so fix und verlässlich wie Shakespeare oder Beethoven. Niemand, den man verteidigen müsste.

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Und doch reicht meine Liebe zu David Bowie eben deshalb tiefer als zu vielen anderen Größen, weil das mal ganz anders war. Meine Freunde, mit denen ich in den 80er Jahren so gut wie jeden Nachmittag im Neubaugebiet vor dem C64 totschlug, fanden Bowie nämlich peinlich.

Die Kostüme, das Exaltierte, Outrierte und Frivole an seinen ständig wechselnden Bühnenfiguren. Und tatsächlich hatte Bowie ja in den 80ern seinen künstlerischen Nadir erreicht; er passte einfach nicht in eine Zeit, in der Nieselprime wie Phil Collins oder Mark Knopfler Stars werden konnten.

Mir fällt so gut wie nichts aus meiner Jugend ein, auf das ich im Rückblick stolz wäre, außer der Tatsache, dass ich David Bowie gegen allen Gruppendruck treu geblieben bin und ihn tapfer gegen meine Genesis und Jazzrock hörenden Freunde verteidigt habe.

So hat der Gestaltenwandler aus Brixton wohl Abertausende von Jugendlichen abgeholt, die sich irgendwie schief ins Leben gebaut fühlten (wie Joachim Ringelnatz das formuliert hat). Das Ultimatum von fünf Jahren, das er uns als Ziggy Stardust gegeben hat, waren einfach die Jahre, die wir als Teenager auf Erden wandeln. Die fünf Jahre, in denen wir selbst entscheiden können, was aus uns wird. Und für alle, denen da noch die Menschen fehlen, die sie brauchen, gibt es eben David Bowie.