Paluch spricht im Interview über die Verfilmung ihres mit Robert Habeck geschriebenen Debütromans „Hauke Haiens Tod“ am Samstag.
Prominentes Autoren-DuoWorum geht es im ARD-Film von Robert Habeck und Ehefrau Andrea Paluch?
Die Verfilmung des Romans „Hauke Haiens Tod“ von Robert Habeck und Andrea Paluch ist eine Art Fortsetzung des „Schimmelreiter“ von Theodor Storm. An diesem Freitagabend feiert eine Bühnenfassung des Romans Premiere am Deutschen Theater in Berlin, am Sonnabend ist die Filmfassung mit Detlev Buck ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen, vorab bereits in der ARD-Mediathek.
Ihren gemeinsamen Debütroman schrieben die Eheleute Habeck/Paluch 2001, nachdem sie zuerst lange als Übersetzerduo englische Lyrik ins Deutsche übertragen hatten. Danach schrieben sie ein rundes Dutzend gemeinsame Bücher, Radiogeschichten, ein Schauspiel über den Kieler Matrosenaufstand und mehr. Seit ihr Mann in die Politik gegangen ist, hat sie fünf eigene Bücher geschrieben, unter anderem die Geschichtensammlung „Wundervolles Dorfleben“ sowie die Romane „Zwischen den Jahren“ und „Gipfelgespräch“. Paluch stammt aus Niedersachsen, lebt aber inzwischen seit vielen Jahren in Schleswig-Holstein.
Frau Paluch, es ist mehr als 20 Jahre her, dass Sie Theodor Storms „Schimmelreiter“ in Ihrem ersten Roman „Hauke Haiens Tod“ weitergesponnen haben. Nun kommt Ihre Geschichte - zufällig zeitgleich - auf die Bühne und ins Fernsehen. Wie fühlt sich das an?
Andrea Paluch: Erst einmal total cool, weil der Roman nach 20 Jahren eine zweite Luft kriegt. Es ist neu aufgelegt worden, dann kam die Arbeit an Film und Theaterstück – und eine Übersetzung ins Dänische. Es fühlt sich an wie ein Revival, und das macht mich sehr stolz.
Hatten Sie Sorge, dass Ihre Geschichte für die Verfilmung entstellt wird?
Zunächst habe ich mich gefragt, wie gut der Stoff gealtert ist - und war positiv überrascht: Als ich das Buch für die Neuauflage noch einmal lesen sollte, fand ich es dann doch immer noch sehr gut - auch wenn sich mein Stil seitdem weiterentwickelt hat. Bei der Verfilmung war es ähnlich: Ich wusste ja, dass für einen Film ganz andere Ansprüche an eine Handlung gestellt werden als in einem Roman. Aber ich hatte großes Vertrauen in die Autoren des Drehbuchs, und tatsächlich haben sie das super gemacht. Der Film ist insgesamt wahnsinnig gut geworden: bildgewaltig, tolle Musik, Regisseur Andreas Prochaska ist der Hammer.
Weil Ihr Mann nach Ihrer langen gemeinsamen Arbeit als Autorenduo in die Politik gegangen ist, sucht mancher jetzt nach Anknüpfungspunkten in Ihren gemeinsamen Büchern. Haben Sie sich damals bei Ihrem Debüt für eine Fortsetzung des „Schimmelreiters“ entschieden, weil Theodor Storm so viele gesellschaftspolitische Anspielungen untergebracht hat, vom Kampf gegen die Naturgewalten bis zur Emanzipation der Frau?
Nein, und beides kommt in unserer Fortschreibung auch so direkt nicht mehr vor, höchstens in abgewandelter Form. Ich werde auch oft gefragt, warum es bei uns so wenig um den Klimawandel geht. Aber wir haben das Buch vor 20 Jahren geschrieben. Da war Klimapolitik noch ein Fremdwort in Deutschland – wenngleich damals schon sehr drängend. Aber unsere Überlegungen für unseren Debüt-Roman waren anderer Natur.
War es Heimatverbundenheit, weil es eine so stark norddeutsche Geschichte ist?
Nein. Als Anglistin war ich begeistert von „intertextuellen Romanen“, die sich auf Klassiker beziehen. Wir fanden dieses Genre unterrepräsentiert im deutschen Sprachraum und wollten selbst so ein Buch schreiben. Also haben wir die alten Klassiker wieder gelesen, die wir zuletzt im Abi als Pflichtlektüre vor uns hatten. Das allein war schon eine geile Erfahrung: Die Sprache, die einem damals so seltsam vorkam, findet man dann, nun selbst erwachsen, auf einmal toll - und sieht all diese Fragestellungen. Am Ende war unter all den deutschen Klassikern der „Schimmelreiter“ dann das Buch, das uns die meisten offenen Enden geboten hat. Diese vielen angefangenen Fäden und offenen Fragen - es hat sich quasi aufgedrängt, sie aufzunehmen.
Zum Beispiel?
Es sind so viele Figuren, die nur ganz kurze Auftritte haben, aber man ahnt, dass hinter jeder Figur eine Geschichte steht, die noch erzählt werden muss. Die größte Frage war bei uns aber: Warum fährt Hauke Haiens Frau mit dem Baby an den Deich, der gerade bricht? Wir hatten gerade selbst kleine Kinder und dachten: Nein, das tut sie nicht, sie bringt ihr Kind nicht in Lebensgefahr. Das muss also eine Lüge sein. Und dafür, dass sie selbst dahinfährt, muss ein sehr starkes Motiv vorliegen, was aber im „Schimmelreiter“ fehlt. Also haben wir diese Fragen mal beantwortet.
Bei Ihnen ist Hauke Haiens Tochter nie gestorben - und nun auf der Suche nach ihrer Identität. Die Fragen danach, was uns ausmacht, sind eine Meta-Ebene, die man bei Ihnen findet. Eine andere ist der Stadt-Land-Konflikt: Die Hauptfiguren pendeln zwischen dem sündigen Hamburger Rotlichtviertel und dem vermeintlich friedlichen Landleben. Warum fanden Sie diese Konflikte reizvoller als die bei Theodor Storm, bei dem es um „Aufklärung gegen Aberglauben“ und „Mensch gegen Naturgewalt“ ging?
Es sind zeitlose Themen. Die Suche nach den eigenen Wurzeln und den Folgerungen, die sich daraus ergeben: Habe ich Kontrolle über mein Leben, kann ich Verantwortung übernehmen, für mich, für andere? Das ist, kann man sagen, in unseren Büchern immer der Kern gewesen.
Danach haben Sie sich aber mehrfach an die Themen des Klima- und Umweltschutzes herangewagt, auch in Ihren Kinder- und Jugendbüchern. Wenn Sie „Hauke Haiens Tod“ heute schreiben würden, käme dann wieder mehr Sturmflut, mehr Deichbau, mehr Kampf des Klimaschützers gegen die verbohrten Dorfbewohner vor?
Grundsätzlich geht es in den Büchern ja nicht so sehr um Klimaschutz, sondern um Menschenschutz. Aus heutiger Sicht ist eher lustig: Hauke Haien lässt das Gefälle der Deiche abflachen, damit sich das anrollende Meer nicht mehr einnagt. Und zehn, 15 Jahre später war Robert in Schleswig-Holstein Deichminister - und hat genau solche Deiche bauen lassen.
Prophetisch.
Es war eher so, übrigens bei mehreren unserer Bücher, dass wir uns um Themen gekümmert haben, die „zukünftig“ waren. Die aktuell noch gar nicht diskutiert wurden. Nachdem die deutsch-deutsche Grenze weg war, haben wir zum Beispiel auch ein Kinderbuch darüber geschrieben, was passiert, wenn der Wolf zurückkommt. Das ist ein Dauerbrenner geworden, weil die Situation 20 Jahre später ja eingetreten ist. Insofern würde ich gar nicht Themen, die jetzt gerade superaktuell, intensivieren. Sondern man muss ein bisschen in die Zukunft denken und die richtigen Fragen stellen.
Der Stadt-Land-Konflikt ist ja inzwischen etwas paradox geworden, das zeigt auch das Beispiel des Wolfs: Heute idealisiert ein grünen-nahes Öko-Publikum, das in den Städten lebt, das Landleben als „Landlust“ und will die Reinheit der Natur bewahren. Während die Menschen, die auf dem Land leben, konservativer sind – und das ablehnen. Sie rümpfen die Nase über die Städter, die keine Ahnung hätten.
Ich habe lange auf dem Land und auch lange in der Stadt gelebt und bin heute viel in Berlin unterwegs. Und so sehr es stimmt, dass Leute aus der Stadt die Dinge oft anders bewerten als Leute vom Land, so sehr habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass man zusammenfinden kann. Als wir auf dem Land gewohnt haben, gab es einen festen Tag, an dem das Dorf sauber gemacht wurde, also gemeinschaftlich Müll gesammelt und so weiter. Da haben die einen mitgemacht, weil der rumliegende Müll hässlich ist, und die anderen für den Umweltschutz. Aber es ist ja egal aus welchem Grund, so lange der Müll verschwindet. Man kann Unterschiede leicht überwinden, wenn alle ein bisschen weniger egoistisch und etwas mehr solidarisch denken.