Köln – „Loverboy“ hieß der Tatort, der unmittelbar vor „Günther Jauch“ lief, und er gab den thematischen Auftakt zur Talkshow: Ermittler-Ikone Schimanski alias Götz George ist in dem Krimi Zuhältern auf der Spur, die junge Mädchen mit Liebesgesäusel gefügig machen und schließlich zur Prostitution zwingen.
Das Phänomen Loverboy sei inzwischen eine gängige Masche bei Menschenhändlern und Zuhältern, weiß Journalistin Rita Knobel-Ulrich zu berichten, die als Jauchs erster Gast zum Thema „Großbordell Deutschland – muss Prostitution verboten werden?“ zu Wort kommt. Sie hat in Bordellen und auf dem Straßenstrich im In- und Ausland recherchiert und zeichnet ein düsteres Bild der Zustände im Milieu der Sexarbeit.
Seit vor elf Jahren ein neues Prostitutionsgesetz in Kraft trat, das Sex-Arbeit legalisierte, haben Untersuchungen zufolge Menschenhandel und Zwang im Rotlichtgewerbe stark zugenommen – wie sehr, kann keiner so recht sagen, die Zahlenlage ist höchst unsicher.
Dabei hatte das als fortschrittlich gefeierte Gesetz das Ziel gehabt, Sex-Arbeit rechtlich wie jeden anderen Beruf zu behandeln. Prostituierten wurde damit die Möglichkeit geschaffen, eine Sozial- und Krankenversicherung abzuschließen und ihren Lohn im Streitfall einzuklagen.
„Der Job macht mir Spaß“
Das Hauptproblem dabei liegt für Uwe Dörnhöfer, zuständiger Kriminalpolizist für Rotlichtkriminalität in München, darin, dass man bei der Gesetzesänderung Prostitution zwar legalisiert, aber versäumt habe, sie zu regulieren. Da Sex-Arbeit nun rechtlich wie jeder andere Job betrachtet würde, sei es für die Polizei ungleich schwerer, Kontrollen in Bordellen durchzuführen und etwa Zwangsprostitution aufzudecken. Er spricht sich für größere Handhabe von Seiten der Polizei aus und will Sex-Arbeit für unter 21-Jährige am liebsten ganz verboten wissen.
Für Lena Morgenroth geht das am Kern der Sache vorbei. Die junge Frau arbeitet als Sex-Arbeiterin und sitzt als Vertreterin des horizontalen Gewerbes in der Runde. Sie hält die gesellschaftliche Nicht-Akzeptanz für das Hauptproblem ihres Berufes. „Der Job macht mir Spaß und bietet flexible Arbeitszeiten,“ verkündet sie, „außerdem bekomme ich direktes Feedback für meine Arbeit.“
Man glaubt ihr das sofort, und doch offenbart sich in ihrer Person die unglücklich einseitige Auswahl einer Frau aus ihrem Beruf. Morgenroth ist studierte Informatikerin, sie drückt sich eloquent aus, ist über die Gesetzeslage bestens informiert. Sie hält im Laufe der Sendung gleich mehrfach ein leidenschaftliches Plädoyer für ihre Branche und bringt damit Saarbrückens SPD-Oberbürgermeisterin Charlotte Britz auf die Palme.
Die Politikerin, einst Verfechterin des neuen Prostitutionsgesetzes, möchte die Sexarbeit inzwischen eingeschränkt wissen – wegen seiner Grenzlage zu Frankreich boomt der Sextourismus in Saarbrücken.
Bordellbesitzer fühlt sich verunglimpft
Eine Entwicklung, die auch Jürgen Rudloffs Interesse geweckt hat. Der Bordellbetreiber plant eine neue „Filiale“ in Saarbrücken. In verschiedenen Städten Deutschlands und Europas stellt Rudloff als Vermieter Räumlichkeiten für Prostituierte zur Verfügung – mit dem weiteren Geschäft der Frauen, so Rudloff, habe er nichts zu tun.
Überhaupt gibt sich Rudloff alle Mühe, als seriöser Geschäftsmann zu erscheinen. Etwas unbeholfen und umständlich verteidigt er sein Unternehmen und fühlt sich sichtlich ungerecht behandelt. Wer übrigens erwartet hatte, Alice Schwarzer unter Jauchs Gästen zu finden, wird enttäuscht. Gleichwohl geistert der Name ein ums andere Mal durch den Raum: So behauptet Rudloff, eine Fotografin, die in einem seiner Bordelle fotografieren durfte und sich negativ über die Zustände äußerte, sei von der Frauenrechtlerin gesteuert worden.
Rudloff ist peinlich genau darauf bedacht, eine Grenze zu ziehen zwischen seinem Gewerbe und dem Straßenstrich, so als ginge es um vollkommen unterschiedliche Dinge. Dass Zwangsprostitution in seinen Räumlichkeiten vorkomme, kann er allerdings nicht glaubhaft ausschließen.
Einseitige Auswahl der Gäste
Damit misslingt sein Versuch, als Vorzeigebordellbesitzer dazustehen, so, wie Lena Morgenroth in ihrer Rolle als Vorzeigeprostituierte penetrant am Thema vorbeiredet, wenn sie behauptet „der Mehrheit“ der Sex-Arbeiterinnen gehe es gut, und außerdem sei sie selbst keine Ausnahme: „Ich kenne so viele Frauen in dem Gewerbe, die kein Abitur haben, und die können auch auf sich aufpassen.“ Und es gebe ja auch noch die breite Masse der Prostituierten, die weder aus Spaß an der Sache noch aus Zwang arbeiteten, „sondern, weil sie versuchen, der Armut ihrer Länder zu entkommen.“
Soviel Zynismus macht einen dann nicht nur als Zuschauer langsam wütend, sondern auch Frau Knobel- Ulrich und Frau Britz, die Morgenroth Verharmlosung der Sache vorwerfen und außerdem bemerken, man rede am Problem vorbei.
Ist Jauch noch da?
Letzteres allerdings ist die Problematik der gesamten Sendung, in der Jauch selbst so ungewöhnlich still bleibt, dass man zwischendurch vermutet, er habe den Raum verlassen. Seinen Job als Moderator jedenfalls übt er an diesem Abend so gut wie nicht aus: Weder versucht er, Struktur in die Gesprächsrunde zu bringen, noch bemüht er sich, die Beteiligten zum angekündigten Thema der Talkshow zu befragen: Tatsächlich wird die Problematik der derzeitigen Gesetzeslage nur am Rande gestreift, lediglich Kriminalist Dörnhöfer versucht – auf angenehm schlichte und unaufgeregte Art – mit seinen Beiträgen in diese Richtung zu weisen.
Gegen die Mauer der emotionalen und unsachlichen Äußerungen kommt er aber leider nur selten an. Und Jauch kommt ihm nicht zur Hilfe.
Zum Schluss wendet sich der Moderator stattdessen an Lena Morgenroth, und verschiebt mit der Frage, wie denn ihr Umfeld auf ihren Beruf als Sex-Arbeiterin reagiere, den Schwerpunkt doch wieder in die moralische Ecke und damit endgültig weg von dem eigentlich interessanten und hochbrisanten Thema des Abends.