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Rechts-Links-WirrwarrWas tun, wenn sich Diktatoren und Populisten als Anti-Faschisten inszenieren?

Lesezeit 6 Minuten
Eine Nahaufnahme des russischen Präsidenten Vladimir Putin. Er trägt einen Anzug und ein hellblaues Hemd.

Der russische Präsident Vladimir Putin in der Novo-Ogaryovo Residenz

Herkömmliche politische Ordnungsbegriffe geraten zusehends durcheinander – was tun, wenn Wagenknecht und AfD dieselben Argumente nutzen?

„Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Nein, er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.“ Dieses Zitat ist fast 80 Jahre alt – und mutet mit Blick auf die Begriffs- und Ideenverwirrrungen der Gegenwart nahezu prophetisch an. Es wird dem italienischen Sozialisten und stalinistischen Renegaten Ignazio Silone zugeschrieben, der es 1945 anlässlich seiner Rückkehr aus dem Exil in sein Heimatland formuliert haben soll. Nun steht die Authentizität des Diktums auf wackligen Beinen – einzige Quelle ist Silones Freund, der Schweizer Essayist und Literaturkritiker François Bondy. Aber das ändert selbstredend nichts an seiner zukunftsträchtigen zeitdiagnostischen Bedeutsamkeit.

Tatsächlich erleben wir heute in unterschiedlichen Kontexten die Rückkehr des „Faschismus“ – was immer das konkret sein mag, der Terminus ist durch seinen verbreiteten Missbrauch als kommunistischer Kampfbegriff um einen Gutteil seiner Aussagekraft gebracht worden – im Gewand des „Antifaschismus“. Donald Trump will seinen berüchtigten Wahlkampfreden zufolge im Falle der Wiederwahl als US-Präsident den „deep state“ mit seinen „Sozialisten“, „Kommunisten“ und – nota bene – „Faschisten“ ausrotten, und Wladimir Putin begründet seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit der Notwendigkeit, das Nachbarland zu „entmilitarisieren“ und zu „entnazifizieren“. Der aus einer Familie von Holocaust-Opfern stammende ukrainische Staatspräsident Selenskyj wird im Zuge dieses Narrativs zum Kopf eines faschistischen Regimes.

Faschismus als politischer Kampfbegriff

Wir stoßen hier auf die bemerkenswerte Konstellation, dass Faschisten andere – und das keineswegs in lobender, sondern in diffamierender Absicht – als Faschisten bezeichnen. Es gibt gute Gründe, Putins auf imperialem Nationalismus und brutaler Unterdrückung jeglicher Opposition beruhendes Herrschaftssystem als faschistische Diktatur zu klassifizieren – was soll es denn sonst sein? Und die – übrigens völlig ungenierten – massiven Anleihen von Trumps Rhetorik an der „faschistischen“ Sprache eines Hitler oder Mussolini mit ihren innerstaatlichen Feinderklärungen sind so offensichtlich, dass die Causa keiner weiteren Erörterung bedarf. Vor seiner möglichen Wiederwahl muss es amerikanische Demokraten (der Terminus wird an dieser Stelle nicht parteipolitisch verwendet) in der Tat gruseln.

Strategisch wie taktisch liegt in beiden Fällen das aus der Arena des Kampfes um politische Begriffe und ihre Besetzung bekannte Verfahren der Inversion vor: Man dreht den Vorwurf, der einem gemacht wird, einfach um und wendet ihn gegen seinen Urheber: Du bist ja selbst derjenige, als welchen du mich brandmarken zu müssen meinst. Was Trump und Putin anbelangt, so ist diese Inversion offensichtlich haltlos, wenn nicht objektiv irrsinnig: Wer die Biden-Administration als faschistisch bezeichnet, weiß nicht – und will das auch gar nicht wissen –, wovon er redet. Aber darauf kommt es eben auch nicht an: Die von Trump auch anderwärts virtuos praktizierte Rhetorik der Inversion vermag einen eigenen suggestiven Sog zu entfalten, der seine Wirkung etwa auf die Wählerschaft nicht verfehlt – anders wären die Werte der steigenden Zustimmung zu Trump im Vorfeld des US-Präsidentschaftswahlkampfes nicht zu erklären. Und zweifellos erzeugt auch Putin mit dem konstruierten Narrativ der Faschismusbekämpfung in der Ukraine Massenloyalität im eigenen Land.

Rechtspopulisten beschreiben sich als letzte Bewahrer der Demokratie

Generell wenden Rechtspopulisten aller Herren Länder in diesen Tagen das Inversionsverfahren wirkungsvoll an: Die deutsche AfD, die es mit der Demokratie nicht gut meint – ganze Landesverbände werden vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingeschätzt, und ein Politiker wie Björn Höcke darf nach Gerichtsurteil ungestraft als „Faschist“ bezeichnet werden – geriert sich als einzige wahrhaft demokratische Kraft im Lande, die gegen das undemokratische Machtkartell der Systemparteien Volkes Stimme zu ihrem Recht verhilft. Und ausgerechnet die PiS-Partei, die in den vergangenen Jahren den polnischen Verfassungsstaat systematisch ramponierte, wirft der neuen demokratischen Tusk-Regierung vor, sie wolle die Demokratie abschaffen.

In Anknüpfung an das Silone-Zitat stellt sich freilich die Frage, warum eigentlich offensichtliche Faschisten sich üblicherweise leidenschaftlich dagegen wehren, als solche bezeichnet zu werden. Warum wählen sie das beschriebene Inversionsverfahren anstelle einer freimütig-selbstbewussten Eigendefinition: Ja, ihr habt ganz Recht, wir sind Faschisten, für uns ist dieses Etikett keine Beleidigung, sondern ein Ehrentitel. Silones Satz weist bereits den Weg einer Antwort: Der „klassische“ Faschismus ist historisch unrettbar diskreditiert und delegitimiert, der Versuch eines begriffspolitischen Facelifting wäre absehbar vergebens.

Niemand will sich als Diktator bezeichnen lassen

In gleicher Weise hat es übrigens der Angriff der Demokratie – und darauf könnte sie eigentlich stolz sein – an der Front der politischen Sprache geschafft, die „Diktatur“ ein für alle Mal zur sprachlichen No-Go-Area zu machen. Als die deutsche Außenministerin unlängst China eine Diktatur nannte, erntete sie dafür aus dem Reich der Mitte harsche Kritik.

Dabei wäre mit Blick auf das chinesische System an die alte amerikanische Redensart zu erinnern: Was aussieht wie eine Ente, was schwimmt und watschelt und quakt wie ein Ente, das ist auch eine Ente. Also: Das China des Staatspräsidenten Xi Jinping ist ganz offensichtlich eine Diktatur, oder gibt es etwa eine treffendere Bezeichnung? Aber auch hier stellt sich aufseiten der Angegriffenen anstelle einer selbstbewussten Adaption der Bezeichnung ein fast schon neurotischer Abwehrreflex ein: Der Diktator möchte unter keinen Umständen als solcher apostrophiert werden.

Wo sich Sahra Wagenknecht und die AFD treffen

Jenseits der so effizienten und zugleich durchschaubaren Sprachpolitik der Inversion ist freilich in diesen Tagen eine generelle Verwirrung der politischen Ordnungsbegriffe zu beobachten – und dabei geht es nicht nur um Begriffe, sondern eben auch um die Wirklichkeit, auf die sie sich beziehen. Der gute alte und als vorläufiges Erkennungsmerkmal auch brauchbare Rechts/Links-Code – er scheint ausgedient zu haben.

Wenn sich die Pro-Putin-Parteinahme der AfD von der des Wagenknecht-Lagers argumentativ nicht mehr unterscheidet; wenn bei antisemitischen Attacken ohne konkrete Kenntnis der Urheber nicht festzustellen ist, ob sie aus der extremen Rechten, der extremen Linken oder der islamistischen Fraktion kommen; wenn selbsternannte „Linke“ wie die Wagenknecht-Gruppe und früher schon die dänischen Sozialdemokraten eine Migrationspolitik befürworten, die andere mit einigem bösen Willen als „völkisch-faschistisch“ bezeichnen könnten; wenn sich also solchermaßen nicht nur Begriffe, sondern auch programmatische Orientierungen überkreuzen, verwirren und verknäueln, dann zeigt dies, dass hier Dinge grundsätzlich ins Rutschen gekommen sind.

Muss das, so könnte man fragen, unbedingt schlecht sein? Wer schon immer mit einer starren Rechts-Links-Kartografie und dem damit verbundenen Schubladen-Denken seine Probleme hatte, wird die neue Fluidität vielleicht begrüßen. Anlass zu Alarm aber gibt es, wenn sich im Zeichen besagter Verflüssigung die „alte“ extreme Rechte und die „alte“ extreme Linke verbünden und gemeinsam zum Sturm auf die Demokratie blasen. An der „coincidentia oppositorum“, dem Zusammenfall der Gegensätze also – in der aktuellen Politologie firmiert das Phänomen als Hufeisentheorie – ist bereits die erste deutsche Demokratie gescheitert.