Neue Netflix-Show„Queer Eye Deutschland“ verrät, warum der Kölner Dom wie Cher ist
Köln – Auf dem ersten Blick spricht nicht viel für Björn. Der 32-Jährige arbeitet auf dem Friedhof und scheint auch mit dem eigenen Leben abgeschlossen zu haben. Steht wie ein Fragezeichen in der Landschaft. Seine Dachwohnung hat er mit Borussia-Dortmund-Devotionalien dekoriert, sie sieht nicht viel anders aus als das Zimmer seines elfjährigen Sohnes. Björn ist allein erziehend, sein letztes Date schon länger her. Er hat eine gemütliche Figur, trägt T-Shirts in Tarnfarbenoptik und kichert nervös, wenn man ihn etwas fragt.
Ein hoffnungsloser Fall, so scheint es, selbst für die Coaching-Künste des fabulösen Styling-Teams aus fünf schwulen Personen, die in der ersten Folge von „Queer Eye Deutschland“ in den Männerhaushalt einfallen.
Das US-Original der Reality-TV-Serie war in den Nuller Jahren ein Überraschungserfolg. Damals hieß das Format noch „Queer Eye for the Straight Guy“ und das „Fab Five“-Team rüttelte ausschließlich solche heterosexuellen Problembären wie Björn aus dem Winterschlaf. Manche Kritiker warfen der Serie deshalb Stereotypisierung vor: Als wären alle LGBTQ-Menschen überdrehte Mode-Queens, die wie Regenbogen-Einhörner in die auszehrenden, aber irgendwie echteren Leben von Cis-Männern einfallen.
Netflix politisiert „Queer Eye“
Als Netflix „Queer Eye“ 2018 mit neuer Besetzung wiederaufleben ließ, gewann die Serie an Tiefe: Nun wurden auch Frauen, schwule und Trans-Männer umgestylt, vor allem jedoch ging es viel expliziter um das Problem der eigenen Wertschätzung. Also um die eben gar nicht so oberflächliche Frage, warum man sich überhaupt die Haare schön machen sollte. Zum ersten Mal outeten sich die Stylisten auch als politische Aktivisten.
Die neuen Fab Five unternahmen Ausflüge nach Australien und Japan, doch „Queer Eye Deutschland“ ist der erste eigenständige Länder-Ableger der Serie. Man könnte die deutschen Fab Fünf ebenso perfekt zusammengestellt nennen, wie ihr Loft hoch oben im Kölner Uni-Center, nur wachsen sie dem Zuschauer so schnell ans Herz, dass sich jeder Gedanke an Typenbesetzung verbietet.
Hähnchengewürz aufs Tiefkühlschnitzel
Zurück zu Björn, dem hoffnungslosen Fall, dem auf die Frage des Ernährungsexperten Aljosha Muttardi, welche Gewürze er beim Kochen benutze, nur einfällt, dass er mal Hähnchengewürz aufs Tiefkühlschnitzel geträufelt hat. Und als Jan-Henrik Scheper-Stuke, der superadrette Modeberater, wissen will, ob er schon mal Anzug getragen habe, antwortet Björn: „Ja, als Konfirmand.“ Auch der Versuch der nicht-binären Work-Life-Trainerin Leni Bolt auf einer leeren Bühne ein Date zu simulieren, endet im verlegenen Gekicher. Es ist zum Verzweifeln.
Doch als ihn die Fab Fünf gemeinsam auffordern laut nachzusprechen: „Ich bin ein toller und fürsorglicher Vater“, brechen bei Björn alle Dämme. Sind es die neuen Klamotten, die entrümpelte Wohnung, die entstruwwelte Frisur, oder ist es schlicht die versammelte Fürsorge, die den Alleingelassenen in ihre Arme nimmt, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn?
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Am Ende weint selbst der Sohn vor Glück. BVB-Fan Björn schaut dem gesichtstätowierten Stylisten David Jakobs in die Augen und stellt fest, „dass wir uns total ähnlich sind“.
Das einzige TV-Format, das jemals von Deutschland in die USA übertragen wurde, ist „Aktenzeichen XY ungelöst“. Und die deutschen Versionen amerikanischer Serien wirken oft wie eine Umstyling-Show im Rückwärtslauf. „Queer Eye Deutschland“ bildet die strahlende Ausnahme, eine Insel der Menschlichkeit im Meer zynischer Reality-Programme.
„Ist der Dom nicht wie Cher?“, fragt Aljosha Muttardi am Anfang der zweiten Folge, als der bordeauxrote Transporter der Fab Fünf durch Köln fährt. „Ganz viel Arbeit und er geht nie kaputt?“ Sind wir nicht alle ein bisschen wie der Dom? Jedenfalls ist „Queer Eye Deutschland“ ein Gerüst, an dem man sich lange festhalten möchte.