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Interview

Rage-Against-the-Machine-Gitarrist
Was Tom Morellos Mutter in den 1940er Jahren in Köln gemacht hat

Lesezeit 7 Minuten
Tom Morello wirft sich mit seiner Gitarre auf einem Festival in England in Pose.

Rage-Against-the-Machine-Gitarrist Tom Morello spielt am 26. Juni in der Kölner Live Music Hall

Tom Morello hat mit Rage Against The Machine und Audioslave Rockgeschichte geschrieben. Vor seinem Kölner Konzert am 26. Juni sprechen wir mit dem Gitarristen und Aktivisten.

Herr Morello, über die berühmte Hip-Hop-Crew Public Enemy haben Sie einmal gesagt: Wenn deren Alben keine Worte hätten, wären sie immer noch politisch revolutionär. Das trifft sicher auch auf Ihre Alben zu. Betrachten Sie Ihre gesamte Musikproduktion als politisch?

Tom Morello: Ja, das tue ich. Es gibt einen großartigen Text von Chuck D [dem Rapper und Vordenker von Public Enemy, die Red.], der von vielen missverstanden wurde. Er ist sehr einfach: „Der Rhythmus, der Rebell.“ Schon die Art und Weise, wie John Coltrane in den 1960er Jahren Musik spielte, deutete darauf hin, dass die Grenzen, von denen wir annahmen, dass es sie in der Musik gibt, nicht existieren. Ich würde daraus ableiten, dass die Grenzen, von denen wir glauben, dass sie in der Gesellschaft, in der Politik oder auch in Beziehungen existieren, vielleicht gar nicht so undurchlässig sind, wie wir glauben. Als ich in den frühen 90er Jahren meine Gitarren-Dekonstruktionen machte, stand das sehr im Vordergrund meiner Überlegungen. Sechs Saiten gegen das Imperium, verstehen Sie? Dieses Gitarrensolo kann Faschisten killen.

Sechs Saiten gegen das Imperium, verstehen Sie?
Tom Morello

Bevor Sie Ihre Band Rage Against the Machine gründeten, haben Sie Ihren Abschluss in Politikwissenschaft gemacht. Gab es eine Zeit, in der Sie eine Karriere in der Politik in Betracht gezogen haben?

Nicht wirklich. Als ich 19 Jahre alt war und in Harvard studierte, erlebte ich eine Art Offenbarung: Ich würde Gitarrist werden. Das war buchstäblich eine Berufung. Dennoch war mir immer klar, dass das Eintreten für einen radikalen gesellschaftlichen Wandel und soziale Gerechtigkeit ein Teil meines Lebens sein musste. Ich habe zwei Jahre lang als Sekretär für den US-Senator Alan Cranston gearbeitet. Er war ein ziemlich guter Kerl, in vielen politischen Fragen progressiv. Aber dieser Job gab mir die letzte Gewissheit, dass ich niemals eine Karriere in der Politik anstreben möchte. Diese Menschen und ihre Ämter sind völlig von den Spendengeldern von Reichen abhängig. Ich habe Cranstons Terminplanung gemanagt, ich weiß es. Ich habe gesehen, wie die Wurst gemacht wird, und es ist ziemlich ekelhaft.

Tom Morello spielt auf einem Festival, hinter ihm kann man eine Menge aus Zehntausenden von Zuhörern erkennen.

Tom Morello im Guitar-Hero-Modus

Zurück zur Musik: Am 26. Juni spielen Sie in Köln. Sie haben in so vielen Bandprojekten und unter so vielen Namen gespielt: Rage Against the Machine, Audioslave, The Atlas Underground, The Nightwatchman. Was erwartet uns, wenn Sie jetzt unter Ihrem eigenen Namen auftreten?

Alles ist erlaubt, alles ist möglich. Was mir an diesen Solo-Touren am besten gefällt: Ich kann meinen 22 Alben umfassenden Katalog frei erkunden. Es wird übrigens auch neues Material geben. Viele deutsche Fans von Rage Against the Machine und Audioslave konnten die Bands vielleicht nicht so oft sehen, wie sie es gerne getan hätten, obwohl ich mit Audioslave und auch mit den Prophets of Rage einige meiner besten Konzerterlebnisse in Deutschland hatte. Ich bin sehr stolz auf meine Gitarrenriffs von damals und fühle immer noch eine tiefe Verbindung und Liebe zu diesen Bands. Und ich kann es kaum erwarten, wieder in Köln zu sein. Nicht nur, weil ich so gerne Euren Dom besuche. Meine Mutter hat in den späten 1940er Jahren als Lehrerin in Köln gearbeitet. Da gibt es also einige starke Erinnerungen.

Wenn Sie jetzt all diese verschiedenen Projekte wieder aufgreifen, fühlt sich das wie ein großes Kontinuum an, oder gibt es völlig verschiedene Versionen von Tom Morello?

In der Vergangenheit habe ich meine Karriere tatsächlich strikt eingeteilt. Als wir Audioslave gegründet haben, haben wir weder Soundgarden [die ehemalige Band von Audioslave-Sänger Chris Cornell, die Red.] noch Rage Against the Machine gespielt. The Nightwatchman war ein rein akustisches Projekt, mit Atlas Underground wollte ich ein künstlerisches Statement für genau diesen Moment abgeben. Aber seit ich mit meiner Begleitband, dem Freedom Fighter Orchestra, toure, betrachte ich das Ganze als ein Kontinuum. Ich war Gitarrist, ich war Songschreiber, ich habe Riffs geschrieben. Diese DNA zieht sich wie ein roter Faden durch alles. Ich bewundere die Karrieren von Leuten wie Bruce Springsteen oder Jack White, die zwar viele verschiedene Versionen ihrer selbst erkundet haben, aber in ihrer Seele einen Nordstern verbergen, der ihre gesamte Arbeit leitet.

Warum Tom Morello Kollegen wie Bruce Springsteen und Jack White bewundert

Ich habe mich schon immer über Ihr Projekt The Nightwatchman gewundert: Da haben Sie 2003, als Gitarrenheld, der Abend für Abend in ausverkauften Stadien spielt, plötzlich beschlossen, sich als Singer-Songwriter zu versuchen, der in kleinen Clubs und Kaffeehäusern spielt.

Ja, das war ein bisschen wie Bob Dylan in Newport, nur eben andersherum: Ich habe die E-Gitarre beiseitegelegt, um die Akustikgitarre in die Hand zu nehmen, entgegen aller Vernunft und allem Kommerz. Ich hatte mir vor langer Zeit geschworen, nur das zu spielen, was ich spielen will, und das zu sagen, was ich sagen will. Meine Stimme als Singer-Songwriter in der Welt der Folkmusik zu entdecken, war eine Entscheidung, die sich für mich authentisch anfühlte. Als ich mit Audioslave auf Tour war, spielten wir in Arenen, und an meinen freien Tagen ging ich in Kaffeehäuser und zu Open-Mic-Abenden und spielte als Nightwatchmen mit der gleichen Überzeugung und Soulpower.

Ihr Gitarrenspiel ist ähnlich abenteuerlustig wie Ihre Karriere-Entscheidungen. Gibt es auch Momente, in denen Sie kreativ feststecken und keinen Weg nach vorne finden?

Ich begreife die vielen Klänge, die ich im Laufe der Jahre auf der Gitarre entwickelt habe, als verschiedene Farben, mit denen man malen kann. Da gibt es zum Beispiel dieses Whammy-Pedal, das wie ein Theremin auf einem Track von Dr. Dre klingt. Das ist für mich nicht ein einmaliges Gimmick, sondern eine weitere Möglichkeit, Töne zu erzeugen. Ich erweitere meine Palette. Manchmal, wenn ich versuche, mir ein Gitarrensolo auszudenken, ist es aber das Beste, einfach loszulassen. Vieles von dem, was zum Beruf des Musikers gehört, hat eher mit Handwerk und Verwaltung zu tun. Du gibst Interviews, kommst pünktlich zur Probe, schaffst dir einen Song drauf oder stellst den EQ auf dem Mischpult ein. Aber dann gibt es noch den anderen Teil, den eigentlichen Grund, warum man das macht: Man kann alles andere vergessen und sich auf die reine Kreativität konzentrieren. Dann spielt man wie mit einer Wünschelrute, bei der man keine Ahnung hat, was man finden wird.

Vergangenes Jahr wurde Rage Against the Machine in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. Sie gehören jetzt zum Establishment. Hat das gemischte Gefühle bei Ihnen ausgelöst?

Nein, im Gegenteil, ich bin sehr stolz darauf. Tatsächlich sitze ich inzwischen in dem Gremium, das jedes Jahr über die Aufnahme entscheidet. Die haben mich darin aufgenommen, weil ich mich so häufig darüber beschwert habe, wie schrecklich die Rock and Roll Hall of Fame ist. Seitdem sind eine Menge verdienter Künstler aufgenommen worden: Rush, Kiss, Stevie Ray Vaughan, Randy Rhoads, oder Judas Priest. MC5 haben es dieses Jahr geschafft, was großartig ist. Es gibt noch viele Künstler, die nicht in der Rock and Roll Hall of Fame sind und es verdient hätten. Aber ich glaube, dass Rage Against the Machine ganz zurecht auf dieser Liste standen.

Wir kämpfen um die Seele der Arbeiterklasse
Tom Morello

Das glauben wir alle. Darf ich Ihnen noch eine politische Frage stellen? In Deutschland und Teilen Europas erleben wir gerade den Aufstieg der extremen Rechten. Ihr Land ist dabei, Donald Trump wiederzuwählen. Wie schafft man es da, nicht zu verzweifeln? Und wie behalten Sie den Glauben daran, dass man mit Musik etwas verändern kann?

Man muss die Dinge in Ruhe analysieren; sie geschehen aus einem bestimmten Grund: Meiner Meinung nach erleben wir gerade das Scheitern der neoliberalen Doktrin, die eine Oligarchie bereichert und den Menschen aus der Arbeiterklasse das Gefühl gegeben hat, dass sie keinen Anteil an der Gesellschaft mehr haben – und keine Möglichkeit, sich gegenseitig zu helfen. In gewisser Weise kämpfen wir um die Seele der Arbeiterklasse. Ein Weg, das zu tun, ist, mit altbekannten Rassismen nach Stimmen zu fischen, Gemeinschaften zu spalten und zu erobern, jedes Thema zu verdummen und LGBTQ-Menschen zum Sündenbock zu machen. Der andere, bessere Weg heißt Solidarität. Zeitgleich mit dem schrecklichen Trumpismus in den Vereinigten Staaten sehen wir einen enormen Anstieg der Gewerkschaften und der Militanz von Menschen aus der Arbeiterklasse, die die neoliberale Politik sowohl der Clintons als auch der Bushs ablehnen, die einen anderen Weg suchen, wie die Gesellschaft aussehen könnte.

Und was ist Ihre Rolle als Musiker in diesen Kämpfen?

Sie wollen eigentlich sagen: Sie spielen diese Protestmusik seit 30 Jahren und sehen Sie, wo wir jetzt stehen. Ich antworte: Stellen Sie sich vor, wo wir stünden, wenn wir nicht 30 Jahre lang Protestmusik gemacht hätten.


Tom Morello tritt am 26. Juni in der Kölner Live Music Hall auf. Tickets gibt es hier.