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Rainer Osnoswski zur lit.Cologne 2021„Nur digital, dafür aber richtig“

Lesezeit 7 Minuten
Rainer Osnowski2_BorisBreuer

Rainer Osnowski

  1. Die lit.Cologne musste im vergangenen Jahr ausfallen, dieses Jahr kann sie nur digital stattfinden.
  2. Festivalchef Rainer Osnowski war anfangs enttäuscht, sieht aber nun das "Zwischenjahr" als große Chance.
  3. Wie das digitale Festival aussehen wird, verrät er ihm Interview.

Herr Osnowski, im Februar waren Sie noch sehr optimistisch, dass die lit.Cologne dieses Jahr wieder als Publikumsfestival stattfinden kann. Wann war Ihnen klar, es geht nur digital?

Uns hat immer die Hoffnung begleitet, dass wir mit der Verlegung des Festivals vom März in den Juni auf der sicheren Seite sein könnten, aber wir sind nun mal alle Pandemie-unerfahren, und deshalb gilt: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Wir haben uns täglich vor Augen geführt, was passieren kann. Vor fünf Wochen war uns aber klar, selbst mit eventuellen Modellregelungen, bei denen wir beim Land und der Stadt im Boot waren, wird das Ende Mai, Anfang Juni nicht klappen. Dann haben wir alles auf eine digitale Karte gesetzt, weil es keinen Sinn machte, bis zuletzt abzuwarten und dann eventuell alles absagen zu müssen. Deshalb gehen wir jetzt den digitalen Weg.

Es gibt also keinen Plan B, möglicherweise doch noch einige Veranstaltung vor Live-Publikum zu machen?

Es ist ein Festival und keine Einzelveranstaltung, das ist eine riesige organisatorisches Herausforderung. Wir bieten ja einen Festivalpass an, der 54 Veranstaltungen umfasst. Da können wir nicht eine rausnehmen und sagen, die ist jetzt hybrid. Wer darf dann kommen? Daher nun digital, dafür aber richtig.

Wie sehr mussten Sie das Programm verändern?

Wir hatten ein komplett fertiges Programm im März, das war bunt, facettenreich und tiefgründig, wie man es von uns gewohnt ist. Rund 100 Veranstaltungen. Dazu 80 Kinder- und Jugendbuch-Veranstaltungen, davon wiederum ein Großteil für Schulklassen. Letzteres mussten wir bis auf fünf Veranstaltungen streichen und haben es in den Herbst verlegt, wenn die Schüler:innen endlich wieder Normalität erleben dürfen! Teile des fest verabredeten übrigen Programms haben wir auf das nächste Festival im März verschoben. Von den also rund 100 geplanten Veranstaltungen im Erwachsenenprogramm, bilden wir die Hälfte jetzt digital ab.Was musste gestrichen werden?

Auf der Strecke geblieben sind vor allem Veranstaltungen, die einen hohen Lese/ Vorlese-Textanteil haben. Die digitale Erfahrung zeigt, dass Formate, in denen ellenlang vorgelesen wird, im Sinne des Zuschauers/ Zuhörers eher nicht so tragfähig sind. Wir haben daher die Leseanteile dramaturgisch eingekürzt, und konzentrieren uns auf das Gespräch. Der Großteil der Veranstaltungen sind jetzt 60 bis 70 ( 75) Minuten statt sonst meist 90 Minuten, der Leseanteil wird ungefähr ein Drittel statt der Hälfte ausmachen.

Wie sieht die digitale Umsetzung ansonsten aus?

Der größte Einschnitt für uns in diesem Jahr ist, dass unser Publikum nicht live vor Ort sein kann. Wir versuchen das als Herausforderung zu nehmen! Wir haben einen unserer größten und liebsten Spielorte, das Theater am Tanzbrunnen, gewählt und genau dort, wo sonst das Publikum sitzt, also mitten im Saal, ein kleines Studio eingerichtet. Es gibt zwei Sets, die wir extra haben bauen lassen und abwechselnd bespielen, um einen anderen Look zu etablieren. Ein Regisseur und dessen Team unterstützt, unsere Veranstaltungen für den Bildschirm zuhause zu inszenieren.

Wie viele wird live sein, wie viel aufgezeichnet?

Wir präsentieren ungefähr zwei Drittel live und der Rest ist aufgezeichnet. Bei aufgezeichneten Veranstaltungen haben wir somit die Möglichkeit, diese vor Erstausstrahlung zu bearbeiten, zum Beispiel diese zu untertiteln. Internationale Autor*innen werden somit ins Deutsche übersetzt, wir können darüber hinaus Untertitelungen auch für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen zur Verfügung stellen. Das Festival ist erstmals ortsunabhängig, somit haben wir die Chance aus verschiedenen Städten Deutschlands und natürlich aus dem Ausland die Mitwirkenden zusammenzuschalten und schöne lit.COLOGNE-Veranstaltungen zu präsentieren.

Muss man sich die Live-Veranstaltungen zu dem Zeitpunkt der Ausstrahlung anschauen oder stehen sie auch später zur Ansicht bereit?

Das ist der große Mehrwert an einem digitalen Programm: Unbegrenzte Zuschauerzahlen weit über die Grenzen Kölns hinaus und die Möglichkeit, die Veranstaltungen auch zeitversetzt oder gar mehrfach anzuschauen. Alle Veranstaltungen werden in der Regel bis Ende des Festivals plus sieben Tage anzuschauen sein. Es gibt ja bei der analogen lit.COLOGNE viele Besucher*innen, die gerne mehrere Veranstaltungen besuchen wollen, die aber oftmals parallel laufen. Dieses Jahr gibt es dieses Problem nicht. Man kann alles anschauen, eben auch später.

Welche anderen positiven Effekte hat die digitale Ausgabe noch?

Wir haben eine große Anzeigenkampagne bundesweit in den sieben größten Städten gemacht. Menschen, die in München und Berlin sind, und nicht nach Köln kommen, weil oft alles ausverkauft ist, können jetzt digital zuschauen. Nicht flächendeckend, aber bei interessanten Veranstaltungen für ein bundesweites Publikum mit neuen Zielgruppen werden wir auch zukünftig hybride Abende anbieten.

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Wie haben Sie das Programm inhaltlich ausgerichtet?

Für uns ist wichtig zu zeigen, dass es sehr interessante Neuerscheinungen im Frühjahr gibt, die ja sonst in diesen Zeiten etwas untergehen. Und wir greifen die politischen Themen wie den Klimawandel mit Abenden mit Frank Schätzing und Maja Göpel auf oder das in den Hintergrund geratene Thema der weltweiten Flüchtlingsproblematik. Dazu wird Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn dabei sein. Wir haben Hendrik Streeck zum Thema Corona eingeladen, wollen aber auch die aktuellen Themen über Corona hinaus bedienen. Wir bilden das aus unserer Sicht interessante Literarische ab, mischen uns ins aktuelle gesellschaftspolitische Geschehen ein, laden zu spannenden Begegnungen ein.

Mit wie vielen verkauften Tickets rechnen Sie?

Das können wir noch nicht sagen, wir hatten die Situation ja noch nie. Der Verkauf der Early-Birds-Tickets lief aber gut, obwohl die Leute bis auf 6 Veranstaltungen noch gar nicht wussten, welche Veranstaltungen es im gesamten Programm gibt. Der normale Festivalpass kostet 69 Euro, bei 54 Veranstaltungen sind das etwas mehr als 1,20 Euro pro Veranstaltung. Wir werden natürlich nicht die Besucheranzahl wie bei dem normalen Festival anziehen. Wir hoffen, dass die lit.COLOGNE-Liebhaber nicht länger auf IHR Festival verzichten wollen, auch wenn es dieses Jahr nur per Stream kommt, statt aus einem schönen Theater.

Welche finanziellen Folgen hat es, dass Sie zum zweiten Mal nicht das normale Festival veranstalten können? Ist die Zukunft der lit.Cologne gesichert?

Für uns ist das ein Zwischenjahr! Wir können eine lit.COLOGNE 2021 Dank der Unterstützung der Stadt Köln stattfinden lassen. Dieses Geld nutzen wir jetzt für die Umsetzung und eine Erweiterung des Festivals im Digitalen. Die dieses Jahr sicher geringeren Einnahmen werden durch die Hilfe der Stadt, unsere solidarischen Sponsoren, die an unserer Seite bleiben, und die Spenden der Besucherinnen und Besucher, die ihre Tickets behalten haben, abgefangen. Wir zeigen Flagge, wir sind da, und bereiten uns mit dem digitalen Geschäft aufs nächste Jahr vor. Die Zukunft und ein normales Festival 2022 sind erst einmal gesichert.

Bei allem Optimismus. Wie enttäuscht sind Sie, dass es keine Live-Veranstaltungen geben kann in diesem Jahr?

Als dieses wunderschöne Programm im März stand und wir stolz drauf schauten und sahen, wer alles zugesagt hatte, dachte man für einen Moment: „Nicht noch mal, das halten wir nicht aus.“ Zum zweiten Mal ein halbes Jahr investiert und dann alles absagen? Zumal uns die live-Begegnungen mit unseren liebgewonnenen Mitwirkenden und auch dem Publikum fehlen. Dieser beständige Austausch, bei dem auch sehr oft Ideen für die nächsten Ausgaben der lit.Cologne entstehen. Das war am Anfang schon bitter. Doch wir haben ja eine eigene, neue Digitalstrategie entwickelt, mit einem Team, das mit der Programmredaktion sofort in der Lage war, Ideen für diese neuen Formate zu entwickeln. Dann wurde es nach und nach vorstellbar und wir konnten das Tief überwinden. Es schmerzt immer noch, aber wir sehen das positiv als Übergangsjahr. Wir werden eine ganze Menge daraus mitnehmen für die nächsten Jahre. Insofern, um mit Hölderlin zu enden: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“!