Die vielfach ausgezeichnete Bildhauerin und Performance-Künstlerin wurde 80 Jahre alt.
Rebecca Horn gestorbenKunst als Erweiterung des Körpers
Es ist eine müßige Frage, welchen Weg Rebecca Horn in die Kunstwelt eingeschlagen hätte, wäre sie als Studentin nicht fast gestorben. An der Hamburger Kunstakademie arbeitete sie ohne Schutzmaske an Skulpturen aus Fiberglas und Polyester, vergiftete sich dabei die Lunge und musste beinahe ein ganzes Jahr in völliger Isolation im Sanatorium verbringen. Mit Gedichten und Zeichnungen hielt sie Kontakt zur Außenwelt, und nachdem Horn wieder entlassen wurde, zeigte sie mit ihrer Kunst, wie man sich buchstäblich zurück ins Leben tastet. Sie steckte sich Insektenfühler wie lange falsche Nägel auf die Finger, entwarf zirkushafte Korsettkleider oder stülpte sich eine mit Stiften gespickte Maske über, um damit auf eine Wand zu malen.
Im eigenen Körper gefangen
Sieht man Horns Performances aus den frühen 70er Jahren, ahnt man, was es bedeutet, im eigenen Körper gefangen zu sein. Am Anfang ihrer Karriere fand die Bildhauerin Rebecca Horn eine Zuflucht in der Körperkunst – bezeichnenderweise ohne den Weg des Schmerzes zu beschreiten. Während Künstler wie Marina Abramovic oder Chris Burden die Grenzen des Erträglichen bei ihren Performances immer weiter verschoben, entwarf Horn ein mit Federn verkleidetes Korsett und baute sich wie ein Falter mit großen Schwingen vor der Kamera auf. Aber so, wie sie die Flügel um ihren schmalen Körper schlang, wollte sie nicht davonfliegen, sondern sich im weichen Flaum verpuppen.
Im Laufe der 70er Jahre erfand sich Horn dann tatsächlich noch einmal neu, indem sie zu ihren Anfängen als Bildhauerin zurückkehrte. Sie begann, die scheppernd aus dem Schlaf erwachenden Maschinen zu basteln, für die sie weltweit berühmt wurde: ein Pfauenrad aus Aluminiumstäben, eine Malmaschine, ein motorisierter Blindenstock, der immer wieder ins Leere greift. Auch Horns Installationen beschworen Gefühle von Einsamkeit und Ausgeliefertsein herauf, doch der Erfahrungsrahmen weitete sich vom Biografischen ins Historische.
Einerseits ließ sich Horn von den Maschinenträumen der Surrealisten inspirieren und gab diesen eine weibliche Perspektive; andererseits griff sie immer wieder Themen der deutschen NS-Geschichte auf. Für die Skulptur Projekte Münster installierte sie kleine Hämmer in einem von der Gestapo zum Gefängnis umgebauten alten Zwinger, die sich so unermüdlich wie vergeblich durch die Wände zu klopfen versuchen; für ihre große Werkschau in der Berliner Nationalgalerie ließ sie einen Koffer mit Judenstern flügelschlagend eine Stange bis zur Decke hinaufsteigen und wieder abstürzen; und auf der Documenta IX schraubte sie Pulte und Tische unter der Decke eines ehemaligen Schulzimmers fest, um diesen Ort durch ein Geflecht gebogener Rohre symbolisch von den Geistern der schwarzen Pädagogik zu befreien.
Im Grunde waren aber auch Horns elektrisch angetriebene Skulpturen stets Erweiterungen ihres Körpers „melancholische Darsteller in völliger Einsamkeit“ hat Horn sie einmal selbst genannt. Ihre Maschinen rühren sich, sie lärmen und leben im Rhythmus einer durch kleine Motoren animierten Stoßatmung. Oft wirken sie dabei, als revoltierten sie gegen einen inneren Widerstand, mitunter fangen sie unsere Nöte aber auch auf so poetische Weise ein wie die Schalltrichter von Horns „Schildkrötenseufzerbaum“. Wenn sich dessen Geflecht aus Kupferrohren wie unter einem Windstoß schüttelt, beginnt der Baum von menschlichen Schicksalen zu erzählen.
Mit ihrem letzten Werkzyklus, den „Hauchkörpern“, kämpfte sich Rebecca Horn 2017 nach einem Schlaganfall noch einmal zurück ins Leben. Das titelgebende Werk dieser Reihe besteht aus zwölf Messingstäben, die, jeweils etwa drei Meter hoch, aufrecht in einer dunkelgrauen Stahlplattform stehen und sich langsam jeder in seiner Bahn bewegen. Obwohl sie einander nie berühren, scheinen sie sich gemeinsam wie Halme im Wind zu wiegen. Jetzt ist Rebecca Horn gestorben. Sie wurde 80 Jahre alt.