Andrew Scott spielt Patricia Highsmiths charmanten Serienkiller in diesem düsteren Achtteiler. Unsere Kritik.
„Ripley“ – neue Netflix-SerieWenn nicht einmal mehr das Morden hilft
Patricia Highsmiths Thriller „Der talentierte Mr. Ripley“ ist zweimal erfolgreich verfilmt worden. René Cléments „Nur die Sonne war Zeuge“ machte Alain Delon, so eiskalt wie begehrenswert, 1960 zum Star. Anthony Minghella verwendete für seine Version mit Matt Damon aus dem Jahr 1999 zwar den Originaltitel, nahm sich dafür aber größere inhaltliche Freiheiten heraus. Beiden Adaptionen gemein ist kulinarische Üppigkeit, mit der sie Italien als Kulisse von Tom Ripleys mörderischen Hochstapeleien in Szene setzen.
Dass sich Autor und Regisseur Steven Zaillian („Schindlers Liste“, „Gangs of New York“) entschieden hat, „Ripley“, seine TV-Neubearbeitung des bekannten Stoffes, in kontrastreichem Schwarz-Weiß zu drehen, sorgt für eine erste Irritation.
Schatten schleichen expressiv durch Treppenhäuser wie in einem frühen Film Noir von Fritz Lang, Menschen werden in edel eingerichteten aber unterbelichteten Apartments vom Dunkel verschluckt wie in Antonionis „La Notte“, und die Kamera fährt in elegant geschwungenen Bögen durch das nächtliche Rom wie in Fellinis „La Dolce Vita“. Zaillian hat die Handlung sogar eigens um wenige Jahre vorverlegt, in diese Glanzzeit des italienischen Kinos zu Anfang der 1960er.
Allzu süß erscheint das Leben hier freilich nicht mehr und auch den Intrigen und Identitätsdiebstählen des Anti-Helden geht jede Leichtigkeit ab. Nicht umsonst unterschlägt der Achtteiler das schmeichelnde Adjektiv „talentiert“ des Romantitels. Als wir Ripley zum ersten Mal in New York begegnen, fristet er ein prekäres Dasein als Scheckbetrüger, es geht um lächerliche Summen und seine Fähigkeiten als Fälscher sind begrenzt.
Andrew Scott ist Jahrzehnte zu alt für diese Rolle – aber das gehört zum Konzept
Der 47-jährige Andrew Scott – bekannt geworden als „Moriarty“ in „Sherlock“, berühmt als „Hot Priest“ in „Fleabag“ – ist rund zwei Jahrzehnte zu alt für die Rolle, aber auch das gehört zum Konzept. Der Möglichkeitsraum der Jugend hat sich längst zur schäbigen Einzimmerwohnung in der Bowery verengt, als Ripley von einem reichen Reeder beauftragt wird, seinen verwöhnten Sohn aus Italien zurückzuholen.
Dass dieser Dickie Greenleaf (Johnny Flynn) nur eine Zufallsbekanntschaft ist und kein enger Freund, wie dessen Vater glaubt, hält Ripley nicht auf. Einmal an der Amalfiküste angekommen, wird er unwiderstehlich vom Dolce-far-niente-Lifestyle des sorglosen Erben und seiner Freundin Marge (Dakota Fanning) angezogen. Dickie hält sich für einen Maler, Marge gibt vor, ein Buch zu schreiben, beide sind von schon cartoonhafter Talentlosigkeit. Heute, kein Zweifel, wären sie Reise-Influencer.
Für die Zuschauer ist jede Minute von „Ripley“ ein reines Vergnügen
Das muss man sich erstmal leisten können. Der Eindringling aus New York muss dagegen immer wieder etliche Treppenstufen steigen, um an die Hautevolee heranzureichen. Als Bildmetapher mag das selbst arg aufdringlich sein, entscheidend ist hier jedoch der Kontrast zwischen der schweißtreibenden Arbeit, die der soziale Aufstieg Ripley kostet, und der Mühelosigkeit, mit der das goldene Pärchen vom Strand zu Villa schlendert.
Nie zuvor war die Kluft zwischen Arm und Reich so groß, die Neuverfilmung trägt diesem Umstand Rechnung, indem sie die Reichen gelangweilter, die Armen verzweifelter und beide zu alt für dieses Gesellschaftsspielchen macht. Das artet, man ahnt es, in Arbeit aus. Nicht für die Zuschauer – jede Minute von „Ripley“ ist ein reines Vergnügen – wohl jedoch für die handelnden Personen. So nimmt der erste Mord von Ripley, der fast alle weiteren Handlungsstränge anstößt, fast eine gesamte Folge ein. Und an deren Ende scheint kein moralisches Gebot, sondern der schiere Aufwand gegen den Akt des Tötens zu sprechen.
Immer wieder drückt Zaillian auf die Bremse, verfolgt alltägliche oder illegale Vorgänge en détail. Nicht, damit man wie im Caper-Film die glatte Professionalität der Ausführung bewundert, sondern um die Hatz nach dem schönen Leben als Sisyphusarbeit zu zeigen. Was will dieser Ripley bloß? Scott spielt ihn als charmanten Soziopathen, das konnte man erwarten, aber hinter der aalglatten Fassade lauert todessehnsüchtige Müdigkeit. Er begehrt weder Frauen noch Männer, Menschen sind ihm Hindernis, allenfalls für solche seiner Klasse – Rezeptionisten, Concierges, Dienstmädchen – vermag er einen Rest von Empathie aufzubringen (und sie für ihn). Nur im Angesicht wahren Überflusses – einer Hotellobby in Rom, eines Palazzos in Venedig, eines Caravaggio-Gemäldes in einer Kirche – hellt sich sein Gesicht kurz auf.
Aber ist das überhaupt sein Geschmack? Das Projekt, sämtliche Gemälde des Barockkünstlers aufzusuchen, hat er sich von Dickie abgeschaut und wenn in der letzten Folge das nicht minder mörderische Leben Caravaggios erzählt wird, dann nicht, um Parallelen herzustellen, sondern um Ripley in schärferen Hell-Dunkel-Kontrast zu setzen: Wie soll man Leidenschaft fürs Leben entwickeln, wenn man nur das Überleben kennt?
„Ripley“ ist auf Netflix zu sehen