Der Musiker und Schriftsteller Rocko Schamoni über seinen neuen Roman „Pudels Kern“, die 80er, sein Schreiben, Depressionen und das Kölner Publikum.
Rocko Schamoni„Ich bin in St. Pauli fast zerschellt“
„Pudels Kern“ ist nicht Ihr erster autobiografischer Roman. Schon vor knapp 20 Jahren haben Sie „Dorfpunks“ geschrieben. Damals ging es um Ihre Jugendzeit auf dem Land. Warum haben Sie jetzt noch einen zweiten autobiografischen Roman geschrieben?
Rocko Schamoni: Ich habe eine Trilogie mit dem Hanser-Verlag vereinbart – die sogenannte „Freaks“-Trilogie. Der erste Teil („Große Freiheit“, 2019) spielt in den 60er-Jahren auf St. Pauli, der Hauptdarsteller ist ein gewisser Wolli Köhler. Der zweite Teil war „Der Jaeger und sein Meister“ (2021), der Hauptdarsteller war der nahezu vergessene Hamburger Künstler Heino Jaeger. Das waren die 70er-Jahre auf St. Pauli. Jetzt wollte ich die 80er-Jahre beschreiben und dann kam mir in den Blick, dass ich ja selber eigentlich das Top-Personal bin mit all den Leuten, mit denen ich damals zu tun hatte. Und dann fiel mir auf, dass das ja auch gleichzeitig der zweite Teil von „Dorfpunks“ ist.
Das heißt, „Pudels Kern“ ist gewissermaßen eine Fortsetzung von „Dorfpunks“?
Ja, man kann es quasi direkt hintereinander lesen. „Dorfpunks“ ist die Phase von 15 bis 19. „Pudels Kern“ setzt genau da an. Am Tag meiner Gesellenprüfung, wo ich dann das Haus meiner Eltern verlasse und nach Hamburg ziehe.
Wie aus alten Tagebüchern ein neuer Roman wird
Im Prolog des Romans ist von alten Kalendern und Tagebüchern die Rede, die Sie im Keller wiedergefunden haben und die Grundlage für „Pudels Kern“ waren. Wie stark sind diese Notizen eingeflossen? Waren das nur Erinnerungsanker zum Schreiben?
Nee, ich habe mich wirklich hingesetzt und mich das erste Mal in meinem Leben richtig darüber gefreut, diese idiotischen Kalender geführt zu haben. Ich war bis 1984 komplett unorganisiert und habe als Prokrastinator, der ständig alles vor sich herschiebt, immer alles vergessen und verschlampt. Und 1985 habe ich dann gedacht: „Okay, ich hole mir mal so einen Jahreskalender, diese kleinen Bücher, wo man seine ganzen Aufgaben reinschreibt“. Und von dem Jahr an habe ich das gemacht – glücklicherweise. Ich habe mir dann für 1985 bis 1992 die einzelnen Kalender hingelegt und konnte wirklich für jeden Tag genau sehen, was ich gemacht habe, wen ich getroffen habe, auf welcher Tour ich war, welche Platte ich wann, wo mit wem und womit gemacht, produziert, aufgenommen habe. Das war wirklich eine große Hilfe.
Wurde der Roman deswegen auch so anekdotisch? „Pudels Kern“ erzählt ja viele kleine Geschichten aus ihrem damaligen Leben.
Ich habe das so anekdotisch geschrieben, damit das Leute mitnimmt, die bei sogenannter ‚gehobener Literatur‘ eher aufgeben. Ich habe mich damals bei „Dorfpunks“ sehr darüber gefreut, dass sich Leute an mich gewendet haben und gesagt haben „Ich lese normalerweise keine Bücher, aber das habe ich jetzt gelesen“ oder „Ich habe mich darin wiedergefunden.“ Ich möchte mit diesem neuen Buch niemanden ausschließen, sondern gerne alle mit reinnehmen.
Außerdem gibt es halt wahnsinnig viele kleine Geschichten, die manchmal auch ganz lustig oder eben kurzweilig sind. Neben all den Zweifeln, neben all dem Versagen, neben all dem Kaputtgehen und Untergehen und den Drogen und dem Exzess.
Wie haben Sie es geschafft, diese ganzen Notizen in einen Roman zu packen? Das klingt ja erstmal nach ganz schön viel Stoff!
Ja, das ist tatsächlich so. Also muss man sortieren, man muss Prioritäten schaffen, man muss eine Dramakurve entweder im Kopf haben oder sich aufzeichnen. Ich klebe mir dann so große Papiertafeln an die Wände, so über zwei, drei, vier Meter, und da zeichne ich dann die Dramakurven über die Zeit ein. Ich habe an den Zeitläufen nichts verändert, ich habe es bloß mit den Worten so angeordnet, dass man das auch versteht, von der Bedeutung in meinem Leben. Und da muss man schon lange, sehr lange sortieren. Das Schreiben des Buches war bei mir zur Hälfte Sortieren von zeitlichen Ereignissen.
Der Reiz des Hamburg der 80er-Jahre
Sie erzählen in „Pudels Kern“ von ganz vielen verschiedenen Künstlern, Bands, Prominenten. Hatten Sie da Sorge, dass Sie jemanden mit Ihrem Roman verletzen können oder etwas schreiben, dass nicht so gut ankommt?
Nee, ich habe den ‚Toten Hosen‘ ihre Parts zugeschickt, Schorsch von den ‚Goldenen Zitronen‘ seine Parts. Ich habe alle vorher gefragt. Die meisten haben dann zurückgeschrieben: „Ja klar, kannst du machen, lass mich doch mal ganz kurz lesen, was du geschrieben hast. Dann geben wir das frei.“ Die lustigste Reaktion kam definitiv von Blixa Bargeld von den ‚Einstürzenden Neubauten‘. Dem habe ich auch so eine Anfrage geschrieben und da kam zurück: „Mir doch egal!“ (Schamoni lacht)
Um auch nochmal auf die „Freaks“-Trilogie zu sprechen zu kommen: Die spielt ja in Hamburg und St. Pauli, genau wie „Pudels Kern“. Was ist das Besondere an der Stadt beziehungsweise an dem Viertel?
St. Pauli ist in der damaligen Zeit ein Versteck gewesen. Man konnte dort wirklich abtauchen und verschwinden. Dieses Verschwinden aus der normalen Welt mit seinen normalen Konditionen, das war für mich als Neunzehnjähriger verheißungsvoll. Aber es war natürlich auch sehr zerstörerisch, wegen all der Substanzen. Ich konnte da nicht mit umgehen, ich bin da fast zerschellt. Aber es war trotzdem eine spannende und aufregende Zeit.
„Pudels Kern“ erzählt eben auch von Abstürzen und Depressionen. Wollten Sie dem genauso den Raum zu geben wie den schönen Geschichten?
Na ja, diese Idee „Opa erzählt vom Krieg und erzählt was von seiner herrlichen Jugend“ – die fand ich zu öde. Das war mir zu wenig. Ich wollte gerne mit aller Ehrlichkeit darüber berichten, wie es für mich gewesen ist, ohne es glattzubügeln.
Denn es geht in diesem Business – wie in den meisten anderen – ums Geld. Es geht um Ruhm, um Macht, aber vor allen Dingen ums Geld, und wenn man da nicht gefestigt genug ist, um damit umgehen zu können, dann gerät man ins Wanken. Über dieses Wanken wollte ich berichten – eben auch für junge Menschen im Kunstbetrieb, die sich Gedanken darüber machen, wie ihre eigene Zukunft aussieht. Denn das ist eben nicht nur schön, sondern es ist auch hart und häufig hoffnungslos.
Was das Kölner Publikum besonders macht
Sie sind ja gerade mit „Pudels Kern“ auf Lesetour unterwegs, waren auch schon in Köln.
Ja, ich komme sehr gerne nach Köln. Die Kölner sind so positiv und offen, vielleicht kommt das durch Karneval oder sowas. Ich weiß immer schon, wenn Köln vorbei ist, dass ich in anderen Städten nicht die gleiche Energie zurückkriegen werde. Das ist außergewöhnlich. Deswegen bin ich ein bisschen traurig, dass die Köln-Lesung schon vorbei ist.
Woran hatten Sie am meisten Spaß beim Schreiben des Buches?
Den meisten Spaß hatte ich bei den absurden Tour-Geschichten, wir haben viele idiotische Dinge gemacht und sehr viel Lehrgeld bezahlt, aber es hat Spaß gemacht. Wenn man diese Storys dann in Form bringt und die richtigen Worte findet, dann kann mir das auch selber noch so gehen, dass ich lachen muss.
Kurz zum Abschluss: Für wen könnte „Pudels Kern“ etwas sein?
Zum einen ist das ein ganz gutes Sittengemälde der Kunst-, Musik- und Pop-Welt der mittleren 80er-Jahre. Viele der Bands und Protagonisten dieser Zeit sind in diesem Buch nachzulesen, wenn man etwas darüber erfahren will.
Zum anderen ist es eben aber auch ein Buch über Depressionen und Selbstfindung. Da ich mein Leben lang mit Depressionen zu tun hatte, versuche ich auch immer darüber zu reden und kriege viel Feedback genau auf diesen Faktor des Buches hin, von Leuten, die unter diesem Problem leiden. Auch für diese Menschen ist das ein Buch mit Hinweisen. Gerade am Ende des Buches erkläre ich, dass man sich in diese Löcher nicht fallen lassen darf und dass es Wege aus den Löchern rausgibt.
Zur Person: Rocko Schamoni, geboren 1966, ist Musiker, Autor, Schauspieler und Bühnenkünstler. Bekannt wurde in den 1980er-Jahren als Musiker, arbeitete unter anderem mit den ‚Toten Hosen‘ und den ‚Goldenen Zitronen‘ zusammen. Seine Romane sind Bestseller, mit ihnen füllt er regelmäßig Hallen. Viele Jahre hat er unter anderem mit Schorsch Kamerun von den ‚Goldenen Zitronen‘ den Hamburger Szeneclub ‚Golden Pudel Club‘ betrieben.
In der ARD-Mediathek gibt es aktuell eine zweiteilige Dokumentation des NDR zur „Hamburger Schule“ zu sehen, ein Kapitel der deutschen Popmusik-Geschichte, die Rocko Schamoni und sein Umfeld in den späten 1980er- und 1990er-Jahren geprägt hat. Auch Rocko Schamoni selbst kommt in der Dokumentation zu Wort.
Buchinformationen: Rocko Schamoni: „Pudels Kern“. Hanserblau, 272 Seiten, 24 Euro.