Blixa Bargeld hat ein neues Einstürzende-Neubauten-Album veröffentlicht: „Rampen“. Ein Gespräch über Schlaflosigkeit, Krautrock und Humor.
Blixa Bargeld„Ich habe noch nie bewusst ein Stück von Taylor Swift gehört“
Blixa Bargeld, Ihre ersten Worte auf „Rampen“, dem neuen Album der Einstürzenden Neubauten, lauten: „Alles schon geschrieben, alles schon gesagt.“ Nach 44 Jahren Bandgeschichte ein verständlicher Seufzer!
Blixa Bargeld: Ja, das ist tatsächlich so. Auch in der aktuellen Besetzung spielen wir schon seit 25 Jahren zusammen. Am Anfang einer Arbeitsperiode mit den Einstürzenden Neubauten begebe ich mich nur sehr widerwillig in diese psychische Situation. Weil ich weiß, dass sie mich verschlingen wird. Ich wache morgens damit auf, insofern ich überhaupt geschlafen habe, ich beschäftige mich den ganzen Tag über damit und gehe abends damit ins Bett. Meiner Familie und dem Rest der Welt komme ich monatelang abhanden. Man merkt dem Text deutlich an, dass ich mich sträube, dass ich da eigentlich nicht hin will. Es wäre schlimmer, wenn das Stück nicht am Anfang, sondern am Ende der Platte stehen würde.
Sie litten während der Aufnahmen an einem „verletzungsbedingten Schlafentzug“. Was war geschehen?
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Ein Oberschenkelbruch. Ich saß im Rollstuhl im Studio und hatte eine extreme Insomnie. Ich war deswegen in einer Klinik und hatte mir nur für die Aufnahmen eine Auszeit genommen. Hätte ich nicht mit Menschen zusammengearbeitet, die ich seit Jahrzehnten kannte, wäre ich dazu gar nicht in der Lage gewesen. Das bedeutete aber auch, dass die Schranke zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein perforiert war. Wir haben sechs Versionen von „Everything Will Be Fine“ aufgenommen, und was ich da jeweils erzählte, ist zu 100 Prozent unterschiedlich.
Das Cover des neuen Albums ist schlicht gelb, nur mit Prägedruck versehen. Sie haben es selbst mit dem „Weißen Album“ der Beatles verglichen.
Das ist ein Spiel, ein Zitat. Auf dem ersten Neubauten-Album finden sie auf der Rückseite eine Anlehnung an Pink Floyds „Ummagumma“, bei „Perpetuum Mobile“ ist es eine Anspielung auf „Let it Bleed“ von den Rolling Stones. Diesmal kam von N. U. Unruh der Vorschlag, dass das Album „Gelb“ heißen sollte, wegen der Zeile in „Aus den Zeiten“: „Sing für mich in Gelb“. Jetzt also das gelbe Album. Man darf bei den Neubauten auch den Humor nicht übersehen. Ein bisschen davon haben wir schon.
Jetzt haben Sie sich gerade auf drei Rock-Klassiker bezogen, dabei gelten die Neubauten doch als die ultimativen Ikonoklasten der Rockgeschichte.
Ich bin nun mal mit dem Kanon der Rockmusik aufgewachsen und zusätzlich mit dem Kanon der deutschen Popmusik dieser Zeit. Und wo wir schon von Köln reden, muss ich noch sagen: insbesondere eben nicht mit der Berliner Schule, also Tangerine Dream, Ash Ra Tempel und Klaus Schulze, sondern tatsächlich mit den Bands aus Köln und Düsseldorf: Can, Kraftwerk, Neu!. Auf dem neuen Album gibt es Berührungspunkte mit Krautrock. Das hört man, diesen Hintergrund.
Inwiefern?
Ich habe Can dreimal live gesehen, zweimal mit Damo Suzuki und einmal ohne. Wenn Can gut waren, dann waren sie als improvisierende Band außerordentlich gut. Wenn die Neubauten gut improvisieren, dann ist da dasselbe telepathische Verständnis wie bei Can – wenn ich mich meinen Idolen so weit annähern darf.
Früher haben Sie unter anderem mithilfe von Stichwortkarten und Samples aus wissenschaftlichen Datenbanken improvisiert.
Das ist ein Spiel mit Aleatorik und Interpretation. Bei einer Live-Improvisation vor Publikum dagegen liegen der große Horror und die große Schönheit darin, dass man nie weiß, was der andere als Nächstes tun wird. Ich habe mir als Sänger ein Set an Textfragmenten in meinen Teleprompter geladen und versucht in dem Moment, in dem sich eine Improvisation entfaltet, darin etwas zu finden, was ich einbringen kann. Manchmal hat das funktioniert, manchmal habe ich es nach drei, vier Sätzen wieder fallen gelassen. In der endgültigen Version der Platte habe ich das alles so belassen. Weil dieses Verbinden von disparaten Ideen, diese Reibung, die zwischen zwei verschiedenen Dingen entsteht, wieder neue Fenster schafft.
„Rampen“ - im Sinn von „Abschussrampen“ – nennen Sie Band-intern diese öffentlichen Improvisationen im Zugabenteil ihrer Konzerte. Die bilden jetzt zum ersten Mal die Basis eines Albums.
Wir haben diese pragmatische Herangehensweise gewählt, weil wir wussten, dass Alexander Hacke nicht viel Zeit haben wird, sich mit dem Album zu beschäftigen. Da wir 2022 mit einem bestimmten Instrumentarium getourt haben, mussten wir jetzt nicht viel Zeit damit verbringen, neue Klangkörper zu erforschen, neue Materialien zu finden. Bei jeder normalen Band würde man ja sagen: Ist ja selbstverständlich, dass alles auf denselben Instrumenten gespielt ist, aber bei Neubauten ist es das eben nicht. Diese ganze Forschungsarbeit fiel weg. Deshalb haben wir diesmal nur drei Monate für das Album gebraucht, normalerweise sind es 12.
Was macht die Arbeit so aufwendig?
Wir haben drei große Lager in Berlin. Wenn wir beschließen, wir wollen jetzt mal wieder Sonnenbarke spielen, dann müssen wir das entsprechende Instrument erst aus seinem Lager transportieren. Diesmal habe ich vor allem an den Texten gefeilt, die mit Fleisch versehen, die Skelette christbaummäßig geschmückt.
Warum ist es für Sie so wichtig, am konkreten Objekt zu arbeiten? Depeche Mode, die in den 1980ern ja sehr von den Neubauten beeinflusst waren, haben solche industriellen Geräusche einfach als Samples abgerufen, die brauchten keine Lager.
Es hielt sich gerüchteweise die Geschichte, dass Depeche Mode Neubauten-Samples verwendet haben. Woher die genau stammten, das kann ich nicht beurteilen und ich bin mit den Jungs von Depeche Mode auch immer gut ausgekommen. Die Verknüpfung von Depeche Mode und uns ist übrigens Fad Gadget, also Frank Tovey, ein wunderbarer Typ. Der Produzent Gareth Jones hat damals im Berliner Hansa Studio mit Fad Gadget „Collapsing New People“ aufgenommen – eine direkte Anspielung auf die Einstürzenden Neubauten – und uns dazu eingeladen. Wir sind dann mit unserem Zeug da hingekommen und haben die Solos da drauf gespielt. Und in derselben Zeit hat Jones eben auch mit Depeche Mode im Hansa-Studio aufgenommen.
Sie haben später ebenfalls mit Gareth Jones gearbeitet.
Dazu muss man sagen, dass das die Zeit war, in der es den Begriff Sample noch gar gab. Es gab damals eine sehr, sehr teure Maschine, die in den besseren Studios verfügbar war. Ein Luxusgerät, das hatte einen Schalter, der nannte sich Login. Wir konnten einen Schlag auf der Metallfeder tun – Krunk! – und dann Login drücken und dann kam „Krunk!“ zurück, so oft man wollte. Aber das ist etwas, das die Neubauten komplett hinter sich gelassen haben.
Warum?
Weil wir keine Band sein wollten, die zusammen vor einem Monitor sitzt und Klötzchen schiebt. Das kann man als Duo so machen, aber die Chemie einer Band spielt da keine Rolle. Wir arbeiten seit Langem wieder komplett traditionell, nehmen alle gemeinsam im selben Raum auf, bis wir haben, was wir haben wollen.
Aber wie entsteht aus diesen Rampen, diesen Improvisationen, am Ende ein roter Faden, der ein Album zusammenhält?
Es gibt mehrere rote Fäden. Ich nenne die auch Strata, also im geologischen Sinn. Schichten, anhand derer man sieht, da sind Brüche, dort sind Verschiebungen. Ich könnte unser Werk komplett querlesen, von den Sachen, die wir in den späten Achtzigern getrieben haben, bis zu den neuen Stücken. Meine Texte schöpfen vor allem aus wissenschaftlichen Metaphern. Astronomie und Biologie, Geologie und Linguistik. Sprache, Identität, Existenz und Mythologie - als Muster, das es ermöglicht, die Erkenntnisse einer vorsprachlichen Zeit zu vermitteln.
Und all das ergibt dann einen typischen Bargeld-Text?
Ja, das sind die Dinge, die sich seit 20, 30 Jahren durch mein Denken ziehen. Ich bin jemand, der mithilfe einer Band denkt. Ich versuche, durch die Musik eine Erkenntnis zu gewinnen. Das sind bestimmte Fäden, die sich auch durch drei oder vier Platten ziehen können. Auf dem neuen Album geht es häufig um Sprache und um das Bedürfnis, Sprache hinter sich zu lassen. Das setzt sich fort bis zum letzten Stück „Gesundbrunnen“: „Wir klinken uns aus der Evolution.“ Der Song war ursprünglich nichts weiter als die Beschreibung der Unterseite eines relativ hässlichen Teppichs. Und dann fingen die Metaphern an zu wuchern: Knoten, Verknüpfungen, das Bild, das oben entsteht.
Bereits im Stück davor, „Trilobiten“, waren Sie im Frühestem angekommen …
Ja, vor der Geschlechterteilung.
Vom Wunsch, sich neu zu entwerfen, uneindeutig, „non-binary“, singen Sie bereits auf Ihrem 2020er-Album „Alles in Allem“. Ein Thema, das nicht nur im Neubauten-Kosmos virulent ist. Gehen Sie mit der Zeit, oder sind das zufällige Übereinkünfte?
Alles, was ich singe und schreibe, hat in meinem Leben irgendeinen Anker. Ich würde niemals sagen, ich schreibe über irgendetwas, in dem Sinne, dass ich jetzt zum Beispiel etwas über den Hamas-Überfall in Israel schreibe. Aber alle diese Dinge finden natürlich ihre Resonanz, ihren Niederschlag.
Im Untertitel haben Sie das neue Album „Alien Pop Music“ genannt. Beschäftigen Sie sich eigentlich noch mit irdischer Popmusik?
Nein, meine Bandkollegen wissen da wesentlich besser Bescheid als ich. Ich weiß von nichts, habe zum Beispiel noch nie bewusst ein Stück von Taylor Swift gehört. Allerdings bewundere ich ihre glückvolle Unverschämtheit, ein Album einfach nochmal aufzunehmen, um es der Plattenfirma zu entreißen. Das finde ich ein herrliches Konzept. Doch, Billie Eilish kenne ich, weil mein Sohn das hört. Die Art, wie das produziert ist, die finde ich ziemlich gut.
Das neue Album der Einstürzenden Neubauten „Rampen (APM: Alien Pop Music)“ ist bei Potomak / Indigo erschienen.
Am 14. September 2024 spielen die Neubauten im Kölner E-Werk. Karten dafür gibt es hier.