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Musiker Rocko Schamoni„Viele Künstler werden demnächst Schuhe für Zalando austragen"

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Rocko Schamoni

Köln – Rocko Schamoni, bürgerlich Tobias Albrecht, ist ein Urgestein der Hamburger Szene, ob als Musiker („Der Mond“), Autor und Theatermacher („Dorfpunks“) oder Mitglied des Telefonstreich-Trios Studio Braun (zusammen mit Heinz Strunk und Jacques Palminger). Derzeit ist Schamoni mit seinem neuen Album "All ein“ auf Tour. Am 30. August tritt er im Kölner Gloria auf. Im Gespräch äußert sich der 56-Jährige offen über das Älterwerden im Showgeschäft und die Angst um die eigene finanzielle Zukunft: Nach zweieinhalb Jahren Pandemie, so Schamoni, bleibt gerade bei den kleinen und mittelgroßen Acts das Publikum aus.

Rocko Schamoni, in vielen Liedern Ihres neuen Albums „All ein“ geht es um eine Selbstbefragung, eine ziemlich radikale sogar...

Rocko Schamoni: Ja, das könnte man so sagen. Das ist auf jeden Fall eine Begegnung mit mir. Es war ja niemand anderes da, Corona hat das nicht zugelassen.

Den fassungslosen Blick in den Spiegel, den sie im Stück “Das bin ich nicht” beschreiben, können wahrscheinlich viele ältere Menschen nachvollziehen ...

Zuerst ist das nur eine spielerische Ablehnung, aber ab 45 wird das schockierende Element da drin immer stärker: Man hat von sich selbst ein inneres Bild abgespeichert, das vielleicht so um 35 liegt. Wenn man das dann mit dem Spiegelbild abgleicht – das ist ein merkwürdiger Effekt.

Ich kenne das von Konzerten. Man denkt: Oh Gott, hier sind ja nur alte weiße Männer, dabei sieht man exakt genauso aus. Wie ist das, wenn man auf der Bühne steht, als Popstar im weitesten Sinne?

Wie gesagt, solange ich mich nicht im Spiegel sehen kann, empfinde ich mich nicht so. Umso schockierender ist es nachher auf Fotos festzustellen, was die Leute gesehen haben. Sonst setze ich mich aber nicht mit dem Fakt auseinander, dass ich eigentlich gar nicht mehr auf der Bühne stehen sollte.

Warum ältere Leute einfach komischer sind

Das tun die Rolling Stones doch auch nicht!

Genau. Für mich ist auch noch ganz entscheidend, dass ich persönlich die Komik von älteren Leuten viel besser finde als die von jungen Leuten. Je älter jemand ist, je mehr er zu verlieren hat, desto komischer ist der Witz. Die besten Beispiele dafür sind Louis de Funès oder der reife Helge Schneider, der ja auch nie als jugendlicher Held aufgetreten ist. Da wird der Humor erst zu dem, was er sein kann.

Gab es eigentlich auch schöne Aspekte des für sich alleine Arbeitens?

Ja, am Anfang habe ich einfach so vor mich hin gedaddelt. Aber dann hat sich irgendwann eine Art von Meditation dabei eingestellt, kam so eine Art von Rausch auf. Ich hatte vielleicht keinen Kontakt zu anderen Musikern, aber die Musik ist dennoch da und sie wird in die Welt kommen, wenn ich sie herein lasse, ich bin das Medium und der Door Opener. Das war schon viel mehr, als nur während der Seuchenzeit einem Hobby zu frönen. Da habe ich gemerkt: Ich bin halt Musiker und ich kann viel mehr, als ich dachte.

Bei „Rocko Schamoni“ denkt man an lustige Zeilen, an Studio Braun oder an die Romane. Also ans Wort. Diesmal finde ich gerade die Instrumentals sehr gelungen.

Danke, das freut mich.

Und Sie sind in einem kleinen Hörspiel in den virtuellen Dialog mit Romy Schneider getreten!

Das war einer der schönsten Momente, weil ich so ein Fan von ihr bin. Ihre Stimme ist im deutschen Raum völlig unvergleichlich, die kann man sofort unter Hunderten erkennen. Ich habe also ihre stärksten Sätze aus ihren Filmen mitgeschnitten und transkribiert und aufgeschrieben und mir dann eigenen Sätze dazugeschrieben – und so entstand dann diese merkwürdige kleine Begegnung. Das hat mir eine tiefe Freude bereitet.

Ein Auftritt vor nur 46 Zuschauern

In ihrem Song „Ich und mein Schatten“ singen Sie von Depressionen. In einem anderen Gespräch haben sie erzählt, wie Sie schon eine schlechte Rezension in den Abgrund stürzen kann. Wie fühlen Sie sich jetzt, wo auf vielen Konzerten mittlerer Größe das Publikum ausbleibt?

Das habe ich gerade am eigenen Leib erlebt. Vor drei Tagen bin ich in Fehmarn aufgetreten und da kamen sowas wie 46 Zuschauer. Die waren total gewillt, und bester Laune und haben alles versucht, um mir den Abend so zu versüßen wie ich ihnen – aber bei 46 Zuschauern kommt keinen keine Euphorie auf. Da fehlt das Feuer. Das wirft mich dann beim doch sehr stark zurück, weil ich quasi dann wieder da bin, wo ich vor 35 Jahren oder 40 Jahren angefangen habe. Als ob in der Zwischenzeit nichts passiert wäre. Das hat mich tagelang aus der Bahn geworfen, weil ich mir gedacht habe: Das schaffe ich jetzt nicht noch einmal, wieder von vorne anzufangen und um jeden einzelnen Zuschauer zu kämpfen. In Köln, München oder Hamburg wird das nicht so sein, da kommen zwar ein paar hundert Leute. Aber eine Viertelung der Zuschauer bleibt festzustellen, wo früher 800 kamen, kommen heute circa 200, das ist nicht nur finanziell schwierig, das macht auch weniger Spaß.

Auf dem neuen Album singen Sie die Zeile „Ich spüre, ohne euch bin ich nichts“ ...

Absolut.

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Rocko Schamoni übt schon mal das yogische Fliegen

Das geht ja gerade ganz vielen Kulturschaffenden so, auch Theaterleuten. Überall dort, wo ein etwas älteres Publikum angesprochen wird und wo die Veranstaltung nicht den Eventcharakter eines Rolling-Stones-Konzertes hat, bleiben die Säle leer.

Ja, genauso ist es. Die Toten Hosen, Rammstein, Jan Delay: Alle großen Acts kommen mit der Situation gut zurecht. Auf Facebook oder Instagram sieht man die Videos mit den hüpfenden Massen. Aber bei den Acts, die im kleinen oder mittleren Segment arbeiten, gibt es enorme Einbrüche. Das bedeutet nicht nur für die Auftretenden, sondern auch für alle Zuarbeitenden große Verluste. Ob das Tonmenschen sind, oder Roadies, alle verlieren da dran. Und das liegt vermutlich an den etwas älteren Menschen, die gerade weder die Lust, die Zeit, die Kraft, oder das Geld haben noch zu Auftritten zu gehen.

Und die Jungen?

Haben weniger Angst vor Ansteckungen, oder haben das schon hinter sich. Viele Leute über 35 überlegen sich das zweimal ob sie zu einer Darbietung gehen. Ich hatte auch Corona und ich habe vier Wochen lang dran geknapst. Ich werde auf jeden Fall nicht auf Massenevents gehen, weil ich keine Lust habe, dass zwei-, dreimal im Jahr zu erleben, dann wäre ich Vierteljahr ausgeschaltet. Das kann ich mir nicht leisten und das will ich auch nicht haben. Das ist das Debakel, in dem wir gerade stecken. Ich kann verstehen, dass die Leute vorsichtig sind.

Mit dem Siegeszug des Streaming verdienen nur noch Künstler, deren Songs millionenfach abgerufen werden, nennenswertes Geld. Die Kleineren müssen sich ihre Miete ertouren. Entwickelt sich jetzt das Live-Geschäft analog zum Streaming?

Genau, die großen Verluste finden Sie immer bei den Kleinen, die schon vorher unter den Entwicklungen im Musikbereich stark gelitten haben, weil bei Spotify und den anderen Streamern enorm wenig übrig bleibt, gerade für die Kleinen. Und jetzt bricht auch noch das Life-Segment weg. Ganz viele Leute werden demnächst Schuhe für Zalando austragen und das ist das letzte, was ich Künstlern wünsche.

Viele Künstler pfeifen gerade auf dem letzten Loch

Gibt es denn einen Weg aus dieser Misere? Müssen wir einfach tatenlos zusehen, wie große Teile des Kulturlebens wegbrechen?

Die Frage kann ich nicht beantworten. Meine ganz persönliche Vermutung ist, dass die Wirkung des Virus’ nachlassen werden, und dass wir in zwei, drei, vier Jahren zu einer Art von Normalität zurückkehren werden und die Leute vielleicht auch begreifen, dass sie wieder von den Sofas hochkommen müssen. Aber bis dahin vergeht eben viel Zeit. Viele Künstler pfeifen gerade auf dem letzten Loch. Es müsste eine staatliche Form von Unterstützung geben, die nicht rückzahlbar ist, eine Art Sonderhilfe. Sonst werden die eingehen. Da gibt es keine Alternative.

Sie haben wenigstens noch weitere Standbeine. Als Autor sind Sie doch durchaus erfolgreich?

Ja, das stimmt, anderen geht es schlechter. Aber auch meine Altersrücklagen verdampfen und ich habe keine satte Rente.

Und dann?

Ich überlege jetzt schon die ganze Zeit, ob ich irgendwie umsatteln sollte. Ob ich vielleicht in irgendeine Form von Kulturberatung gehen könnte, um etwas ändern zu können und gleichzeitig eine Position zu haben, die mir selber ein bisschen Sicherheit vermittelt. Aber ich bin mir darüber noch nicht im Klaren.

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Ihr letzter Roman, „Der Jaeger und sein Meister“, handelt von dem von vielen Kollegen verehrten, aber von der Masse vergessenen Humoristen Heino Jaeger. Ihm fehlte, schreiben Sie, der von Dieter Bohlen so genannte „Killerinstinkt“. Fehlte der Ihnen auch, oder galt allzu viel Ehrgeiz schlicht als uncool?

Den hat man oder man hat ihn nicht. Ich habe ihn nicht und der geht auch den meisten Künstlern aus dem Umfeld, in dem ich mich bewege, ab. Das macht sie aber auch zu feinen Leuten, die eben nicht alles tun, was man tun kann, um möglichst weit nach oben zu kommen. Sondern die versuchen, sich selbst treu zu bleiben und sich nicht zu verbiegen. Das ist mir persönlich viel wert und ich würde es unendlich bemitleiden, wenn sie aufgrund ihres fehlenden Killerstinstinkts und der verfickten Viren jetzt ihre Haltung aufgeben müssten.

Am Ende des Albums kommt ihr Party-Alter-Ego, der „Discoteer“, zurück und sie müssen auch nicht mehr alleine spielen.

Da habe ich eine Begegnung mit Flo Mega gehabt. Ein fantastischer Musiker und sehr guter Soul-Sänger. Wir haben einen Abend zusammen Musik gemacht in Bremen.

Wenn nichts mehr hilft, hilft Soul?

Soul ist für mich fast noch wichtiger gewesen als Punkrock.

Am 30. August tritt Rocko Schamoni im Kölner Gloria-Theater auf, 20 Uhr, Tickets 26 Euro