RTL-Geschäftsführer im Interview„Wir sind mit Oliver Pocher unbedingt zufrieden“
- Jörg Graf ist seit 2019 Geschäftsführer von RTL in Köln.
- Im Interview spricht er über Stefan Raab und Oliver Pocher und darüber, wie der Fernsehsender den Streaming-Diensten Paroli bieten will.
- Eine besondere Frage liegt auf der Hand: Wie produziert man gute Unterhaltung in Corona-Zeiten?
Köln – Herr Graf, Glückwunsch, gerade konnten Sie einen kleinen Coup landen, indem Sie Stefan Raab zumindest als Produzenten für Ihren Mediengruppe RTL-Streamingkanal TVNow verpflichtet haben.
Ja, darauf freuen wir uns sehr. TVNow, Vox und RTL sind eng verzahnt und damit Kern unserer Strategie, lineares und nonlineares Fernsehen zusammenzuführen. Deshalb sprechen wir auch gemeinsam über die inhaltliche Ausrichtung und hatten die Idee, mit Stefan Raab einen neuen kreativen Kopf für die Mediengruppe RTL zu gewinnen.
Das neue Projekt beginnt schon in diesem Jahr als Late Night Show. Kann man bei einem Streamingdienst denn überhaupt feste Zeiten einführen – die Leute schauen beim Streamen doch eigentlich , wann sie wollen?
Na klar. Um die bestimmte Uhrzeit wird die Show bei TVNow eingestellt, und wer Lust hat, der schaut direkt. Wem das zu spät ist, guckt es eben am folgenden Tag. Genau das ist ja der Vorteil des Streamings. Das neue Konzept der Late-Night-Show hat uns deshalb schnell begeistert, weil wir in Deutschland keine funktionierende Late-Night-Kultur haben, die einerseits stark von Comedy-Elementen durchsetzt ist, aber eben auch relevante und aktuelle Themen aufbereitet, vielleicht mit einem Augenzwinkern. In den USA gibt es dies in großer Fülle, bei uns ist es einen neuen Anlauf allemal wert, zumal mit dem Produzenten Stefan Raab.
Wir wollen ganz bewusst keine nischigen, hochkomplexen Inhalte für kleine Zielgruppen produzieren
Es gab aber doch bereits Versuche.
Wir wollen nicht eins zu eins kopieren – das ist unsere Ambition. Und dass es prinzipiell möglich ist, ein großes Publikum mit aktuell und live produzierten Shows zu erreichen, zeigt uns gerade Oliver Pocher, der mit seiner Sendung Marktanteile von 15 Prozent erreicht, und das in einem eher schwierigen Programmumfeld.
Sie sind also mit Pocher zufrieden?
Unbedingt. Wir sehen, dass die Sendung diese Spitzen erzeugt, und man darf eins nicht vergessen: Die Sendung ist noch sehr neu und frisch. Im Fernsehen braucht es oftmals längeren Atem, so dass ich die 15 Prozent sehr ordentlich finde, die eine neue Sendung noch dazu im Sommer holt. Wir kommen bewusst etwas frecher daher mit dem Wissen, dass wir damit hier und da auch mal anecken.
Die vergangenen Monate waren gute Fernsehmonate, denn die Menschen hatten oft sehr viel Zeit. Dennoch waren es auch schwierige Monate, denn in der Corona-Krise sind die Werbeerlöse eingebrochen.
Natürlich spüren wir wie alle Medien die zurückgehenden Werbeeinnahmen. Gleichzeitig ist es uns gelungen, unter erschwerten Bedingungen Programm zu machen, und zwar richtig erfolgreich. Im März war noch die große Frage, ob wir überhaupt produzieren konnten angesichts der Restriktionen im Zusammenhang mit den Sicherheitsbestimmungen zu Corona. Da gebührt allen Beteiligten großer Dank: Unseren eigenen Mitarbeitern und den Produzenten bis hin zur Stadt Köln, mit der wir in dieser besonderen Situation pragmatisch zusammengearbeitet haben. „Let’s Dance“ war so erfolgreich wie seit 2014 nicht mehr, und das in einer Zeit, in der man längst nicht so frei produzieren konnte, wie man sich es wünscht – etwa ohne Studiopublikum. Auch im Informationsbereich haben wir in unseren News oder mit journalistischen Live-Specials zur besten Sendezeit Rekordreichweiten erzielt. Viele unserer Sendungen haben, ob in der Unterhaltung oder in der Information, richtig gut funktioniert.
Zur Person
Jörg Graf, 1966 geboren, ist seit Februar 2019 Geschäftsführer von RTL Television. Nach dem Studium in Köln und Bonn war er freier Mitarbeiter bei TV-Produktionen; 1995 wurde er Produktionsmanager bei RTL. 2017 wurde er Chief Operating Officer Programme Affairs. In dieser Funktion verantwortete er unter anderem den internationalen Fremdprogrammeinkauf.
TVNow streamt Serien, Shows und Filme online; der Zugang erfolgt über eine App.
Die Abwesenheit des Publikums ist die auffälligste Konsequenz der Corona-Beschränkungen. Womit hatten Sie noch zu tun?
Wir haben aufwendige Diskussionen geführt, wie wir die Auflagen umsetzen konnten, auch zum Schutz der eigenen Mitarbeiter. Der Großteil der Unterhaltungsangebote von RTL wird in Köln und Hürth produziert – im Gegensatz zu einer Serie beispielsweise, die oftmals in Originalmotiven gedreht wird, sind Sie auf einem Studiogelände in einer kontrollierbaren Infrastruktur: Wer kommt rein, wer geht raus? Man kann die Mitarbeiter hinter der Kamera oder in der Regie mit Masken versorgen, man kann die Abstände einhalten. So ist es uns gelungen, erstklassige Unterhaltung zu realisieren, wobei man wirklich sagen muss, dass die Produzenten – und hier sind viele ja auch in Köln – einen gigantischen Job gemacht haben. Es verdient höchsten Respekt, wie schnell und professionell das ging, und wir hatten keinen unmittelbaren Infektionsfall. Toi, toi, toi.
Sicher mussten Sie Produktionen aber auch aufschieben, die Sie irgendwann nachholen?
Das stimmt. Wir hatten vor, in diesem Herbst den „Domino Day“ zu produzieren – den werden wir auf das Frühjahr verschieben. Wir hatten geplant, in Essen eine große Produktion zu realisieren, „Die Passion“, die zu Ostern stattfinden sollte – auch das werden wir nachholen. Und natürlich betrifft die Krise vor allem das, was wir als Fiction bezeichnen, also Filme und Serien. Da herrschen andere Produktionsbedingungen als bei der Unterhaltung, da sind wir für gewöhnlich nicht im Studio, sondern drehen draußen auf der Straße, in Häusern. Das hat in diesen Zeiten nicht funktioniert. Uns ging es übrigens nicht allein so, da ergeht es selbst den amerikanischen Studios nicht anders.
Das könnte Sie auch interessieren:
Müssen sich die Zuschauer also auf mehr Wiederholungen einstellen?
Wir versuchen jedenfalls, das so weit wie möglich zu vermeiden, und wollen die Sendeplätze deshalb mit neuen und starken Unterhaltungsformaten besetzen. So starten „I can see your Voice“ oder „Kindsköpfe“ mit Mario Barth, Oliver Pocher und Chris Tall. Das sind neue Programme mit dem Potenzial, viele Menschen zu begeistern.
Wir haben zu Beginn bereits über TVNow gesprochen – welche Bedeutung hat Streaming für Sie?
Eine riesige! Streaming und damit der massive Ausbau von TVNow ist Kern unserer Wachstumsstrategie. Und wir sehen, dass das hervorragend funktioniert: Auf der einen Seite haben wir die kräftige Ad-hoc-Reichweite unserer linearen Sender wie RTL oder VOX – eine Sendung wie „Wer wird Millionär?“ erreicht durchschnittlich über fünf Millionen Zuschauer. Daher ist der kluge Verbund von linearem Fernsehen mit TVNow für uns ein Schlüssel zum Erfolg. Natürlich getrieben von populären und starken, meist lokalen Inhalten. Wir wollen ganz bewusst keine nischigen, hochkomplexen Inhalte für kleine Zielgruppen produzieren, das können amerikanische Streamer dadurch, dass sie ein und dieselbe Serie global in viele Länder ausspielen, besser. Wir sind ein lokales, deutschsprachiges Angebot, und wollen unserem Publikum bieten, was es sich wünscht, egal wann und wo. Ob bei RTL, Vox, ntv – oder TVNow.
Manchmal sind Veränderungen auch notwendig, um Platz für neue Programme zu schaffen
Welche Rolle spielen eigenproduzierte Serien?
Bei TVNow setzen wir auf Formate, die man im klassischen Fernsehen vielleicht noch nicht unbedingt gesehen hat. TVNow gibt uns die Chance, inhaltlich einen Schritt voran zu gehen, dabei zwar im Mainstream zu bleiben und mit Blick auf Reichweite trotzdem viele Menschen zu erreichen, gleichzeitig aber Neues auszuprobieren.
Das Fernsehen befindet sich in einem gewaltigen Umbruch – traditionell war für RTL der Sport, speziell die Formel 1 zentral, diese ist nun weggefallen. Wie gehen Sie damit um?
Sport hat noch immer eine hohe Bedeutung – deshalb haben wir umfangreiche Fußballpakete für die kommenden Jahre erworben, sowohl für TVNow wie für RTL oder auch unseren Männersender Nitro. Wir haben uns aber nach intensiver Diskussion der Wirtschaftlichkeit und Bewertung der Perspektiven auch entschieden, die Formel 1 nicht zu verlängern. Das war schmerzhaft, zumal unser Sportteam über viele Jahre hinweg einen herausragenden Job gemacht hat. Aber manchmal sind Veränderungen auch notwendig, um Platz für neue Programme zu schaffen, die wir an den Start bringen wollen. Wenn wir Serien anbieten wollen, die nicht immer den gewohnten Mustern folgen, wenn wir mehr in Unterhaltung und in Information investieren wollen, um mit der Kraft unserer Sender das Wachstum von TVNow zu beschleunigen, dann können wir nicht alle Programmmarken fortführen.
RTL ist unter anderem beteiligt an der Film- und Medienstiftung NRW und spielt damit auch eine wichtige Rolle für den Kinofilm, der unter der Krise gewaltig leidet. Hier haben die Fernsehsender große Verantwortung.
Die haben und übernehmen wir. Durch das Filmfördergesetz leistet die Mediengruppe RTL jedes Jahr abhängig von ihrem Spielfilmanteil und ihrer Umsatzhöhe einen Beitrag an die Filmförderungsanstalt in Berlin, darüber hinaus sind wir Gesellschafter bei der Film- und Medienstiftung NRW, dem FilmFernsehFonds Bayern und wir unterstützen auch das Medienboard Berlin/Brandenburg – alles Förderer, die den Kinofilm ganz oben auf ihrer Prioritätenliste haben. Es ist sicher keine leichte Situation fürs Kino, ganz klar, die Produktionsseite ist ebenso betroffen, wie es die Kinos selbst sind.
Noch eine persönliche Frage: Sie sind seit Anfang 2019 Geschäftsführer – wie schwierig ist es, einen Tanker wie RTL zu bewegen?
Gar nicht! Um im Bild zu bleiben: Wir haben kräftige Bug- und Heckstrahlruder und können fast auf der Stelle wenden. Im Ernst: Es hängt immer von den Gestaltungsmöglichkeiten ab, die man hat, und an dieser Stelle habe ich viel Freiraum. Die Wege sind kurz, hier füllt keiner Formulare zur Programmbestellung aus – wir besprechen Ideen gemeinsam, und wenn sie gut sind, geben Redakteure, Produzenten, Schauspieler, Moderatoren und alle Beteiligten ihr Bestes. Wenn man Umsatzvolumen und Reichweite nimmt, ist RTL unser größter Tanker, aber er fährt sich mit unserer Top-Crew wie eine wendige Segeljacht.