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Kommentar

RTL legt „Die Passion“ neu auf
Kann dieser Mützenmann Jesus sein?

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Lesezeit 3 Minuten
Berlin: 20.08.2018, Berlin: Ben Blümel fasst sich bei einem Pressetermin zur Vorstellung der zweiten Staffel der ProSieben-Action-Show "Global Gladiators" an die Kappe.

Sänger Ben Blümel soll für RTL den Jesus geben.

Der Kölner Sender spielt zu Ostern wieder „Die Passion“ nach und hat erste Darsteller bekannt gegeben. Unsere „Prominent verteidigt“-Kolumne.

Leider kann ich mich nur an eine einzige Szene meiner Konfirmation erinnern. Kurz bevor ich mich erheben musste, um den Segen zu empfangen, flüsterte mir mein Banknachbar eine denkbar unangebrachte Zote ins Ohr. Die schlug einer Wasserstoffbombe gleich in meinen Pubertätshormone ausschüttenden Hypothalamus ein, mit fest zugekniffenem Mund trottete ich dem Pfarrer entgegen, von unkontrollierbaren Lachkrämpfen geschüttelt, eilte ich, der Bibelspruch war kaum verklungen, an meinen Platz zurück. Die bohrenden Blicke der Gemeinde im Nacken. Vom religiösen Ritus über die Lächerlichkeit hin zur Fremdscham führt ein gerader Weg.

Seit der Dschungelsender RTL anno 2022 einige Halb- und Viertelprominente verpflichtete, kurz vor Ostern ein modernes Passionsspiel mit deutschen Popschlagern aufzuführen, kann man diesen Weg auch bemessen: Er ist exakt so lang wie die Essener Fußgängerzone, in der Musicaldarsteller Alexander Klaws (der aus Disneys „Tarzan“ Lendenschurzerfahrung mitbrachte) als Jesus Fladenbrote am Foodtruck von Sternekoch Nelson Müller einkaufte, der ihm noch zwei Currywürste fürs Letzte Abendmahl obendrauf legte, während Rainer Calmund mit offenem Mund zusah. Ob vom Antlitz des Heilands geblendet, oder als Meta-Kommentar des wunderlichen Geschehens, wer weiß das schon?

2022 schuf RTL mit seinem Passionszug durch die Essener Innenstadt das Cringe-Event des Jahres

Die Einschaltquoten der Essener Passion waren damals ganz ordentlich (3,14 Millionen schalteten zu), die genüssliche Häme, die ob des Live-Programms über den Sender hereinbrach, war dann aber die eigentliche Geschichte. RTL hatte, lautete der Konsens der Kommentatoren, das Cringe-Event des Jahres geschaffen, was im Übrigen völlig voraussehbar gewesen war. Ebenso, dass sich „Die Passion“ im Folgejahr nicht wiederholte.

Umso überraschender die frohe Botschaft, die uns vor wenigen Tagen erreichte: Die TV-Passionsspiele werden neu aufgelegt, diesmal im nordhessischen Kassel, das seit der skandalumtosten Documenta vor zwei Jahren seiner Erlösung harrt.

Ob der ersten Besetzungsverlautbarungen reibt man sich die Hände. Hannes Jaenicke soll Thomas Gottschalk als Erzähler ablösen, Jimi Blue Ochsenknecht den Judas, Ben Blümel den Jesus verkörpern. Für den Darsteller des Barabbas hatte der Sender die Zuschauer aufgefordert, Vorschläge einzureichen. 2022 ging die Rolle an den wie ein abgehalfterter Fliegengewichtsboxer herumhampelnden Martin Semmelrogge. Das lässt sich schwer toppen.

Der Ochsenknecht-Sohn ließ sich unterdessen bereits mit der Aussage zitieren: „Ich wollte schon immer mal einen richtigen Bösewicht spielen – und Judas ist ja einer der bekanntesten Bösewichter der Geschichte.“ Mit anderen Worten: Uns erwartet ein theologisches Hochamt. Was Ben Blümel angeht, da musste ich auch erstmal nachschauen, was den als Messias qualifiziert. Stellt sich heraus, dass er ohne seinen Nachnamen, dafür aber mit Mütze und der Sängerin Gim mal einen Hit hatte.

Das war zwar im fernen Jahr 2002 nach Christus, aber immerhin hieß der Song „Engel“ und enthält unter anderem Zeilen wie diese: „Ich öffne dir mein Herz, denn du befreist mich von Leid und Schmerz/ Ich lass dich hinein, denn du nimmst mir die Sorgen und wäschst sie rein.“ Selig sind, die da geistlich arm sind und schlicht in ihren Reimen, denn ihrer ist das Himmelreich: Das steht beinahe so im Matthäus-Evangelium.

Bleibt die Frage, was RTL antreibt, so es denn nicht missionarischer Eifer ist? Ach, es muss wohl die mediale Aufmerksamkeit sein (siehe diese Kolumne), die mediale Häme ist selbstredend mit einkalkuliert. Ohne den Spott von Volk und Hofstaat wäre es auch keine echte Passion.