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Rudolf Buchbinder über Kunst und Politik„Die russische Kultur ist uns doch so nahe“

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Rudolf Buchbinder spielt zugunsten von "wir helfen"

Herr Buchbinder, diesen Interview-Termin zu finden, war nicht ganz einfach, weil Sie zur Zeit eine neue CD aufnehmen. Was für eine?

Rudolf Buchbinder: Ich weiß gar nicht, ob ich das schon sagen darf. Die CD wird verschiedene kleinere Stücke enthalten – Johann Strauß, Beethoven, Schubert, bis hin zu Grünfeld. Alles sehr wienerisch. Für mich das Richtige nach diesen Großprojekten mit den Beethoven-Sonaten, -Konzerten und den Diabelli-Variationen. Also ein völlig anderes Repertoire – bis ich mich wieder auf etwas Größeres stürzen werde.

Wir befinden uns immer noch in der Corona-Zeit. Was hat die mit uns, mit Ihnen gemacht? Kommen Sie als Künstler da anders heraus, als Sie hineingegangen sind?

Ich blicke immer nach vorne, bin Optimist, denke positiv. Natürlich war das furchtbare Zeit, weit über hundert Konzerte konnte ich nicht spielen. Asien etwa war total geschlossen, öffnet sich jetzt langsam wieder. Das ist ein gewaltiger Einschnitt. Aber ich hoffe, dass es sich normalisieren wird und der Konzertbetrieb auf den Vor-Corona-Stand zurückkehrt.

Über die Corona-Krise legt sich mit Russlands Krieg gegen die Ukraine eine weitere Krise globalen Ausmaßes. Mit Valery Gergiev, der jetzt wegen seiner Putin-Nähe im Westen abgemeldet ist, haben Sie ja noch bei Ihrer jüngsten Aufnahme der Beethoven-Konzerte zusammengearbeitet. Wie sehen Sie das im Nachhinein?

Ja, mit Gergiev habe ich das dritte gemacht. Damals hat man natürlich nicht absehen können, was da auf uns zukommt. Im Nachhinein bin ich sehr traurig – wenn man bedenkt, was für ein großartiger Musiker Gergiev ist. Und wenn er sich so verhält, wie er sich verhält, entsteht daraus ein großer Zwiespalt. Aber man darf nicht alles in einen Topf werfen. Wenn das Bolschoi-Ballett aus London und Madrid ausgeladen wird – ich bitte Sie. Was können die 17- und 18-jährigen Mädchen und Burschen für Putins Krieg? Es gibt zur Zeit im Westen eine absolute Russen-Aversion. Es fehlt nur noch, dass hiesige Orchester keinen Tschaikowsky oder Schostakowitsch mehr spielen. Ein Irrsinn, denn die russische Kultur ist uns doch so nahe. Da sieht man, was Politik kaputtmachen kann.

Zur Person und zum Konzert

Der österreichische Pianist Rudolf Buchbinder (75) blickt auf eine mehr als 60 Jahre währende Karriere zurück. Als maßstabsetzend gilt er insbesondere als Interpret der Werke Ludwig van Beethovens.

Buchbinder spielt am Sonntag, 24. April, 11 Uhr, in der Philharmonie mit dem Gürzenich-Orchester im Krone-Benefizkonzert. Es dirigiert Michele Mariotti.

Das Gürzenich-Orchester unterstützt mit den Einnahmen die Initiative „wir helfen“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ für benachteiligte Kinder und Jugendliche.

Karten erhalten Sie telefonisch unter 0221/221-28400 oder über die Homepage des Gürzenich-Orchesters.

Kommen wir zur Agenda des Benefizkonzerts. Beethovens fünftes Klavierkonzert ist nicht gerade eine ausgefallene Wahl. Und Sie selbst begleitet es von Ihrer Kindheit bis heute. Was ist das eigentlich, ein Leben mit Beethoven? Was „macht“ das mit Ihnen, und was „machen“ Sie mit dem Stück im Gang eines halben Jahrhunderts?

Ich habe nicht „den“ Beethoven verändert, sondern „meinen“ Beethoven, immer wieder. Und ich entdecke selbst in der „Appassionata“ , die ich einige hundert Male gespielt habe, stets Neues.

Und was entdecken Sie im fünften Klavierkonzert?

Ein konkretes Beispiel: Es gibt jetzt endlich das Faksimile des Autographs, und da sieht man dann, dass seit der Erstausgabe verschiedene Dinge falsch gedruckt wurden. Da steht „pizzicato“, wo „con arco“ stehen müsste – also „mit dem Bogen“. Und im dritten Satz schreibt Beethoven an einer Stelle „legato schwankend“. Das ist in der neuesten Ausgabe endlich so gedruckt. Ein riesiger Unterschied gegenüber dem, was man kennt. In den Erstausgaben stehen schreckliche Fehler, die vom Komponisten nicht korrigiert wurden. Stellen Sie sich mal vor: Der Schweizer Verleger Nägeli hat in der Erstausgabe der Sonaten opus 31/1 und 31/2 an einer Stelle vier Takte hinzugefügt – weil er der Auffassung war, Beethoven habe sie vergessen.

Sie haben 39 Gesamtausgaben der Sonaten bei sich zuhause stehen. Was machen Sie denn, wenn es kein Autograph und also auch kein Faksimile gibt? Woran halten Sie sich?

Wissen Sie, welche eine meiner bevorzugten Ausgaben ist? Die von Franz Liszt – der ja selbst nicht der schlechteste Pianist war. Vor allem gibt es in seiner Edition nur die Original-Fingersätze von Beethoven – keine anderen. Ich selbst halte mich übrigens nicht unbedingt an sie, sie sind manchmal unspielbar. Und mein Klavierlehrer sagte mir einmal: Jeder Mensch hot andere Pratz’n.

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Zurück zum Konzert: Wie mir Ihre im Internet zu erlebende Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern zeigt, weicht Ihre Phrasierung von der in der verbreiteten Eulenburg-Partitur eklatant ab. Während dort im Detail stark phrasiert wird, pflegen Sie eine lyrisch-romantisch grundierte Legato-Kultur.

Ja, das kann sein. Wir wissen ja von Beethovens Schüler Carl Czerny, dass der Meister den singenden Vortrag unbedingt bevorzugte. Wie oft schreibt er „cantabile“, „molto cantabile“, „espressivo“? Aber nageln Sie mich nicht fest: Ich weiß nicht, wie ich das Stück in Köln spielen werde.

Es gibt mehrere „Richtigkeiten“ für Sie?

Es kann sein – das hängt auch von den Aufführungsbedingungen ab –, dass ich es tempo- und phrasierungsmäßig immer ein bisschen anders mache.

Im Zentrum des fünften Konzerts steht ja der choralhafte und viele Menschen immer wieder sehr berührende langsame Satz. Bekommt man da auch als Spieler heilige Gefühle?

Ja, wenngleich schon beim jungen Beethoven viele Sätze diese heiligen Gefühle vermitteln. Vor allem aber dürfen Sie nicht vergessen: Die Satzbezeichnung lautet „Adagio un poco mosso“ – ein etwas bewegtes Adagio. Das Tempo darf also auf keinen Fall unendlich verlangsamt werden – sonst bekommen die Geigen die ersten beiden Takte auch nicht auf den ausdrücklich geforderten einzigen Bogenstrich. Wenn man das ernst nimmt, ergibt sich automatisch das richtige Tempo. Die Weihegefühle dürfen also nicht zu langsam kommen. Zu Beethovens Zeit hat man eh durchweg schneller gespielt als heute.

Das Fünfte trägt den Beinamen „Emperor“. Ist es „kaiserlich“, wird sein Charakter dadurch zutreffend bezeichnet?

Ach was, das ist genauso eine Dummheit wie „Appassionata“ oder „Mondschein“. „Pathétique“ ist der einzige originale Beiname in den Sonaten.

Sie spielen das Fünfte abwechselnd ohne und mit Dirigenten, scheinen diesbezüglich also keine Präferenzen zu hegen.

Das stimmt. Wenn man – wie Mozart und Beethoven auch – vom Flügel aus dirigiert, ist es eine ganz andere Art des Musizierens, eine vergrößerte Kammermusik. Da bekommt auch der Geiger am letzten Pult eine Verantwortung. Und wenn der Klarinettist ein Rubato macht, dann müssen Sie als Pianist zuhören und den begleiten. Und vice versa.

Und wie ist es mit Dirigent?

Wenn man gemeinsam atmet, ist das schon in Ordnung. Ich kenne ja Michele Mariotti, den Dirigenten des Benefizkonzerts, und da stimmt die Chemie auf jeden Fall.

Sie haben ja auch schon mit dem Gürzenich-Orchester gespielt.

Ja, aber das ist schon länger her, war in den 90er Jahren. Das ist mir etwas aus dem Gedächtnis geraten.

Sie sind gerade 75 geworden und ganz offensichtlich im Vollbesitz ihrer physischen und mentalen Kräfte. Was haben Sie denn noch so auf der Platte, was möchten sie unbedingt noch machen?

Schauen Sie: Meine Karriere war nie eine Sensation, sondern ein stetes Crescendo. Und ich sage Ihnen: Das wird bis zu meinem Lebensende so weitergehen. Was mich daran stört: Wenn ich nicht mehr bin, werde ich nicht erfahren, wie weit es noch gegangen wäre.

Und es wäre für Sie ein schöner Tod, während eines Konzerts einfach umzukippen.

Ja, keine Frage – wie weiland Wilhelm Backhaus bei seinem letzten Konzert in Ossiach.

Möchten Sie an dieser Stelle noch etwas unbedingt loswerden?

Ja. Es handelt sich ja um ein Benefizkonzert für „Wir helfen“, die Aktion Ihrer Zeitung. Ich möchte sagen, dass man für Kinder nicht genug tun kann. Ich spende sehr viel für Kinder, auch für meine Patenkinder in Afrika oder Mittelamerika. Das sollten viel mehr Menschen machen – dann gäbe es weniger Leid auf der Welt.