Die Schweizer Intendantin Barbara Frey eröffnet ihre letzte Ruhrtriennale mit einer Inszenierung von Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“. Unsere Kritik.
Ruhrtriennale eröffnetDiese Sommernacht ist ein schöner Albtraum
Rinnsale treten über die Ufer. Korn verfault, bevor es Früchte trägt. Frühling, Sommer, Herbst und Winter haben ihre Kleider getauscht, die Zeit selbst scheint in Unordnung geraten. So klagt die Elfenkönigin Titania im „Sommernachtstraum“. Wenn sie dabei – wie in Barbara Freys Inszenierung, mit der am Donnerstag die letzte von ihr verantwortete Ruhrtriennale eröffnete – auf einem halb im Morast versunkenen Autowrack sitzt, dann scheinen die gut 400 Jahre, die uns von Shakespeare trennen, wie verweht. Dann ist der Barde der Frühmoderne im Anthropozän angekommen, dort, wo der Mensch zum geologischen Faktor wird, bevor er früher oder später selbst verschwindet.
Vom Athener Hof ist im Bühnenbild von Martin Zehetgruber nur ein innen hässlich tapezierter Container geblieben, vom zauberischen Wald davor ein Autofriedhof. Zudem dreht sich die Bühne ja selbst im Industriedenkmal, am hinteren Ende der 170 Meter langen Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord. Einst wurde in dieser Halle Hochofenwind produziert, jetzt steht die Luft unangenehm, es ist heiß und stickig.
Wo einst Hochofenwind produziert wurde, steht nun die Luft
Im Stück ist es bekanntlich ein Ehestreit zwischen dem Elfenpaar Titania und Oberon, der die Natur aus dem Takt geraten lässt. Barbara Frey hat sie mit vertauschten Geschlechtern besetzt: Sylvie Rohrer gibt einen lässig-herrischen Oberon in jener Art von Feldherrenmantel, die man nur noch im Theaterfundus findet, Markus Neumann schwebt mit enganliegendem Kleid und hoher Bienenkorbfrisur durch den Restwald wie eine Tim-Burton-Sirene.
Als menschliches Herrscherpaar Theseus und Hippolyta spielen sie dann wieder ihrem zugewiesenem Geschlecht entsprechend, hier hat noch alles seine Ordnung.
Eben deshalb, bestimmt Theseus, hat Hermia den ihr vom Vater zugewiesenen Höfling Demetrius zu ehelichen. Obwohl sie doch Lysander liebt und ihre unglückliche Freundin Helena nur zu gerne den verschmähten Verlobten übernähme. Die Beinahe-Paare flüchten vor der starren Autorität ihrer Altvorderen in den Wald. Sie waren sowieso schief in die Welt gebaut: Marie-Luise Stockingers Lysander ist ein Tomboy, Maike Drostes Hermia wurde im Gegenzug von der Kostümabteilung mit extraweiblichen Rundungen ausgestopft.
Die Verwirrungen wachsen noch an, als der Elfennarr Puck seinen Liebessaft dem falschen Athener Jüngling auf die Augen träufelt, beziehungsweise diesen nachlässig mit Blüten bewirft, den Dorothee Hartingers Puck ist kein Springinsfeld, sondern ein trübsinniger Widerborst. Optisch wirkt sie fast wie eine Doppelgängerin der Regisseurin. Die denkt gar nicht daran, sich vom übermütigen Wechselspiel der Komödie mitreißen zu lassen, sie lässt die Handlung gemessenen Schrittes unterm nebelverhangenen Kunstmondlicht ablaufen.
Selten hört man Shakespeare so gut gesprochen wie vom Burgtheater-Ensemble
Immer wieder scheint der Multi-Instrumentalist Josh Sneesby zum „Clair de Lune“ anzusetzen, aber dann bleibt er auf einer Note hängen, als wäre keine Schönheit möglich, solange die Entwicklungen gehemmt bleiben.
Das gebremste Tempo hat den unbedingten Vorteil, dass man den Text selten so gut gesprochen und in allen seinen Feinheiten erfasst hören kann, wie hier vom Burgtheater-Ensemble (der Abend ist eine Co-Produktion mit den Wienern). Und den Nachteil, dass es nicht allzu viel zu lachen gibt, schließlich soll der Abend ja gleichzeitig als Requiem auf den Menschen als Herr der Dinge dienen. Es sind nicht allein die Elfen – die Schweizer Intendantin scheint uns alle als Geister in spe zu betrachten.
Freys ganze Sympathie gehört den schüchternen Handwerkern, die zum höfischen Fest die Tragödie von Pyramus und Thisbe einstudieren wollen, sich das jedoch kaum trauen. Deren naive bis abstruse Überlegungen klingen in der Kraftzentrale wie Thesen aus der Brecht'schen Dramentheorie. Und der Vorschlag, dem Stück einen Prolog voranzuschicken, der den Damen im Publikum die Angst vorm Auftritt des Löwen nehmen soll? Eine 400 Jahre alte Triggerwarnung.
Sogar Oliver Nägele als Gernegroß Zettel behält ein Höchstmaß an Würde: Als ihn die verzauberte Titania umgarnt, bleibt der von Puck in einen Esel verwandelte Handwerksmeister maximal unbeeindruckt. Wenn die ganze Truppe am Ende dieser Albtraumsommernacht zur Aufführung über die schmale Bühne des Containers zittert, darf man zwar endlich auch einmal laut auflachen, aber mehr noch zittert man mit. Anders als vor Fieber schlotternd kann man sich kaum durch diese verkehrte Welt bewegen.
„Ein Sommernachtstraum“ ist noch am 12., 13., 16., 17. August in der Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord zu sehen. Die Ruhrtriennale läuft bis zum 23. September. Programm und Karten unter ruhrtriennale.de