Die Künstlerin Rune Mields wird am 24. Februar 90 Jahre alt. Ein Gespräch über Köln, Machos und die Wunder der Mathematik.
Rune Mields„Dieses leicht Angeschmuddelte hat mir an Köln imponiert“

Die Kölner Künstlerin Rune Mields in ihrem Wohnatelier.
Copyright: Michael Kohler
Frau Mields, Sie haben mehr als 50 ihrer bald 90 Jahre in Köln gelebt. Haben Sie es jemals bereut?
Nein, Köln ist mir immer noch die liebste Stadt.
Dabei sind Sie viel herumgekommen.
Ich bin in Münster geboren und dort aufgewachsen. Mehrere Jahre war ich in Berlin, mehrere Jahre in Aachen und auch mehrere Jahre auf dem Dorf.
1972 sind Sie nach Köln gezogen, gleich gegenüber des legendären Galerienhauses in der Lindenstraße. War das für Sie das Paradies?
Naja. Ich wollte aus Münster weg, weil es dort so wenig Kunst gab – das war noch vor der Kunstakademie. Wenn ich in Köln oder Düsseldorf war, habe ich allen Leuten erzählt, dass ich dorthin ziehen möchte. Eines Tages rief ein Kollege an: Hier im Haus wird eine Wohnung frei. Ich bin ins Auto gesprungen und habe mit dem Hausverwalter gesprochen. Der wollte mich für fünf Jahre nehmen, auch unter der Voraussetzung, dass ich als Künstlerin kein festes Einkommen hatte. Nee, drei Jahre reichen, entgegnete ich, länger bleibe ich sowieso nicht.
Bei einer großen Ausstellung in München saß neben mir ein damals sehr bekannter Kritiker und sagte: Frauen können sowieso nicht malen
Daraus sind beinahe 53 Jahre geworden.
Ich kannte Köln schon aus der Buchhandelsschule, die ich 1954 für mehrere Wochen besuchte. Seitdem gefiel mir die Stadt, besonders die Mentalität der Leute, und dass es hier nicht so schön ist. Dieses leicht Angeschmuddelte, sowohl im Äußeren wie im Geistigen, hat mir imponiert.
Sie haben mal erzählt, dass es Anfang der 1970er Jahre noch gang und gäbe war, auf Künstlerinnen herabzublicken. Wie wurden Sie in Köln aufgenommen?
Das war so üblich. Bei einer großen Ausstellung in München saß neben mir ein damals sehr bekannter Kritiker und sagte: Frauen können sowieso nicht malen. Mich wunderte das schon gar nicht mehr, und ich antwortete nur: Wenn Sie meinen … Als ich nach Köln kam, habe ich geschaut, in welcher Kneipe sich die Künstler treffen. Da bin ich hingegangen und hörte einen sagen: Was macht die Mields denn hier? Viele Kollegen kannte ich bereits aus meiner Zeit beim Aachener Kunstverein, etwa Michael Buthe, Sigmar Polke und C.O. Paeffgen. In Köln war ich schnell eingebunden und habe mich sofort wohlgefühlt.
1976 wurden Sie zur Documenta eingeladen. War das der Ritterschlag?
Ja, das war es. Der „Stern“ hat damals eine große Reportage über Künstler gemacht, für die mich Robert Lebeck im Atelier fotografierte. Auf der Documenta kam dann Gotthard Graubner zu mir und schimpfte: Du hast eine ganze Seite bekommen und ich nur eine Viertelseite. Ist das gerecht?
Aber das war Spaß, oder?
Ein kleines bisschen Ernst war schon in seinem Vorwurf drin.
Sie sind mit Ihren Röhrenbildern bekannt geworden. Das war noch in Aachen.
In Köln habe ich nur noch ein einziges Röhrenbild gemalt. Ich habe viele Entwürfe gemacht, aber mir dann gedacht: Warum malst Du immer noch dieses bescheuerte Objekt, das interessiert dich doch gar nicht mehr. Dich interessiert doch viel mehr das Mathematische daran. Danach kamen dann die Tangentenbilder.
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Röhrenbild von Rune Mields aus dem Jahr 1969 im Ludwig-Forum Aachen
Copyright: Mareike Tocha / VG Bild-Kunst 2025
Woher kommt diese Liebe zur Mathematik?
Durch die Zentralperspektive der Frührenaissance und dort vor allem durch den Maler Paolo Uccello. Über den schrieb der Kunsthistoriker Vasari, die Liebe zur Geometrie mache den Geist arm und das Leben schlecht. Aber das hat mich nicht abgehalten. Ich fand Uccellos Werke unglaublich faszinierend. Zur Documenta wurde ich dann mit meinen Primzahlenbildern eingeladen. Ich hatte nach Ziffernsystemen gesucht, die nicht römisch waren, und stieß auf eines aus China. Das war ungeheuer einfach und zugleich unglaublich einfallsreich. Und so begann ich, Primzahlen in Chinesisch zu malen.
Wie hat die Kunstwelt auf Ihre mathematischen Bilder reagiert?
Mein damaliger Galerist in der Lindenstraße sagte mir, diese Tangenten würden ihn nicht so interessieren. Außerdem verdächtigte er mich, aus dem Atelier heraus zu verkaufen. Dabei habe ich das nie getan. Ich will keine Sammler in meiner Wohnung haben.
Das Galerienhaus ist heute legendär. Wie ging es dort zu?
Alle Galerien haben stets am selben Tag eröffnet. Und dann gab es auf den verschiedenen Etagen zu essen. Beim ersten Galeristen gab es Suppe, beim zweiten Salat, beim dritten Käse und beim vierten gab es Nachtisch. Man ging von unten nach oben, guckte sich alles an und konnte überall was essen. Und hinterher gingen alle in die Kneipe.
Meine Arbeit verändert sich nicht, nur weil die bedeutenden Galerien jetzt in Berlin sind
Hielt man zusammen oder gab es großes Konkurrenzdenken unter den Galeristen?
Durch die gemeinsame Eröffnung kamen auch Leute in die einzelnen Galerien, die dort normalerweise nicht hingegangen wären. Man musste nur die Treppe rauf oder runter gehen. Das war praktisch für alle Beteiligten. Später ging das auseinander, weil die Galeristen größere Räume wollten. Vielleicht stiegen aber auch die Mieten.
Wie haben Sie den Abzug vieler Galerien nach Berlin und die schwindende Bedeutung des Kölner Kunstmarkts erlebt?
Für die Arbeit ist das nicht wichtig. Meine Arbeit verändert sich nicht, nur weil die bedeutenden Galerien jetzt in Berlin sind.
Sie arbeiten bis heute und sind der Mathematik treu geblieben.
Ja, mehr oder weniger. Irgendwann habe ich mich gefragt, was es vor den ältesten Ziffernsystemen der Welt gab. Was war vor der Schrift? Antwort: Die Mythen. Und wie sind die entstanden? Daraus wurde ein neuer Arbeitskomplex, in dem zwar weiterhin Zahlen und Mathematik auftauchen. Aber das war nicht mehr so strikt. So entwickelt sich aus dem Alten immer etwas Neues.
Und das hält Sie aktiv.
Ich zeichne jeden Tag. Hier am Schreibtisch. Große Bilder kann ich nicht mehr malen, dazu reicht die körperliche Kraft nicht mehr. Aber zeichnen kann ich immer noch. Kein Tag ohne Linie, das sagte der antike Maler Apelles. Man muss immer dranbleiben. Und so halte ich es auch.