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Salzburger FestspieleAuch die Aufklärung schützt uns nicht vor Antisemitismus

Lesezeit 4 Minuten
Valery Tscheplanowa (Nathan) während der Fotoprobe zum Schauspiel "Nathan der Weise". 

Valery Tscheplanowa als Nathan in Lessings „Nathan der Weise“ bei den Salzburger Festspielen 2023

Die Salzburger Festspiele starten mit Mozarts „Figaro“ im Clan-Milieu und Lessings „Nathan“ als Rhythmus-Exerzitium.

An der Salzach schlägt das Festivalmotto „Die Zeit ist aus den Fugen“ nach Shakespeares „Hamlet“ ernste Töne an. Ob es daran liegt, dass es in Martin Kušejs Inszenierung von Mozarts Opera Buffa „Le nozze di Figaro“ zum Auftakt des Opernprogramms wenig zu lachen gibt? Der Burgtheaterchef gab vorab bekannt, er sehe in Mozarts Figuren „vereinzelte Menschen, auf der Suche nach dem schnellen Kick“.

Bereits zur Ouvertüre findet sich das Personal am Bühnenrand ein. Wenn die Reprise beginnt, erwachen alle aus ihrer Erstarrung und ziehen sich rasch die jeweils bevorzugte Droge rein. Der schnelle Kick halt, bevor es losgeht. Die erste Szene spielt in einer Bar, nebenan blickt man in einen öden Flur. Dann fällt ein Schuss, ein toter Mann kippt aus einer Tür, zwei Männer suchen in seinen Taschen nach Beute. Die ehrenwerten Herren sind Graf Almaviva und Don Basilio, offenbar Mitglieder eines mafiösen Clans.

Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt hat unaufhörlich sich wandelnde, hyperrealistische Räume gebaut, ineinander verschachtelt und verschiebbar, wir sind in einem heutigen Hotel. Susanna und Marcellina streiten auf dem Damenklo um den Vortritt und um das Klopapier, ein Badezimmer ist Ort der Versteckszene im ersten Akt, ein Aufzug bringt neues Personal herein, eine Szene spielt im Keller einer Tiefgarage.

Martin Kušej findet bei Mozarts Figaro keine Lichtgestalt

Die Regie erkennt im Personal keine Lichtgestalt, alle haben ihre Heimlichkeiten und sind trotz- oder deswegen mehr oder weniger sympathisch. Damit ist Kušej eigentlich ganz beim Menschenversteher Mozart. Doch verliert die Clan-Idee zunehmend an Spannung, zumal man sich für keine der wuselnden Figuren wirklich interessieren will. Und das angeschlagene rasante Tempo lässt nach und kommt schließlich - auch mangels Fallhöhe und analytischer Konsequenz - fast ganz zum Stillstand.

Geht es bei Mozart nicht um mehr als den schnellen Konsum? Nämlich um große Fragen nach der Echtheit der Gefühle? Also bleibt die finale Versöhnung schal, alle treten wieder an die Rampe, alles wie immer. Ein bisschen dünn für Mozarts Meisterwerk.

Die musikalische Seite des Abends schürft tiefer. Raphaël Pichon steht erstmals am Pult der Wiener Philharmoniker und animiert sie zu einem rasanten, aber nie gehetzten Mozart-Stil, transparent, aufregend lebendig und klug akzentuiert. Die Wiener klingen schlank und leuchtend, beweglich und angriffslustig ohne die Härte mancher Originalklang-Mozart-Bemühungen.

Drei Frauen sitzen in einem Badezimmer. Eine bläst mit Badeschaum, eine badet.

Adriana Gonzalez als La Contessa di Almaviva, Sabine Devieilhe als Susanna und Lea Desandre als Cherubino in „Le Nozze di Figaro“ von Mozart im Rahmen der Salzburger Festspiele.

Mit dem famosen Ensemble hat Pichon akribisch gearbeitet und nichts dem Zufall überlassen. Heraus ragen Adriana González als dunkel timbrierte, seraphisch leuchtende Gräfin, André Schuen als mustergültiger Graf, sprunghaft spielend und herrlich wohlklingend und Sabine Devieilhe als leichte Susanna, die der mangelnden Tiefe ihres Rollenkonzepts mit großartiger Differenzierung singend Paroli bietet.

Nach diesem fahrigen „Figaro“ kommt tags darauf mit Lessings „Nathan der Weise“ in der Regie von Ulrich Rasche auf der Perner-Insel ein unerbittliches Text-Ritual zur Premiere. Stark, aber leider quälend lang.

Am Beginn liegt ein dumpfes Dröhnen in der Luft. Zu beiden Seiten der Bühne sitzt eine Band und reiht stoisch minimalistische Pattern aneinander. Die Bühne besteht aus drei Drehscheiben, die mitunter auch gegeneinander rotieren. Sie bieten dem Personal ständigen Widerstand, gegen den angegangen werden muss, die Körper in ständiger Hochspannung, die Arme leicht ausgebreitet, wie bei einem Balanceakt auf dem Hochseil.

Valery Tscheplanowa ist Nathan, zart und vibrierend vor Energie wirkt sie wie eine Tänzerin

Die Stimmen sind verstärkt und pressen stockend die Texte aus sich heraus, rhythmisch strukturierte Pausen unterbrechen den Satzfluss, jedes Wort hämmert sich einzeln ins Hirn. Die Texte stammen nicht nur aus Lessings berühmten Thesenstück, sondern auch von Voltaire, Kant und Johann Gottlieb Fichte, von dem ein drastisches Zitat am Anfang steht: Da hört man zwar vom „Gifthauch der Intoleranz“, dem man nicht Vorschub leisten wolle und davon, dass das Menschenrecht der Juden unantastbar sei. Das Bürgerrecht aber könne den Juden nur dann gewährt werden, wenn man sich entschlösse, „in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei“.

Regisseur Ulrich Rasche konterkariert Lessings Aufklärungsstück also mit der Frage, ob der Antisemitismus ein systemimmanentes Phänomen der Aufklärung bis hin zum heutigen offenen Gesellschaftsmodell ist? Und ob sich hinter Toleranzgedanken nicht auch wieder Absolutheitsansprüche verbergen?

Unter Hochspannung belauern sich die Figuren, der für Rasche typische Chor setzt sich aus christlichen Figuren des Dramas zusammen, die aus ihm bisweilen hervortreten und wieder in ihm verschwinden. Drei Schauspielerinnen und zwei Schauspielern teilt Rasche feste Rollen zu. Valery Tscheplanowa ist „Nathan“, zart und vibrierend vor Energie wirkt sie wie eine Tänzerin, mit heller, klarer Stimme skandiert sie ihre berühmten Texte, zelebriert die Ring-Parabel wie eine große Anklage und ist hinreißend präsent.

Nicola Mastroberardino ist ein ebenbürtiger Gegenspieler Saladin, Julia Windischbauer gibt Nathans Tochter entwurzelter Tochter Recha Zartheit und Verzweiflung, Almut Zilcher ist als Saladins Schwester Sittah von bohrender Rechthaberei, Mehmet Ateşçi ein empfindsam Zaudernder. Alle bestechen mit plastischer Diktion und maximaler Energie für das archaische Text-Ritual. Im letzten Drittel des Abends schleicht sich eine gewisse Redundanz ein, weniger wäre mehr gewesen. Dennoch: ein ästhetisch, formal und inhaltlich starker Abend.