Die TV-Journalistin hat einen Dokumentarfilm über Leni Riefenstahl produziert – mit exklusivem Einblick in den Nachlass der NS-Regisseurin.
Sandra Maischberger über ihre Doku„Leni Riefenstahl war von Hitler angezogen, weil sie seine Ideale teilte“
Sandra Maischberger, auf wessen Initiative geht das Projekt „Riefenstahl“ zurück? Produktion oder Buch/Regie?
Sandra Maischberger: In diesem Fall die Produktion.
Dann holten Sie sich Andres Veiel, weil er der Beste ist?
Ja. Genauso ist es.
Und was bewegte Sie zu diesem Film?
Wir hatten die Möglichkeit, 700 Kisten mit dem Nachlass Riefenstahls auszuwerten. Andres Veiel erschien uns unverzichtbar für dieses Projekt – nicht nur, weil ich ein großer Fan von „Black Box BRD“ war. Er hatte vor allem gerade „Beuys“ ins Kino gebracht. Und dieses Künstlerporträt hatte eine ähnliche Aufgabenstellung zu bewältigen, wie die Arbeit mit Riefenstahl: eine ungeheure Materialmasse zu bearbeiten, ohne darin zu ertrinken. Außerdem musste es jemand sein, der eine Persönlichkeit entschlüsseln kann – so wie Andres als gelernter Psychologe. Außerdem ist er ein politischer Kopf und jemand, der filmisch Meisterwerke erschafft. In Andres fand sich die Quadratur des Kreises.
Wem gehören diese 700 Kisten mit Riefenstahl-Material?
Der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Leni Riefenstahl hatte dieser Institution ihren Nachlass vermacht. Sie wollte, dass ihr Nachlass nach Berlin geht, woher ja auch sie stammte. Die Frage war nur, wie schnell der Inhalt der Kisten erfasst werden konnte. Dafür haben wir der Stiftung unsere Zusammenarbeit angeboten, um in Gegenzug die Möglichkeit zu bekommen, einen ersten Film daraus zu machen.
Was war Ihr Plan im Blick auf Leni Riefenstahl?
Eine Antwort finden, wie sie getickt hat. War sie eine Opportunistin? Eine Frau, die sich an Hitler rangeschmissen hat, damit sie die besten Möglichkeiten für ihre Karriere bekommt? Das war meine Grundannahme, als ich sie kennenlernte. Eine unpolitische Künstlerin, die schlicht die Mittel genutzt hat? Oder war sie eine durch und durch überzeugte Nationalsozialistin und damit willentliche Propagandistin? Das hat sie ja zeit ihres Lebens abgestritten.
Und haben Sie über den Film eine Antwort finden können?
Ich finde schon. Sie war nicht nur eine Frau, die sich einem System angepasst hat, das stärker war als sie. Ja, sie wurde nach dem Krieg als Mitläuferin freigesprochen. Aber ich finde, dass wir in diesem Film klar zeigen, dass sie alles andere als eine Mitläuferin war. Sie war eine Vorangeherin, im wahrsten Sinne des Wortes.
Also keine Überzeugungstäterin im Blick auf ihre künstlerische Reputation?
Eine Überzeugungstäterin in beidem: als Ideologin und als Künstlerin. Riefenstahl war sicher eine extrem ehrgeizige Person. Aber ihr Motiv, sich Hitler an den Hals zu werfen, war politisch. Sie hatte die Ideologie lange vor der großen Masse der Deutschen verinnerlicht. Sie sagt selber in einem Interview von 1934, dass sie schon 1931 „Mein Kampf“ gelesen habe und nach der ersten Seite zur überzeugten Nationalsozialistin wurde. Der Nachlass zeigt, dass sie schon in ihren Kindheits- und Jugendtagen und in den frühen Filmjahren dieser faschistischen Ideologie folgte, zum Beispiel dieser absoluten Verherrlichung des Gesunden und Starken, das immer auch ein Abwerten des vermeintlich Kranken und Schwachen meint. Ich glaube, sie war von Hitler angezogen, weil sie seine Ideale teilte.
Andererseits zeigt der Film ein Foto aus den ersten Kriegstagen, wo Riefenstahl als offizielle Kriegsberichterstatterin unterwegs ist, aber in ihrem Gesicht spiegelt sich schieres Entsetzen. Sie ist dem befohlenen Grauen des Regimes nicht gewachsen.
Interessant, dass Sie das so sagen. Denn spätestens als sie das gesehen hat, die Konsequenzen der Ideologie, hätte sie aufhören müssen, dieses Regime zu verklären. Allerspätestens, als, wie es ein Brief im Nachlass schildert, nach einer Regieanweisung – „Die Juden müssen aus dem Bild“ – Tritte und schließlich Schüsse folgten, da wusste sie, wie das wahre Gesicht des Regimes aussah. Spätestens dann hätte sie aufhören müssen, für dieses Regime zu arbeiten. Das tut sie aber nicht. Sie wollte Hitler beim Ostfeldzug dokumentieren. Das konnte sie nicht realisieren.
Immerhin hatte sie laut Ihrem Film den Posten der Kriegsberichterstatterin noch im Herbst 1939 aufgegeben.
Das stimmt. Aber dann hat sie „Tiefland“ gedreht und aus einem Internierungslager für Sinti und Roma Komparsen angefordert. War sie eigens dafür ins Lager gefahren, um diese Menschen selbst zu rekrutieren? Das konnte ihr nicht nachgewiesen werden. Wusste sie, dass viele dieser Komparsen nach dem Dreh nach Auschwitz verbracht und ermordet wurden? Nina Gladitz formulierte diese These 1982 in ihrem Film „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“. Auch das konnte zwar nicht bewiesen werden. Aber Riefenstahl wusste von der Verfolgung der Sinti und Roma und sie wusste, wie das Regime mit missliebigen Menschen umging. Das hat sie hautnah erlebt. Sie war eben sicher nicht eine von denen, die nach dem Krieg sagen konnten: Ich habe es nicht gewusst.
Welches Anliegen verfolgen Sie? Wer ist die Zielgruppe des Films?
Alle. Die Jungen, weil sie nicht mehr den direkten Bezug zur Geschichte haben. Die Älteren, weil wir uns möglicherweise wieder in neue Legenden verstricken. Das Anliegen ist ganz klar, dass wir nicht noch mal auf nationalistische, populistische, menschenfeindliche, rassistische, antisemitische Erzählungen hereinfallen. Weil sie so gut geeignet erscheinen, Krisen dieser Zeit auszublenden. Wir hatten nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine das Gefühl, was wir im Schneideraum sehen, diese 80 Jahre alten Bilder, begegnet uns in einem Nachbarland auf dem Schlachtfeld und auf dem roten Platz in Moskau wieder. Die Verbindung dieser Ästhetik mit dem Gräuel, das durch imperialistische, nationalistische, faschistische Regimes wieder über die Welt kommt. Das ist der Fokus des Films.
Ist das also eher ein Film für Schüler oder einer für Lehrer?
Na ja, wenn wir die Lehrer begeistern, dann zeigen sie es den Schülern. Aber wir haben in Leipzig beim Gilde-Festival den Preis der Jugendjury bekommen. Da waren drei 17-jährige junge Frauen, die eine Laudatio auf den Film gehalten haben – das fanden wir fantastisch. Mit das Beste, was mir passieren könnte, und das größte Lob überhaupt.
Was mich verwunderte, ist, dass im Film nicht einmal der Name George Lucas fiel. Der hatte in „Star Wars“ eine Einstellung aus Riefenstahls NS-Propagandafilm „Triumph des Willens“ nachgestellt.
Wir hätten aus dem Material vermutlich fünf ganz unterschiedliche Filme machen können. Man hätte auch einen anderen Bezug zur Gegenwart herstellen können. In einer Version des Films waren die Bilder aus Riefenstahls Olympia-Film von 1936 mit denen von der Eröffnungsfeier 2018 in Peking verbunden und die aus dem „Triumph des Willens“ mit der Parade auf dem Roten Platz im Mai 2022. Es hätten sich viele Möglichkeiten geboten, das in einen Kontext zu setzen. Aber wir fanden es wirkungsvoller, diese Assoziationen dem Publikum zu überlassen. Oder eben die an George Lucas' „Star Wars“. Warum sollen wir den Kinobesuchern vorschreiben, welche Schlüsse sie ziehen?
Weil es nicht verkehrt ist, Augen zu öffnen?
Dann machen Sie einen Film. Das Material ist da … Unser Ziel war es, Leni Riefenstahl aus sich heraus zu erklären, im Kontext ihrer Zeit. Wir haben ja auch keine externen Interviewpartner befragt, sondern uns auf das Material gestützt, das wir haben.
Nun kann externes Filmmaterial bisweilen sehr teuer sein. Aber gerade „Star Wars“ hätte doch den Einfluss von Riefenstahl bis in unsere aktuelle Popkultur unmittelbar verdeutlicht.
Wir hätten vieles zitieren können. Spielberg. George Lucas. Quentin Tarantino. Die Band Rammstein. Es wäre ein anderer Film gewesen, mit George-Lucas-Bildern. Aber würde das nicht mehr über George Lucas als über Leni Riefenstahl sagen? Das war nicht unser Ziel.
Sondern?
Unser Ziel war es, Riefenstahls Werk danach zu befragen, warum es zu ihrer Zeit so gut funktioniert hat und warum es auch heute noch präsent ist. Aber wie gesagt – man kann auch einen Film nur über ihre Ästhetik machen. Oder einen, in dem sie als Insta-Girl aus subjektiver Perspektive erzählt und inszeniert. Das wäre alles interessant. Aber spätestens nach dem Überfall auf die Ukraine haben wir uns für den politischen Schwerpunkt entschieden.
Angesichts der benannten Materialfülle könnten Sie ja einen Mehrteiler für Streaming oder einen Podcast anstreben.
Warten Sie es ab …