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Schauspiel-Köln-ChefStefan Bachmann über seine Angst vor dem Wiener Burgtheater

Lesezeit 10 Minuten
Der Kölner Schauspielintendant Stefan Bachmann schaut im Mülheimer Depot aus den Kulissen seiner Inszenierung von Rainald Goetz' „Johann Holtrop“.

Stefan Bachmann, Intendant des Schauspiels Köln in den Kulissen von „Johann Holtrop“

Seit 2013 leitet Stefan Bachmann Schauspiel Köln. 2024 verabschiedet er sich nach Wien. Hier spricht er über seine Angst vor dem neuen Job als Burgtheater-Direktor und die Zukunft des Mülheimer Depots.

Stefan Bachmann, es ist viel passiert, seit wir zuletzt miteinander sprachen. Im Herbst 2024 werden Sie das Wiener Burgtheater übernehmen. Der Ruf kam auch für Sie überraschend?

Stefan Bachmann: Ja, das kam plötzlich. Kurz nach der Premiere von „Der eingebildete Kranke“, also Anfang Oktober, rief mich die Headhunter-Firma an, die das Findungsverfahren organisiert hat. Ob ich mir vorstellen könne, mich auf die Stelle zu bewerben? Das war im denkbar bizarrsten Moment, ich war gerade dabei, meiner Tochter die Schuhe zu binden. Ich habe geantwortet, dass ich zuerst mal eine Nacht darüber schlafen müsse. Ich fand das auch alles noch ein bisschen undurchsichtig, weil ich damals nicht verstanden habe, wieso sich auch Martin Kušej [der amtierende Burgtheater-Direktor] auf seine eigene Stelle bewerben musste? Inzwischen weiß ich, dass das tatsächlich in Wien so geregelt ist. Auch ich werde mich für weitere fünf Jahre neu bewerben müssen, es gibt keine automatischen Verlängerungen in Wien.

Nun gibt es im deutschsprachigen Theaterbetrieb kaum einen prestigeträchtigeren Job als den des Burgtheater-Direktors. So lange können Sie doch nicht gezögert haben?

Nach einem ersten, angenehmen Vorgespräch hatte ich auch Lust bekommen und angefangen ein Konzept zu entwickeln. Am Ende wollte ich es dann wirklich. Aber es war nie Teil meiner Lebensplanung, im Theaterbereich hat man ja nicht unbedingt die freie Wahl. Zudem gibt es eine große Tendenz, Theaterleitung grundsätzlich zu verändern. Aber am Ende hat man mir dann wohl die nötige Leidenschaft zugetraut.

Sie sind 2013 aus Wien nach Köln gezogen, jetzt geht es im Triumph wieder zurück. Mischt sich gelegentlich auch Panik in die Freude? Die Burg ist ja nun nicht gerade das einfachste Haus.

Vor der Pressekonferenz in Wien hatte ich eine fundamentale Krise, da habe ich richtig gelitten. Das war um vier Uhr morgens, auf dem Weg zum Kölner Flughafen. Da dachte ich: „Was mache ich da bloß? Das ist jetzt die größte Fehlentscheidung.“ Das war wie der Moment vor dem Sprung beim Fallschirmspringen. Der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Seither hatte ich diese Gefühle nicht mehr. Jetzt fühlt es sich gut an, arbeitsintensiv, aber schon beinahe normal.

Stefan Bachmann plant schon seine Abschiedsinszenierung von Köln

Wie teilen Sie sich die Zeit zwischen Wien und Köln auf?

Also erstens läuft das hier alles gut in Köln, ich habe ein wahnsinnig tolles Team und manchmal denke ich, die brauchen mich gar nicht mehr so dringend. Dann muss ich natürlich nicht mehr in die Zukunft hinein planen, das heißt, da werden Kapazitäten frei und ich kann die langfristige Arbeit, die ich für Köln gemacht hätte, jetzt für Wien verwenden. Und andererseits arbeite ich momentan tatsächlich einfach mehr. Es ist schon sehr sportlich. Aber ein Kollege hat zu mir gesagt, eigentlich fängt die Intendanz erst an, wenn man vor Ort ist. Es geht nicht darum, von Anfang an alles richtigzumachen. Wobei das Burgtheater schon ein sehr effizientes, straff organisiertes Theater ist, da wird jeden Abend an mindestens zwei bis drei Spielorten gespielt. Der einzige freie Abend im Jahr ist der 24. Dezember. Ich versuche, die Ruhe zu bewahren. Nun probe ich gerade die nicht ganz einfache Romanbearbeitung von Rainald Goetz' „Johann Holtrop“, anschließend inszeniere ich am Münchener Residenztheater Lion Feuchtwangers „Erfolg“. Das sind lange zuvor getroffene Verabredungen, große Produktionen, die ich jetzt lieber nicht gehabt hätte. Eine weitere Kölner Produktion, mit der ich die kommende Spielzeit eröffnet hätte, habe ich jetzt in die Spielzeit hinein verschoben, um mir ein bisschen Luft im Sommer zu verschaffen. Das wird dann meine Abschiedsinszenierung von Köln.

Gibt es etwas, dass Sie aus Ihren Anfängen in Köln gelernt haben? Etwas, das Sie in Wien vielleicht anders angehen werden?

Das ist schwer zu vergleichen. Was mir zugutekommt ist, dass ich über die Jahre in Köln tolle Menschen um mich versammeln konnte und manche dieser Menschen nun mit mir auch den Schritt nach Wien machen werden. Vor der Kölner Intendanz war ich fester Regisseur in Wien. Da hatte ich noch kein festes Team um mich und es hat eine Weile gedauert, bis hier die ideale Konstellation zusammengekommen ist. Es hilft auch, aus einem gut eingeschwungenen Betrieb heraus in eine neue Intendanz zu gehen. Die Kontakte zu Künstlern, Autoren und so weiter sind schon geknüpft. Was nicht heißt, dass ich in Wien genau das Gleiche machen werde wie in Köln. Früher war „Intendant“ oft eine Amtsbezeichnung, die sich hinter einem Künstlernamen verborgen hat. Da hat man sich den Regisseur XY mit seiner Truppe eingekauft und nach fünf Jahren zog die Karawane weiter und es hat niemanden interessiert, ob das Theater danach in Trümmern lag. Da denkt man heute nachhaltiger, die Erwartungen an die Arbeitsbedingungen sind viel sensibler und das Job-Profil ist ein ganz anderes geworden. Intendant muss man richtig lernen, obwohl es dafür keine Schule gibt. Ohne die elf Jahre Köln würde ich mir Wien gar nicht zutrauen.

Ich glaube, dass die Wiener beeindruckend fanden, was hier unter sehr schwierigen Umständen gelungen ist
Stefan Bachmann

Was denken Sie, hat die Wiener an ihrer Kölner Zeit beeindruckt?

Ich glaube, dass die beeindruckend fanden, was hier unter sehr schwierigen Umständen gelungen ist. Wir haben in den letzten Jahren zunehmend erlebt, dass das Schauspiel Köln überregional wieder sehr positiv wahrgenommen wurde. Was am Anfang wie eine Übergangssituation aussah, wird nun als eine große Errungenschaft gesehen, also im Sinne von Stadtentwicklung, von der Verbindung mit dem Stadtteil Köln Mülheim und der Zugänglichkeit für andere Zuschauerkreise. Auch in Wien und im Burgtheater wird ja gesehen, dass ein Strukturwandel da ist und sich das Theater stark verändert. Ich glaube, den Wienern hat auch gefallen, dass ich mir relativ viele Gedanken darüber gemacht habe, was Theaterleitung überhaupt bedeutet. Und dann war wohl auch eine große Lust auf die Zukunft des Burgtheaters spürbar.

Ich fand es sehr schön, was Sie bei der Pressekonferenz in Wien über die Kölner Interims-Situation erzählt haben. Das Depot wird ihre Hinterlassenschaft in Köln sein.

Also hoffentlich! Daran wird ja jetzt gearbeitet. Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass es der Stadt ernst damit ist, das auch zu behalten. Die Frage ist, wie man das hinkriegt. Die Beschlussvorlage, die dazu ausgearbeitet wird, verschiebt sich jetzt in Richtung Mai. Das erstaunt mich nicht, das bin ich aus Köln nicht anders gewöhnt. Aber im Moment hat das nicht den Geruch von „Wir schieben es raus, weil wir uns nicht entscheiden wollen“, sondern eher von „Wir wollen es gut entscheiden und dafür brauchen wir noch etwas Zeit“. Dass der Kulturdezernent und die Kämmerin in sehr enger Abstimmung miteinander arbeiten, finde ich schon mal ein sehr gutes Zeichen.

Eine Tanz-Company wäre für Köln kulturell gesehen ein riesiger Schritt nach vorne
Stefan Bachmann

Welche Fragen müssen noch geklärt werden?

Es geht unter anderem darum, wie das Haus am Offenbachplatz überhaupt aufgestellt sein muss, um die Leistung zu erbringen, die man sich erwartet. Da ist dann plötzlich wieder ein anderer Personalaufwand notwendig. Gleichzeitig muss man sich fragen, was eine Nachnutzung für das Depot beinhaltet. Das ist natürlich mit dem Thema „eigene Tanz-Company“ verbunden. Köln soll endlich wieder eine eigene und eigenständige Tanzcompany bekommen. Das Depot ist dafür der ideale Ort und würde durch den Tanz fortlaufend bespielt: Darüber hinaus lässt sich dann eine Menge entwickeln: Kapazitäten für die freie Szene, eine dritte Spielstätte für das Schauspiel, Bürgerbühnen etc. Man kann in den Studien, die bereits erstellt wurden, übrigens ziemlich genau sehen, wie das Angebot zusammenschrumpfen würde, wenn das Schauspiel keine dritte Spielstätte hätte. Eine Tanz-Company wäre für die Stadt kulturell gesehen ein riesiger Schritt nach vorne. Ich glaube, hier ist das Publikumspotenzial noch längst nicht erschöpft.

Die Tanzgastspiele und die Vorstellungen von Richard Siegal sind jedenfalls immer sehr gut besucht.

Ja, da gibt es eine unglaubliche Nachfrage, die hat mich selbst überrascht. Und unsere Crossover-Projekte wie „Love Me More“ ziehen ein ganz neues Publikum. Wenn der Tanz hier eine bestimmte Aura und Qualität erreicht, könnte ich mir vorstellen, dass ein überregionales Publikum auf der Suche nach einem sehr zeitgemäßen Tanztheater kommt. Hier könnte eine internationale Drehbühne für den Tanz entstehen, die Companies, die bei uns zu Besuch sind, fühlen sich hier jedenfalls besonders wohl, weil es so urban ist, modern und frei, einfach durch die Größe dieser Halle und den tollen Garten davor.

Nun stehen die Zeichen in der Stadt momentan aber eher auf Sparkurs …

Ich weiß schon, dass momentan die Wirtschaftslage und die Weltlage eher dagegen zu sprechen scheinen. Aber das sind vorübergehende Krisen und die Entscheidung für das Depot ist auf Dauer gesehen die einzig richtige Entscheidung.

Im Carlswerk schwappte den Theatermachern die Scheiße um die Ohren

Wenn man das Carlswerk und seine Umgebung im Jahr 2013, als Sie hier angefangen haben, mit der Situation heute vergleicht, scheint das jedenfalls offensichtlich.

Ja, das hat schon eine ganz eigentümliche Kraft gewonnen. In den ersten Jahren ist uns hier manchmal die Scheiße um die Ohren geschwappt. Buchstäblich, wir hatten die Kanalisation noch nicht im Griff und das Abwasser ist auf die Bühne gelaufen. Aber so kommt man mit der Wirklichkeit in Verbindung. Uns kann jedenfalls niemand vorwerfen, wir würden in einem kulturellen Elfenbeinturm wohnen. Dafür hat der Ort aber eine gute Ausstrahlung. Ich glaube, es hätten sich nicht so schnell so viele moderne und kultur- sowie zukunftsorientierte Firmen hier angesiedelt, wenn wir nicht da gewesen wären. Kultur zieht Kultur an, das ist wie die erste Kneipe in der Straße, auf die eine zweite und dann sehr schnell eine dritte und vierte folgt. Der ganze Stadtteil hat sich komplett verändert und das macht die Stadt größer, weniger betulich, weniger eng.

Lassen Sie uns noch über Ihre kommende Uraufführung sprechen. Sie sprachen ja bereits von der nicht ganz einfachen Bearbeitung von Rainald Goetz' „Johann Holtrop“. Eine Untertreibung!

Im Untertitel hat Goetz seinen Roman einen „Abriss der Gesellschaft“ genannt und tatsächlich ist er ein Panorama der Nuller Jahre. Sozusagen analog zu seinem Stück „Reich des Todes“, wo es um die Nachwirkungen von Nine Eleven und den Irakkrieg geht. In „Johann Holtrop“ geht es nun nicht um die Politik, sondern um die Wirtschaft. Ein Text, der rund 20 Jahre alt ist – und gleichzeitig noch total zeitgemäß. Die Komplexität, die sie ansprechen, die ist natürlich fast hanebüchen für eine Dramatisierung und Goetz hat ja auch lange keine Bühnenfassung seines Romans erlaubt.

Warum gerade jetzt?

Er hat die Düsseldorfer Premiere von „Reich des Todes“ besucht und war von meiner Inszenierung begeistert. Da habe ich ihm gesagt, wie gerne ich den „Holtrop“ machen würde. Das hat er unkommentiert stehen lassen. Ein paar Wochen später ist er dann auf der Kölner Premiere von „Reich des Todes“ auf mich zugekommen und hat gesagt, dass er mir die Rechte an „Johann Holtrop“ geben würde. Ich habe lange mit der Dramaturgin Lea Goebel an der Textfassung gearbeitet. Es war schon viel anstrengender und aufwändiger, als ich gedacht hatte. Es geht immer um die Qual der Entscheidung, wenn man Romane dramatisiert und bei Goetz gefällt mir jeder Satz. Andererseits hat man seinen Sprach-Sound als Qualität, wenn es auf die Bühne geht. Diese wirklich ganz tolle, besondere Sprache zu hören, das ist nochmal ein anderes Erlebnis, als wenn man es liest. Im Grunde hat der Roman aber eine einfache Handlung.

Die da wäre?

Aufstieg und Fall eines Topmanagers. Dabei geht es um die Analyse männlichen Machtverhaltens. Um diese testosterongeschwängerte Wirtschaftswelt der Nuller Jahre, von der wir gerade erst anfangen, uns zu distanzieren, die wir versuchen, zu überwinden.