Claude De Demo vom Berliner Ensemble wütet im Kölner Depot 2 gegen die unmöglichen Anforderungen an Mütter. Ein aufrüttelnder Abend.
Schauspiel KölnDer Rezensent fühlt sich als Durchschnittsarschloch ertappt
Und wenn man die ganze Care-Arbeit der Mütter einfach mal sein ließe? Claude De Demo entwirft, beinahe genüsslich, ein apokalyptisches Szenario. Krampfende Babys, vermüllte Wohnungen, überfahrene Schulkinder, Karrieremänner am Rande des Nervenzusammenbruchs. Das Ende des Patriarchats, vielleicht gar keine so schlechte Idee. Der Kapitalismus, doziert De Demo, funktioniere nur über die Unterdrückung der Frau, über deren unbezahlte, im gesellschaftlichen Diskurs kaum sichtbare Sorgearbeit, „das bisschen Haushalt“.
„Oder ist ihnen das jetzt zu radikal?“, fragt die Schauspielerin, selbst Mutter zweier Kinder. I wo. Das Publikum im Depot 2 setzt sich zu 80,90 Prozent aus Frauen zusammen und die können die Erfahrungen, von denen De Demo und ihre Gastautorinnen an diesem Abend mit dem aufmerksamkeitsheischenden Hashtag-Namen „#motherfuckinghood“ sprechen, bestätigen: Als Mutter kannst du in Deutschland nur verlieren.
Kannst dich vom Kreißsaal an entmündigen lassen, deine berufliche Zukunft aufs Abstellgleis fahren und am Ende im Durchschnitt eine Million Euro weniger verdient haben als der Vater des Kindes. Oder dessen Betreuung an eine Nanny delegieren und fortan als Rabenmutter gelten. Rabenväter gibt es bekanntlich keine.
Regisseurin Jorinde Dröse hat ihre Theaterkarriere für die Mutterschaft unterbrochen
Ihr Solo am Berliner Ensemble hat die luxemburgische Schauspielerin zusammen mit der Regisseurin Jorinde Dröse erarbeitet. Die hatte vor zehn Jahren eine erfolgreiche Theaterkarriere unterbrochen und zur Erzieherin umgelernt, weil sich das Familienleben nicht mit dem Regieführen vereinbaren ließ. Inzwischen hat Dröse wieder an ihre Bühnenlaufbahn angeknüpft, am hiesigen Schauspiel feierte Ende September ihre Antikenüberschreibung „We Are Family“ Premiere – weshalb jetzt ihr Stück zum Muttersein, das in Berlin zuverlässig für ausverkaufte Vorstellungen sorgt, nun auch an zwei Abenden in Köln zu sehen war.
Die Inszenierung beginnt als chaotische Stand-up-Nummer: De Demo schleppt sich im typischen Steppmantel urbaner Mütter auf die Bühne, über ihre weißen Schlabberklamotten hat sich ein Kind übergeben. Kaum will sie zum Monolog ansetzen, klingelt das Handy. Das Kind hat schon wieder Nöte. Kann sich da nicht auch mal der Vater kümmern? Könnte man jetzt eventuell mal gemeinsam einen Moment der Stille im Saal genießen?
Lange hält der nicht an, schon wird die fleckige Hose gegen High Heels zum Hemdchen getauscht. De Demo gibt jetzt die Klischee-Karrierefrau, nach einem Text, den Antonia Baum für das Stück geschrieben hat. Vor ihrer Chefin will sie sich als toughe Entscheiderin beweisen, die das Familienleben vor der Bürotür lässt, ist aber auch eifersüchtig auf das mexikanische Kindermädchen, das Quality Time mit ihrem Kind verbringen darf – und hat zugleich ein schlechtes Gewissen, weil ihr berufliches Vorankommen so von der unterbezahlten Arbeit einer anderen Frau abhängt.
Das sind keine subtilen Charakterstudien und das anschließende Multiple-Choice-Quiz ist unverblümter Frontalunterricht. Es geht unter anderem ums „Gender-Pay-Gap“ und um „Paternal Underperforming“ – so nennt man das, wenn Väter Aufgaben absichtlich in den Sand setzen, damit beim nächsten Mal die Frau diese freiwillig übernimmt. Man darf es ruhig feministischen Agitprop nennen, aber die Polemik ist mit erschütternden Fakten unterfüttert – der Autor dieser Zeilen fühlt sich hier als Durchschnittsarschloch ertappt – und das Agitieren ist wohl bitternötig. Einmal schlüpft De Demo sogar ins Supergirl-Kostüm und wirft sich mit Megafon in Pose.
Dazwischen schlägt sie jedoch ganz andere Töne an. Ein von Emilia Roig verfasster Monolog über „Sternenmütter“ – Frauen, deren Kinder vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind und denen sowohl das Muttersein wie die Trauer versagt bleibt – erschüttert ebenso wie die detaillierte Beschreibung einer traumatisierenden Geburt.
Hier verwandeln sich die zuvor lauthals angeführten Statistiken in leise, individuelle Geschichten von umso universellerer Durchschlagskraft. Am eindrücklichsten zum Finale des 75-minütigen Abends, für das die österreichische Autorin Mareike Fallwickl besorgte Worte an ihren 13-jährigen Sohn richtet: Sind am Ende die Mütter Mitschuld am Patriarchat, wenn sie ihren Söhnen beibringen, wie sie sich am besten zu verhalten haben, um nicht von den anderen Jungs gemobbt zu werden. Was, wenn der Junge, für den frau so viel aufgegeben hat, selbst zum Täter wird?
Der Ausweg aus der Mutterfalle führt über eine neue Idee von Männlichkeit. Schade, dass sich an diesem Abend so wenig Männer ins Theater getraut haben.