Schauspiel KölnDiese Premiere war zwei Theatermitarbeitern zu heikel
- In „Verhaftung in Granada“ beschreibt der Kölner Autor Dogan Akhanli seine vier Verhaftungen durch den türkischen Staat.
- Der Regisseur Nuran David Calis hat das Buch in der Spielstätte am Offenbachplatz dramatisiert.
- Einige Mitarbeiter des Schauspiel Köln fürchteten, nach der Inszenierung nicht mehr in die Türkei einreisen zu dürfen.
Köln – Auf der Konzeptionsprobe zu „Verhaftung in Granada“, spricht Stefko Hanushevsky auf der Bühne am Offenbachplatz in die Videokamera, habe der Regisseur Nuran David Calis alle Beteiligten gefragt, ob sie vorhätten, jemals wieder in die Türkei einzureisen. Man lachte.
In der Buchvorlage zum Theaterabend erzählt der Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli von seinen vier Verhaftungen durch den türkischen Staat. Nach der zweiten Verhaftung flüchtet er mit seiner Familie nach Deutschland. Die dritte erfolgt 20 Jahre später als Akhanli, nun deutscher Staatsbürger, in die Türkei einreisen will, um seinen sterbenden Vater ein letztes Mal zu sehen. Die vierte ereilt ihn im August 2017, als Urlauber im spanischen Granada: Sein Geburtsland hat den Autor, der in seinen Texten auch den Völkermord an den Armenieren thematisiert, über Interpol zur Fahndung ausgerufen.
Auf der nächsten Probe, erzählt Hanushevsky, hätten zwei türkischstämmige Kollegen gefehlt. Nun lachte niemand mehr. Und der Schauspieler stellt verwundert fest, dass die Freiheit der Kunst, die er für selbstverständlich genommen hatte, nicht für alle das Gleiche bedeutet, auch nicht auf der gleichen Bühne im gleichen Land.
Um so wichtiger ist dieser ebenso persönliche wie politische Abend in der kleinen Außenspielstätte des Schauspiel Köln. Vor ein paar Jahren stand Dogan Akhanli selbst für Nuran David Calis auf der Bühne, berichtete in „Istanbul“ sehr eindrücklich von seinen Gefängniserfahrungen. Jetzt durchleben stellvertretend Hanushevsky, Kristin Steffen und Murat Dikenci seine außergewöhnliche Geschichte (und übernehmen auch alle anderen Rollen). Die nimmt, wie jede Begegnung zwischen Unrechtsregime und Bürger, zunehmend kafkaeske Züge an.
Etwa wenn der just Eingereiste sich im Dezernat für Terrorbekämpfung wiederfindet und niemand, weder der Arretierte noch die Behörden, wissen, weshalb er denn nun festgenommen wurde. Akhanli soll die Terrororganisation angeben, deren Mitglied er ist, das sei im Formular so vorgesehen. Weil ihm die entsprechenden Referenzen nun mal fehlen, der vorgesehene Platz aber nicht leer bleiben darf, entscheidet sich der Autor schließlich für „MKLL“. Weil sich das, so Hanushevsky als Akhanli zum Publikum, zumindest nach einer linken radikalen Organisation anhöre. Auch wenn es für das Kölner Jugend-Projekt „Mit Konflikten Leben Lernen“ steht. Derweil klagt Murat Dikenci als Polizist, in dessen Gewahrsam sich Akhanli befindet, über seine Überarbeitung und Unterbezahlung als Terrorbekämpfer: Darüber könnte der Schriftsteller doch einmal schreiben.
Zuvor hatte auch Dikenci von der Reisewarnung des Regisseurs erzählt. Und von seiner allsommerlichen Sehnsucht nach Istanbul, und auch darüber, dass er dem türkischen Taxifahrer, der ihn zur Probebühne fährt, lieber nicht erzählt hat, in was für einem Stück er mitspielt.
Dem Zuschauer ohne türkische Wurzeln vermittelt sich die Brisanz der Thematik jedoch kaum weniger eindrücklich. Nuran David Calis gruppiert das Geschehen um ein halboffenes, drehbares Haus, das zuerst die elterliche Holzhütte im Dorf im Nordosten der Türkei, später eine Zelle oder einen Verhörraum darstellt. Außen vor der Fensterscheibe steht ein schmaler Schreibtisch mit einem Laptop, hier sieht der Autor seine Reflektion oder blickt hindurch in die Vergangenheit. Oft überblenden sich die Bilder.
Manchmal drücken sich die Schauspieler auch an der hinteren Wand entlang, entledigen sich ihrer Kleidung und kauern dort nackt, als Sinnbild der rohen Gewalt, die von Staats wegen gegen die Körper seiner Bürger ausgeübt wird. Akhanli erzählt mit Bescheidenheit, Präzision und Humor von seinem Leben und dem Zugriff des einstigen Heimatlandes darauf, aber es ist kein Spiel – auch das macht dieser herausragend gespielte Abend deutlich.
Am Ende verlesen die Schauspieler die Namen von Menschen, die sich in türkischer Haft befinden. Bis das Licht ausgeht und der Applaus anschwillt. Tatsächlich könnte der kurze, intensive Abend so noch bis in die frühen Morgenstunden weitergehen. Diese traurige Wahrheit löst er zum Glück nicht auf.
STÜCKBRIEF
Regie: Nuran David Calis
Bühne: Anne Ehrlich
Kostüm: Geraldine Arnold
Musik: Vivan Bhatti
Mit: Stefko Hanushevsky,
Kristin Steffen, Murat Dikenci
Termine: 7., 21. März, 2. April, Offenbachplatz, 100 Minuten