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Schauspiel KölnIrre Avatare spielen Shakespeare – nur Spaß macht das leider keinen

Lesezeit 4 Minuten
Was ihr wollt
von William Shakespeare
Regie: Charlotte Sprenger
 
Inszenierung: Charlotte Sprenger
Bühne: Max Schwidlinski
Kostüm: Josa Marx
Musik: Philipp Pleßmann
Kamera: Max Schlehuber
Licht: Michael Frank
Dramaturgie: Julia Fischer
 
Foto: Birgit Hupfeld

Was ihr wollt von William Shakespeare Regie: Charlotte Sprenger Inszenierung: Charlotte Sprenger Bühne: Max Schwidlinski Kostüm: Josa Marx Musik: Philipp Pleßmann Kamera: Max Schlehuber Licht: Michael Frank Dramaturgie: Julia Fischer Foto: Birgit Hupfeld

Charlotte Sprenger versetzt Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ in eine virtuelle Spielewelt. Unsere Kritik.

Billy (Johannes Benecke) hat das Ultra Premium Package freigeschaltet. Jetzt kann er endlich sein albernes VR-Headset absetzen, die Kabel kappen und vollkommen in die virtuelle Wirklichkeit Illyriens eintauchen. In Charlotte Sprengers Inszenierung von „Was ihr wollt“ wird William Shakespeare zum Gamer, die 423 Jahre alte Komödie zum immersiven Computerspiel und ihre Protagonisten zu fabelwesenartigen Avataren auf der Bühne des Depot 1. Blau-gelb gescheckte Lurche, grünnasige Ritter mit eisernen Schmetterlingsflügeln, Chimären aus vieläugigen Schalentieren und einem Stück Pizza: Josa Marx' Kostüme sind das eigentliche Highlight dieses Abends.

Billy wählt sich als erste Spielfigur Viola. Die an der Küste Illyriens Gestrandete muss sich nun nicht mehr, wie in der Vorlage, als Knabe verkleiden, um in den Dienst des Herzogs Orsino (Sinan Güleç) zu treten und für ihn um die Liebe der Gräfin Olivia (Kara Schröder) zu werben. Kristin Steffen ist ein junges Reh, ein kieksendes Fantasy-Bambi, das aufgeregt mit den Hufen schart.

Kristin Steffen scharrt als Fantasy-Bambi mit den Hufen

Im Internet weiß bekanntlich niemand, dass du ein Hund bist. Das gilt auch in der „Twelfth Night“-Gamingwelt. In der Figur des Sir Toby führt Sprenger Shakespeares Vexierspiel der Geschlechter ad absurdum: Wo einst Männer Frauen spielten, die sich als Männer ausgeben, übernimmt Lisa-Katrina Mayer die Rolle des sauflustigen Onkels von Olivia – der wird hier zur Schwester und Mayer verkörpert sie/ihn als wild grimassierende Drag Queen im Reifrock. Ansonsten lösen sich Gender-Kategorien völlig in einer polymorphen Muppet-Show auf: Geschlecht und Gestalt mögen sein, was ihr wollt.

In der Realität außerhalb des Metaversums – die auf der Kölner Bühne nur per Live-Schalte gezeigt wird, scheint das Wünschen dagegen nicht mehr zu helfen. Charlotte Sprenger und ihre Dramaturgin Julia Fischer haben sich unter anderem bei Lana und Lily Wachowskis Science-Fiction-Film „Matrix“ und Ernest Clines Gamer-Roman „Ready Player One“ bedient: Die Welt ist zerstört, Heil verspricht allein die Simulation. Billy ist ein geknechteter Untertan, der sich in ein finales VR-Level namens Elysium sehnt, weil ihm das Leben außerhalb keiner Zukunft bietet. Die Apokalypse hat längst stattgefunden, Billy wird zu Aufräumarbeiten eingeteilt und muss der Kremierung seiner Schwester beiwohnen. Kein Wunder, dass er sich ins mal hochpoetische, mal herrlich derbe Liebesspiel flüchtet. Auch wenn hier er am Ende nur Zuschauer bleibt und das Elysium sich als endlose Wiederholung entpuppt.

Das Computerspiel-Konzept ist bis zur letzten Pointe durchgearbeitet

Wer häufiger ins Theater geht, dürfte etliche Interpretationen von „Was ihr wollt“ gesehen haben, das Stück ist quasi unkaputtbar. Shakespeares perfekte Komödie als Vorlage zur Selbstbefragung des Theaters zu nehmen, leuchtet durchaus ein, zumal sich das Stück selbst immer wieder infrage stellt. „Wenn ich das auf einer Bühne gesehen hätte, hätte ich gesagt, das ist total ausgedacht“, kommentiert die Dienerin Maria die berühmteste „Twelfth Night“-Szene (dazu gleich mehr) und die als Liebesbote Cesario verkleidete Viola warnt die liebestolle Gräfin Olivia: „Ich bin nicht, was ich spiele.“ Jetzt verbirgt sich zwar kein Frauendarsteller mehr im Männerkostüm, aber doch ein Billy im Reh-Avatar, der Witz ist noch derselbe und funktioniert ebenso gut. Und Sprenger und Fischer haben ihr Computerspiel-Konzept dem Text nicht aufgepfropft, sondern bis zur letzten Pointe durchgearbeitet.

Würde der Abend nur mehr Spaß machen. Die Premiere zog sich eine gute halbe Stunde länger hin als angekündigt und man spürte jede Extraminute: Während in der elisabethanischen Vorlage jede Liebesbeteuerung zur nächsten Verwirrung führt, Handlungen und Nebenhandlungen nahtlos ineinandergreifen, wirkt hier jede neue Szene wie eine vom Spieler ausgelöste Skriptsequenz, die in einem Game zum nächsten Level führt. Das mag sogar beabsichtigt sein, aber es führt dazu, dass die Inszenierung immer wieder von Neuem Anlauf nehmen muss, ohne jemals richtig in Schwung zu kommen.

Das gilt selbst für die berühmte Intrige, in der Sir Toby, Sir Andrew Leichenwang (Ronald Kukulies) und Maria (Andreas Leupold) den unausstehlichen Haushofmeister Malvolio mit einem gefälschten Brief davon überzeugen, seine Herrin, die Gräfin, wäre in ihn verliebt: Sabine Waibel spielt den Genasweisten nicht nur mit der exakt richtigen Mischung aus mitleiderregender Dummheit und Schadenfreude triggernder Großmannssucht, sie spielt auch ganz wunderbar mit ihrem sechsgliedrigen Insektenkostüm. Aber Sprenger lässt die Schauspielerin so lange drauflos improvisieren, bis endgültig die Luft aus der Nummer heraus ist, bis das Spiel zur mühsamen Übung wird.

Es bleibt dennoch die beste Szene dieses langen Abends – und gerade deswegen merkt man, was hier an Potenzial verschenkt wird.