AboAbonnieren

Schauspiel KölnSo waren die ersten Aufführungen unter Corona-Bedingungen

Lesezeit 5 Minuten
Warten auf Gordot Köln

Szene aus „Warten auf Gordot“

  1. Das Schauspiel Köln wagt nach dem vorzeitigen Abbruch der letzten Spielzeit den Neuanfang.
  2. Die ersten zwei Premieren – „Warten auf Godot“ und „Die Hermannsschlacht“ – erlebt das Publikum von der Bühne aus.
  3. Geguckt und gespielt wird mit Abstand, aber kaum weniger intensiv. Wie sich das anfühlt, erfahren Sie hier.

Köln – Achtung, Spoiler: Godot erscheint auch diesmal nicht. Das Warten geht weiter. Endlos, endlos. Wir können mitfühlen. Und wie. Samuel Becketts Stück zur Stunde null – der (Heils-)Geschichte des Theaters, der Philosophie – ist das Stück der Stunde. Kein anderer Text bricht das Leben so radikal auf die nackte Existenz, bar jeder Erinnerung, Hoffnung oder Pläne, herunter wie „Warten auf Godot“.

Dass wir in unserer pandemischen Einzelhaft feststecken wie in einem ort- und beziehungslosen Block aus Zeit, führt uns ja unweigerlich zur Beckett’schen Frage: Gibt es ein Leben nach der Geburt? Regisseur Jan Bosse verzichtet in seiner ersten Arbeit fürs Schauspiel Köln seit elf Jahren auf allzu direkte Anspielungen. Die ergeben sich hier von selbst. Angefangen mit der ersten Wiedersehensfreude der Wartenden, die Wladimir mit einer Umarmung feiern will. „Nicht jetzt, nicht jetzt“, winkt Estragon gereizt ab.

Das wir uns hier selbst zuschauen, bekräftigt Bosse mit einer inszenatorisch grobschlächtigen, aber sinnigen Entscheidung: Das Publikum – nur 120 Menschen finden im AHA-regelkonformen Depot 1 Platz – sitzt hübsch vereinzelt auf der Bühne. Gespielt wird zwischen den mit weißen Schutzhüllen überzogenen Sitzreihen der Zuschauertribüne. Auf die funktionslosen Klappsitze wird mal eine kleine Plattform aufgebockt, mal reißen die Protagonisten deren Rückenlehnen heraus und dreschen damit auf sich ein, am Ende dienen sie nur noch als Feuerholz. Selbst vom im „Godot“ obligatorischen Baum sind nur ein paar über einen Mikrofonständer geworfene Plastikblätter übrig geblieben (das war bereits in Bosses erstem „Godot“ vor 16 Jahren in Hamburg so).

Absurder Schrecken

Wir sehen uns also selbst in diesen beiden bunt gewandeten aber derangierten Clowns, die nun langsam aus geblümten Stepp-Anoraks schlüpfen, wie Eier aus dem Eierwärmer. Sehen uns selbst durch die leeren Reihen irren, auf Abstand bedacht, vergeblich nach Zerstreuung suchend. Es gab schon komischere Didi-und-Gogo-Paarungen als Peter Knaack und Jörg Ratjen, aber das liegt vor allem daran, dass es gerade schwerer fällt, die Komik im Absurden zu erkennen, als den Schrecken. Knaack kultiviert als Wladimir den toten Blick hinter übergroßen Brillengläsern. Der hier, denkt man, hat schon alles gesehen. Und macht trotzdem weiter. Nur warum, darauf wird er keine Antwort wissen. Mit Estragon wird man ebenso wenig tauschen wollen. Ratjen scheint in einem Dauerzustand nöliger Verwirrtheit gefangen, weiß weder was, noch wo er gestern war. Seine Füße schmerzen, jemand hat ihn geprügelt, ein anderer hat ihm ein Brötchen geschenkt, viel mehr dringt nicht mehr in seine Alzheimer-Welt durch.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der mit dem Brötchen, das war Pozzo. Den Bruno Cathomas zur heimlichen Hauptrolle aufmotzt. Worin wiederum die Tragik dieser Figur besteht. Pozzo steht allein im Konfettiregen, eine Rampensau ohne Zuschauer. Bis auf diese zwei traurigen Gestalten, die noch nicht einmal seinen Namen kennen. Und bis auf seinen störrischen Sklaven Lucky, der für das dezimierte Publikum tanzen und denken soll. Justus Maier, kaum halb so alt wie der Rest des Ensembles, gibt im Stroboskoplicht zuckend alles, unweigerlich fühlt man sich an einen der illegalen Corona-Raves unter Brückenpfeilern oder auf Waldlichtungen erinnert, auf denen junge Menschen gegen die Tatsache aufbegehren, dass die aufregendste Zeit ihres Lebens gerade in einer Blase aus Langeweile zu verpuffen droht.

Luckys Echolalien – ein (oder mehrere) sinnentleerter Wissenschaftsaufsatz – rhythmisiert Maier bis zum Battle-Rap, unterstützt von der fünften Mitspielerin auf der Tribüne, der Schlagzeugerin Carolin Bigge, welche die Wartenden über die gesamte Strecke des Abends begleitet. Hält sie das Tempo, oder markiert sie nur das sinnlose Tick-Tick-Ticken der Zeit? Am Ende fällt der Vorhang, um einen anderen Beckett-Satz zu beleihen, da er keine Wahl hat, auf nichts Neues: Gogo und Didi beschließen zu gehen und verharren in Schockstarre. Auf uns ausgehungerte Zuschauer wirkt Bosses Bestandsaufnahme jedoch geradezu befreiend. Von hier aus kann es weitergehen.

Pausenlose Kürze

Ein unverhoffter Segen dieser ersten Corona-Spielzeit ist die Kürze und Pausenlosigkeit der Abende. Wahrscheinlich hat Oliver Frljić aber nie vorgehabt, seine Fassung der Kleist’schen „Hermannsschlacht“ ins Epische ausufern zu lassen. Das ruhe- und ruchlose Machtspiel, das der Regisseur im umstrittensten Stück des aufregendsten deutschen Dramatikers freilegt, zeigt sich umso deutlicher, je rascher und schroffer die Szenen aufeinander folgen.

Letzterer Effekt ergibt sich schon aus Frljić’ beherzten Kürzungen (hinzugefügt werden nur ein paar Heiner-Müller-Zitate). Ein Zuschauer, der das Stück nie zuvor gelesen hat, wird nach den 100 drängenden Minuten auf der Bühne des Depot 2 (75 Zuschauer sitzen an den Seiten der rechteckigen Spielfläche) kaum eine sinnvolle Zusammenfassung der Handlung geben können. Zumal Frljić ihm die Aufgabe noch dadurch erschwert, dass die Rollen zwischen den sieben Schauspielern und Schauspielerinnen von Szene zu Szene frei flottieren. Eben noch flirtete Nicola Gründel als des Cheruskerfürsten Hermanns Gattin ins Mikrofon hauchend mit dem römischen Legaten Ventidius, schon verhöhnt sie sich als ihr eigener Ehemann – „Was gibt’s mein Thuschen?“– nun aber in Gestalt von Alexander Angeletta.

„Game of Thrones“-Vorläufer

Das ist kein willkürliches Verwirrspiel: Je wechselhafter die Rollen von Besetzern, Vasallen und Widerstandskämpfern, desto deutlicher treten die Intrigen hervor. In Windeseile wird der Bündnispartner zum Todfeind, der Schwur zum Verrat. Einzige Konstante der Politik ist, dass sie sich wendet wie das Wetter. Kleists Germanendrama, entstanden während der Napoleonischen Kriege, gilt vielen als hurrapatriotischer Ausrutscher eines großen Autors, auch wegen seiner Popularität unterm Nazi-Regime. In Frljić’ atmosphärisch ungemein dichter Bearbeitung wirkt die „Hermannsschlacht“ aber eher als Vorläufer von „Game of Thrones“.

Die stumpfe Propaganda hat der Regisseur in Form von in Schwarz-Weiß reproduzierten Ölgemälden an die Wände verbannt, etwa Paul Thumanns „Heimkehr der Deutschen aus der Schlacht im Teutoburger Wald“. Am Ende des Abends posiert Nikolaus Benda flügelhelmtragend wie der Hermann des Gemäldes auf einem Pferd, fast zufällig enden die Hinterhalte im Standbild des Nationalhelden. Doch der Bühnengaul besteht nur aus einem Gestänge mit Pferdeschädel: das nackte Grundgerüst der Geschichte.