AboAbonnieren

Schauspiel KölnViscontis Nazidrama „Die Verdammten“ als groteskes Puppenspiel

Lesezeit 4 Minuten
19014_verdammten_8693p_birgit_hupfeld

  1. Ersan Mondtags Kölner „Räuber"-Inszenierung war umstritten. Jetzt hat er Luchino Viscontis Filmklassiker „Die Verdammten" auf die Bühne gebracht.
  2. Die Geschichte vom Untergang der Krupp-Dynastie wird bei Mondtag zum grotesken Puppenspiel mit Nazis.
  3. Die Schauspieler sind halb Shakespeare-Mimen und halb Geisterbahnerschrecker.

Köln. – Schnee fällt, kaum dass sich der schwere Vorhang im Kölner Depot 1 geöffnet hat, auf alle Lebenden und Toten und alle lebenden Toten. Schnee bedeckt Tannen links und rechts der nächtlichen Villa, von der nur noch eine aufgebrochene Ruine übrig geblieben ist. Bedeckt folglich auch deren Galerie, deren Treppenstufen und Mobiliar, hat als Lawine die Fenster durchbrochen und den größten Teil eines Konzertflügels unter sich begraben. Eulen heulen, Winde wehen, Gewitterlichter flackern ahnungsvoll. Die Toten liegen vor der Szene, auch sie völlig eingeschneit. Jetzt erheben sie sich zombiehaft, bucklige Gruselgestalten, halb Geisterbahnerschrecker, halb Droogs aus Kubricks „A Clockwork Orange“.

Das könnte Sie auch interessieren:

In „Die Verdammten“, Luchino Viscontis streitbarem Spielfilm, nach dessen Vorlage Ersan Mondtag am Schauspiel Köln inszeniert, tragen die Untoten SS-Uniformen, wird die Tragödie der Stahlbaron-Dynastie von Essenbeck erzählt. Gemeint sind selbstredend die Krupps aus Essen. Mondtag hält sich durchaus an Viscontis Plot vom Macbeth-artigen Mord des Emporkömmlings Bruckmann am Patriarchen von Essenbeck, mit dessen Schwiegertochter Sophie in der Rolle der Lady Macbeth. Nur die Hexen ersetzte der italienische Regisseur durch den Intriganten Hauptsturmführer Aschenbach. Was bei Shakespeare die Kräfte des Bösen und des Chaos waren, fasste Visconti konkreter: Für ihn waren die Nazis das Ergebnis der gescheiterten deutschen Revolution nach dem Ersten Weltkrieg, die Rache der Geschichte an einer dekadenten Herrschaftsform.

Ersan Mondtag — der wie immer auch das Bühnenbild gestaltet hat — scheint nun wiederum zur diffusen Bedrohung eines nicht näher definierten Bösen zurückzukehren. Aber das täuscht. Über der herrschaftlichen Tafel der von Essenbecks wacht die riesige Reproduktion eines Kleinkindporträts, die Fotografie zeigt Adolf Hitler im ersten Lebensjahr. Was wir sehen ist gewissermaßen die Urszene des Faschismus, die Horrorshow einer sich wiederholenden Geschichte.

Über der Bühne wacht ein Kinderbild von Adolf Hitler

Das alles weiß man wenige Minuten, nachdem der Vorhang sich geöffnet hat. Die gut zwei Stunden, die darauf folgen, hätte man sich also sparen können. So lautet zumindest die vermutete Meinung des Premierenpublikums, dessen Schlussapplaus bestenfalls höflich ausfiel. Bei Mondtags Kölner Inszenierung von „Die Räuber“ hatte es noch Buhrufe gegeben, aber das müde Pflichtgeklatsche ist fast schlimmer. Die Reaktion ist verständlich: Das Ensemble stapft durch die Szenerie als wäre es gerade auf dem Mond gelandet, und nicht allen Akteuren gelingt es, durch die dicken Schichten von Schminke, Latex und grotesk ausgepolsterter Kleidung, die Kostümbildnerin Teresa Vergho ihnen zumutet, auch noch so etwas wie eine Darstellung abzuliefern. Es ist ein bisschen wie in den Arbeiten Robert Wilsons; dem Regisseur ist es wahrscheinlich ganz recht, wenn der individuelle Ausdruck nicht das Konzept stört.

Andere blühen in diesen schauspielerischen Zwangsjacken jedoch erst so richtig auf. Allen voran Benjamin Höppner, der als grobschlächtiger SA-Mann Konstantin von Essenbeck mit Glatze und Göring’schen Körperausmaßen völlig in seiner Figur verschwindet und sie zugleich mit mehr Leben füllt, als bei Mondtag vielleicht vorgesehen ist. Gleiches gilt für Ines Marie Westernströer als Martin von Essenbeck, dem polymorph-perversen Hamlet, die klugerweise nicht den Vergleich mit Helmut Bergers sagenhaft queerer Performance im Film sucht, sondern den pädophilen Hysteriker als märchenhaften Kinderschreck spielt.

Auch Mondtag meidet den direkten Vergleich. Wo Visconti ein Bierzelt-Besäufnis der SA langsam in eine schwule Orgie und dann in ein Blutbad kippen lässt, setzt er eine kurze Schockszene, in der sich Höppner von Gummischwänzen bepinkeln lassen muss, bevor er monologisierend erschossen wird. Wo der Film mit ausgeklügelten Kamerafahrten und Spiegelungen das erzählt, was nicht gesagt wird, verdeutlicht Mondtag durch chorische Zitate, stellt etwa Brechts friedliebende „Kinderhymne“ („Und nicht über und nicht unter/ andern Völkern wolln wir sein“) gegen Ernst Moritz Arndts säbelrasselndes „Vaterlandslied“ („O süßer Tag der Rache!“).

Es passiert also durchaus etwas in diesem großen Tableau, ja eigentlich passiert eine ganze Menge, nur dass Mondtag eben die Geduld der Zuschauer strapaziert, in dem er auf psychologische Unterfütterungen oder straffe Handlung verzichtet. Positiv formuliert: Man darf sich umgucken in seinen Arbeiten. Es gibt viel zu entdecken.