Schauspiel KölnWarum dürften ältere Frauen keine junge Männer lieben?
Köln – Anna Stieblich und Moritz Sostmann kennen sich nicht nur seit 30 Jahren, sie standen sogar schon einmal als Ehepaar gemeinsam vor der Kamera. Wirklich zusammengearbeitet haben die Schauspielerin und der Regisseur aber nicht. Das ändert sich erst jetzt, mit Sostmanns Inszenierung von Dennis Kellys zeitgenössischem Stück „Der Weg zurück“. Es ist auch Stieblichs Premiere am Schauspiel Köln. Man kennt sie vor allem aus Kinofilmen wie „Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen“ und „Ich bin dann mal weg“, oder Fernsehserien wie „Soko Leipzig“, „Tatort“ oder, natürlich, „Türkisch für Anfänger“ – aber der Eindruck, dass sie die Bühne hinter sich gelassen hat, täuscht.
Ich hungere nach Theater, sagt Anna Stieblich nach Jahren beim Film
„Es ist zeitlich schwierig, beides zu verbinden“, sagt Stieblich, „dabei hungere ich nach Theater und bemühe mich, wenigstens einmal im Jahr Theater zu spielen.“ Weshalb sie nun total dankbar sei, unter der Regie des Kölner Hausregisseurs spielen zu können, zumal sie seine Arbeiten sehr schätze, etwa wie er in Lars Noréns „3.31.93“ Schauspieler und Puppen gleichberechtigt miteinander agieren ließ. Noch nie habe sie mit Puppen gearbeitet. Und wird es auch jetzt nicht tun, denn diesmal treten keine Puppen als handelnde Personen auf: „Puppenspiel hat gerade wieder Konjunktur“, erklärt Sostmann, „und die Puppenspieler, mit denen ich arbeite, sind gerade alle anderweitig verpflichtet. Also werden wir die Puppen nun ein wenig anders einsetzen.“
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Der Regisseur wiederum wollte unbedingt Anna Stieblich für die Rolle einer Frau gewinnen, die sich in einen viel jüngeren Mann verliebt. „Im Stück ist die zirka 34 Jahre alt und verliebt sich in einen 17-Jährigen. Ich wollte aber den Abstand ein bisschen vergrößern, diese Liebe noch tabubeladener machen.“ Immer noch ist es so, dass die Beziehung eines Mannes zu einer wesentlich jüngeren Frau gesellschaftlich akzeptiert ist, wohingegen die Beziehung einer Frau zu einem jüngeren Mann stigmatisiert bleibt, außer man tituliert die Frau als Milf, was ich total seltsam finde.“
„Das erste Mal“, ergänzt Sostmann, „dass so eine Beziehung für eine breite Öffentlichkeit sichtbar und von dieser akzeptiert wird, ist doch bei Macron und seiner Frau.“ Überhaupt, sagt Sostmann, gebe es mittlerweile viele Rollen für Frauen in den besten Jahren. Jedenfalls viel mehr als früher. Anna Stieblich musste sich noch auf der Schauspielschule sagen lassen, dass es nach 40 immer weniger Rollen gibt, zumindest in der klassischen Theaterliteratur.
Tatsächlich ist diese skandalträchtige Verbindung nicht das Hauptthema von „Der Weg zurück“, sondern eine radikale Bewegung, genannt die Regression. Die erklärt das große Projekt „Menschlicher Fortschritt“ für gescheitert, verbietet Technologie und Forschung und am Ende sogar mehrsilbige Wörter. Sie sucht, mit anderen Worten, den Weg zurück ins Paradies. Die Verbindungen zu aktuellen Diskussionen ergeben sich fast von selbst. Umso wichtiger ist es Sostmann, keine simple politische Fabel auf die Bühne zu bringen: „Ein Stück, in dem man sich über Coronaleugner und Querdenker lustig macht, das wäre mir zu platt. Es geht um Menschen, die auf ganz persönliche, traumatische Erlebnisse reagieren, auf Verletzungen und Verluste. Mich interessiert die Frage, wie viel von unserer Sicht auf die Welt vom eigenen Erleben geprägt wird.“
„Der Weg zurück“ handelt in mehr als einer Hinsicht von Altersunterschieden
Unter anderem zeige „Der Weg zurück“ auch, dass Zukunft nicht gesetzmäßig in irgendeine Richtung laufe, sondern gestaltbar sei. „Ich und Moritz sind ja selber in einer politisch aufgeladenen Zeit groß geworden“, sagt Stieblich. Bleibt die Frage, wie lange man das durchhält. Sostmann, Jahrgang 1969, bekennt, dass ihm gerade klar wird, dass er nun langsam zu einem alten Menschen werde: „Als ich 20 war, dachte ich, ich könnte die Lebenshaltung meines Vaters oder meiner Großmutter nie verstehen.“ Jedenfalls stehe er jetzt vor jüngeren Generationen und denke sich: „Könnt ihr nicht alle ein bisschen gelassener werden? Geht es nicht auch friedlich?“
Vielleicht sei man auch schlicht bequemer geworden, gehe nicht mehr für seine Überzeugungen auf die Straße. Stieblich widerspricht. Sie gehe sehr wohl noch demonstrieren. „Die Frage, und die haben wir uns auch in den Proben gestellt, ist nicht so sehr, ob man sich radikalisiert, sondern viel wichtiger, wieso. Kelly ist auch hier an individuellen, persönlichen Beweggründen interessiert. In diesem Zusammenhang stellt sich weniger die Frage nach politischen Lagern, wie bei uns in den 80er Jahren, obwohl wir da die Radikalisierung auch immer wieder hinterfragt haben.
„Der Weg zurück“ hat am 2. Juni Premiere am Schauspiel Köln.