Schauspiel-PremiereDas Theater als Komplize des Terrors
- Elfriede Jelinek hat ihr Stück „Wut“ als Reaktion auf die Anschläge auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ und einem jüdischen Supermarkt geschrieben.
- Ersan Mondtag hat die Vorlage radikal gekürzt. Ihm geht es weniger um Wut, als um die allgemeine Verzweiflung, die sich fünf Jahre später breit gemacht hat.
- Der Regisseur lässt seine Schauspieler das Spielen unter Pandemie-Bedingungen reflektieren. Ob das funktioniert? Unsere Kritik.
Köln – „Was ist ein Mensch gegen sein Bild?“, fragt Benny Claessens auf der Bühne des Depot 1. Der Mensch vergeht, das Bild bleibt. Der Mensch stirbt, aber das Bild, heißt es in Elfriede Jelineks „Wut“, „ist im Grunde ewig, denn das Netz verliert nichts“.
Die Österreicherin hatte das Stück vor fünf Jahren in unmittelbarer Reaktion auf die islamistisch motivierten Terroranschläge auf die Redaktion des Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt in Paris geschrieben. Als Nicolas Stemann „Wut“ ein Jahr später an den Münchner Kammerspielen uraufführte, war der Text auf rund 150 eng bedruckte Seiten angewachsen, ein Damm aus Sprache gegen die Flut der Bilder.
Für seine „Wut“-Inszenierung am Schauspiel Köln hat Ersan Mondtag, um im Bild zu bleiben, mit grobem Gerät nur einige große Brocken aus diesem Textwall gehauen. Zusammengehalten werden sie einerseits von der wagnerianisch anschwellenden Musik Beni Brachtels, andererseits von den Improvisationen des Ensembles, das mit gezwungener Lockerheit die Paradoxien seiner Arbeit bloßlegt.
Stückbrief
Regie, Bühne: Ersan Mondtag
Kostüm: Annika Lu Hermann
Video: Florian Schaumberger
Musik: Beni Brachtel
Mit: Benny Claessens, Yuri Englert, Margot Gödrös, Yvon Jansen, Lola Klamroth, Nicolas Lehni, Elias Reichert, Philipp Joy Reinhardt, Isabel Thierauch
Nächste Termine: 27. September, 9., 17., 18. Oktober,
7., 8. November, Depot 1, 110 Minuten, keine Pause
Ist das denn nicht ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, auf die viralen Schreckensbilder, die mit GoPro-Action-Kameras ausgerüstete Terroristen von ihrem Morden versenden, mit weiteren Bildern zu antworten? Produzieren die Schauspieler und ihr Regisseur ihre Bilder nicht auch unter vollem Körpereinsatz, zumal unter den verschärften Bedingungen der Pandemie?
Aber was für Bilder! Schließlich denkt Ersan Mondtag seine Arbeiten vom Bühnenbild her (dass er stets selbst entwirft). In das platziert er dann Annika Lu Hermanns sich expressionistisch in alle Richtungen auswülstende Kostüme und in diese schlüpfen daraufhin die Darsteller und sprechen Texte, die plötzlich so fremd wirken, wie die lateinischen Entäußerungen von Heiligen auf mittelalterlichen Tafelbildern.
Für „Wut“ hat Mondtag ein riesiges Ei zwischen zwei Adlerbeine gesetzt, in denen der Zuschauer nicht anders erkennen kann, denn als Minarette, mit dem halben Ei als (Kölner Zentral-)Moschee. Zu Anfang ruft Claessens das Publikum jaulend und plappernd aus einem Fenster des Adlerbein-Turms zum – vermutlich lästerlichen – Gebet. Es kommt aber nur Margot Gödrös, die sich von zwei Bühnenarbeitern in einer Sänfte hereintragen lässt. „Singe den Zorn“, ruft sie Claessens zu, „meinen wirst du nicht damit erregen!“ Links und rechts der Vogelbeine hängen hochkant zwei Leinwände, auf denen sich die Schauspieler in Form kitschiger Terrorikonen präsentieren, als hielte David LaChapelle Fotoshootings für den Islamischen Staat ab.
Schon dreht sich das Bühnenbild, das Ei ist rückwärtig aufgebrochen und entpuppt sich als Green-Screen-Studio, in dem schwer bewaffnete bärtige Attentäter breitbeinig zwischen ihren Opfern stehen: „Wahnsinn und Raserei und der Füße Sprung und der Kamera Surren, welch schwarzer Zorn!“
Das knallt, das könnte jetzt ein, zwei Stunden so weitergehen, die Zuschauer mitreißen im Mahlstrom des Jelinek’schen Denkens. Keine Frage, dass das famose Ensemble das Surfen über sprachliche Untiefen souverän beherrscht.
Aber Mondtag bremst den Abend immer wieder willentlich aus, überlässt seine Inszenierung zeitweise Benny Claessens, ein Einzelspieler der, wenn auch ohne böse Absicht, seine Kollegen in die Rolle des Chores drängt. Doch wie so oft, wenn ein formstrenger Regisseur auf einen formsprengenden Schauspieler trifft, sprühen hier die Funken. Der gebürtiger Belgier, den einst Johan Simons für das deutschsprachige Theater gewonnen hat, liefert den Kommentartrack zum eigenen Spiel gleich mit.
Herrlich ist das, wenn Claessens sich selbst dabei zuschaut, wie er in einem Einspielerfilm auf einem goldenen Penis reitet – wie ein Kind, das sich erfolgreich den Euro für den Schaukelautomaten vorm Supermarkt erquengelt hat – und nun vom Publikum große Summen erbettelt, damit er weiterschaukeln kann. Schließlich kommentiere der Penis kritisch die Vorherrschaft von weißen, heterosexuellen Intendanten.
Grenzen des Humors
Doch Mondtags Bilderwut und Claessens Humor kennen auch klare Grenzen: Über die von „Charlie Hebdo“ abgedruckten Mohammed-Karikaturen etwa, von den Schauspielern als Bildtafeln hochgehalten, hat der Regisseur Zensurfilter legen lassen. „Schaut mal. Das ist lustig!“, schreit Claessens immer wieder und braucht nicht mehr Worte, um zu verdeutlichen, dass auch Satire nicht außerhalb dieses Bildkreislaufs steht, der Leid und Leichen zeitigt.
Immer schneller dreht sich das Bühnenbild; „das Totenreich ist eröffnet“, heißt es im Text. Lola Klamroth, Nicolas Lehni und Elias Reichert monologisieren tapfer und druckvoll während sie über Adlerklauen kraxeln. Und schließlich endet der knapp zweistündige Abend fast, wie er begonnen hat, mit einem Gebet: „Bitte um Schutz vor bösen Anschlägen!“, fleht Yvon Jansen.
Opfer seiner Bilder
Es ist weniger die Wut, als vielmehr Verzweiflung, die sich hier mit letzter Kraft zur großen Oper aufbäumt. Der Mensch als Opfer seiner Bilder und seines Selbstbildes.
Neben Jansen liegt, im gebührenden Abstand, Benny Claessens am Boden und greint, dass er doch einfach nur mal wieder umarmt werden möchte. Das hallt noch lange nach.