Das Kölner Theaterkollektiv Futur3 gibt Einheimischen eine Stimme, die im Krieg ausländische Journalisten in der Berichterstattung unterstützen.
Schauspiel-Premiere über den Ukraine-KriegEin Abend, der lange nachwirkt

FUTUR3 Making the Story
Copyright: Martin Rottenkolber
Für manche Journalisten, insbesondere Kriegsberichterstatter, war und ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eine Goldgrube. Für das zarte Pflänzchen der Wahrheit wiederum ergeben sich im Chaos und Schrecken des Krieges denkbar schlechte Bedingungen. Das Kölner Theaterkollektiv Futur3 hat sich mit der Berichterstattung über den Ukrainekrieg in ihrem Stück „Making the Story – Ukrainische Fixer im Krieg“ auf ganz besondere Art und Weise auseinandergesetzt.
Denn jene im Titel beschriebenen Fixer haben nichts mit der bei uns üblichen Verwendung des Wortes für Drogenabhängige zu tun. Fixer, abgeleitet von dem englischen Verb „to fix“, bezeichnet Menschen vor Ort im Kriegsgebiet, die als eine Art lokale Produzenten die journalistische Arbeit für die internationale Presse erst möglich machen. Sie organisieren Reisen, kennen die kulturellen Codes, schätzen die Gefahrenlage ein, übersetzen Gespräche und stellen Kontakt zu Betroffenen des Kriegsgeschehens her.
André Erlen, der gemeinsam mit Stefan H. Kraft das Projekt entwickelt hat, traf auf das wenig bekannte Phänomen der „Fixer“ im Rahmen eine Theaterreise in die Ukraine. Nicht selten üben gut ausgebildete Akademiker, Künstler und Übersetzer die gefährliche Tätigkeit aus. Gut 20 Interviews führten Futur3 vor Ort. Ihre Berichte bilden nun die Grundlage für das Stück, das aus den vielen einzelnen Geschichten ein facettenreiches Bild vom Leben und Arbeiten der Fixer in der Ukraine zeichnet.
Eine chaotische, provisorische Bühnenlandschaft
Auf der Bühne im Depot 2 sind es die Schauspieler Lev Friedmann, Anja Jazeschann und Stefan H. Kraft, die alle Interviewsituationen, teilweise auch die dort erzählten Kriegssituationen nachspielen und sprechen. Eindringlich und berührend musikalisch begleitet von dem Musiker und Klangkünstler Jörg Ritzenhof und der Sängerin und Musikerin Mariana Sadovska. Sie alle bewegen sich in einer chaotischen, provisorischen Bühnenlandschaft.
Alte Sofas und Stühle stehen herum, militärische Tarnbezüge bedecken Möbelstücke, umgestürzte Gitterwände bilden Hindernisse, während im Hintergrund Bilder vom Krieg in der Ukraine in Dauerschleife zu sehen sind. Daneben auf einem Stück Stoff ein Graffiti auf Ukrainisch, das in den dortigen Städten oft an ausgebombte Häuser gesprüht wird: „Die Zeit hört uns“. Ausdruck einer Hoffnung, dass der Kampf gegen die russischen Aggressoren von der Welt wahrgenommen wird und nicht in einer Niederlage endet. Mit jeder Geschichte, die auf der Bühne erzählt wird, verdichtet und verändert sich das Bild. Eingeteilt sind sie in thematische Kapitel, aber auch eine gewisse Chronologie wird erkennbar.
Die drei Jahre Krieg haben auch bei vielen „Fixern“ Spuren hinterlassen. Was mitunter spontan als Arbeitsmöglichkeit begann und neben allem Schrecken auch Adrenalin und verhältnismäßig gute Bezahlung versprach, entwickelte sich für viele zu einer aufreibenden Tätigkeit, bei der es nicht zuletzt darum geht, einigermaßen unversehrt an Körper und Seele zu bleiben. So wie es im Stück eine Fixerin beschreibt: „Auf der Arbeit bin ich professionell. Ich vertraue meinen Politikern nicht, weil ich weiß, dass sie lügen, ich vertraue den Soldaten nicht, weil ich weiß, dass sie Informationen verheimlichen, und mein Job ist es, herauszufinden, wie es wirklich ist. Journalisten denken, dass sie aufgrund ihrer ‚Distanz‘ unvoreingenommen neutral berichten können. Aber sind sie wirklich unvoreingenommener als die Menschen, die vor Ort leben? Ich denke, dass die Perspektive von allen Menschen durch Medien, Werte und Vorannahmen geprägt ist. Und für westliche Journalisten kommt noch der russische Informationskrieg hinzu. Also kann man nur komplett unvoreingenommen sein, wenn man keine Ahnung von nichts hat.“
Subtil manipuliert und gesteuert
Was das Stück so besonders und so bewegend macht, ist die Vielfalt der Eindrücke und Geschichten. Da gibt es komische Anekdoten über länderspezifische Besonderheiten der Pressevertreter – Amerikaner besitzergreifend und grenzüberschreitend, Briten zu höflich und Franzosen auch an der Front noch auf gutes Essen bedacht - oder Geschichten über durch Adrenalin angeheizten, wilden Sex. Im nächsten Moment weicht das Schmunzeln einer Beklemmung, wenn Zivilisten den einheimischen Fixern ihre traumatischen Erlebnisse preisgeben.
Wie schmal der Grat zwischen Vertrauensperson und einer skrupellosen Jagd nach spektakulären Storys ist, beleuchtet eine nachgespielte Filmszene. Mariana Sadovska, die hier die traumatisierte Mutter einer getöteten Tochter verkörpert, wird von dem Filmteam auf der Suche nach „guten Bildmaterial“ subtil manipuliert und gesteuert. Eine andere Fixerin bricht auf emotionale Art und Weise mit den Regeln des Journalismus, in dem sie den Vater eines in Butcha ermordeten jungen Zivilisten nach dessen erschütternden Bericht spontan umarmt.
Wie unterschiedlich die Perspektiven auf die Produktion und Inszenierung von Geschichten für die Presse und ihre lokalen Produzenten sind, wird an dem Fall einer im Einsatz getöteten Fixerin deutlich. Die Eltern von Oleksandra Kuvhinova, genannt Sasha, haben in den USA den TV-Sender Fox News verklagt. Ihre 24-jährige Tochter war, während sie das Team als noch unerfahrene Fixerin in der Ukraine begleitete, durch eine russische Rakete getötet worden. Während der Tod des Kameramanns Pierre Zakrzewski und die dramatische Rettung des US-Journalisten Benjamin Hall ein großes Medienecho auslöste, blieb das Schicksal von Sasha weitgehend unerwähnt. Fox unterschlägt bis zum heutigen Tag aktiv die Umstände von Sashas Tod.
In Anbetracht der aktuellen Ukraine-Politik der Trump-Regierung und der sie unterstützenden Medien, wie eben Fox, wirkt die im Stück dramatisch nachgespielte Szene vom Tod der jungen Ukrainerin wie ein Menetekel auf künftiges Unheil. Entsprechend ernüchternd und erschöpft wirken die letzten Sätze auf der Bühne. „Ich glaube nicht mehr an den Sieg. Ich werde mir wahrscheinlich mein Leben aus der Asche wieder aufbauen“, heißt es da von einem Fixer, der allerdings auch einen dringenden Appell nachschickt, der, wie der ganze Abend und seine Geschichten, noch lange nachwirkt: „Europa muss aufwachen. Wenn Russland nicht gestoppt wird, wird jeder mit einer Welt leben müssen, in der die Mächtigsten und Ressourcenstärksten jede Form von Gewalt und Verbrechen begehen können – und damit durchkommen.“
Weitere Termine: Depot 2, 15. und 20. März, 9. und 24. Mai, 25. Juni, jeweils 20 Uhr