Ein Interview über Köln, Pinguine in der Antarktis, Suppenwürfe auf Gemälde und seine Rolle in der zweiten Staffel der ARD-Serie „Unsere wunderbaren Jahre“.
Kölner Schauspieler Damian Hardung„Wir versuchen momentan eher, die Hölle auf Erden zu vermeiden“
Das deutsche Publikum kann Sie als Schauspieler derzeit in der ARD-Serie „Unsere wunderbaren Jahre“ sehen. Die Netflix-Serie „How to sell drugs online (fast)“, in der Sie einen jugendlichen Drogendealer gespielt haben, wurde dagegen in vielen Ländern weltweit ausgestrahlt. Wie groß fühlt sich der Unterschied an?
Das ist wirklich absurd. Ich bin sogar auf einer Reise im kolumbianischen Dschungel auf meine Rolle angesprochen worden. Jemand fragte mich: Bist du nicht der Typ, der Drogen verkauft? Ich habe das lieber ganz schnell verneint, weil das keine Frage ist, die man in Kolumbien gestellt bekommen möchte. Das ist schon ziemlich verrückt, aber ich finde es auch schön, wie die Welt in dieser Hinsicht zusammenrückt und Grenzen verschwimmen.
Wie oft werden Sie in Köln angesprochen?
Momentan schon täglich. Meistens ist das ein sehr ehrlicher, emotionaler Kontakt. Es passiert oft, dass Menschen sich mir öffnen und ihre persönlichen Geschichten erzählen, auch von ihren Krankheiten und Traumata. Weil sie mich in einem Film oder in einer Serie gesehen haben, wo es um solche Themen ging. Leider hat man oft nicht genug Zeit, sich darüber lange zu unterhalten. Trotzdem hat man dann für 30 Sekunden einen intensiven Kontakt gehabt und bedankt sich für die Offenheit.
Parallel zur Schauspielerei studieren Sie Medizin in Köln. Wie weit sind Sie?
Ich bin jetzt im achten Semester und will versuchen, das Neunte und Zehnte in einem zu machen. Wenn das klappt, wäre ich in einem Jahr scheinfrei. Danach folgt das zweite Staatsexamen und das praktische Jahr.
Ihre beiden Brüder und ihre Eltern sind ebenfalls Mediziner. Fühlten Sie sich da familiär geradezu verpflichtet, auch ein Medizinstudium anzufangen?
Mir hat beim Schauspielern irgendwann die manchmal stumpfe, intellektuelle Wissens-Anreicherung gefehlt, und ich wollte auch einfach die Studienzeit-Erfahrung machen. Man muss sich ja immer wieder neu erfinden und neue Rollen verkörpern. Letztes Jahr habe ich sehr viel gedreht und bin am Ende fast selber durchgedreht, weil ich das Gefühl hatte, ich habe alles rausgehauen, was in mir ist. Ich brauche Input, bevor bei mir etwas Neues entstehen kann. Deswegen bin ich wahnsinnig froh die zwei Sachen kombinieren zu können.
Was gefällt Ihnen an der Medizin?
Ich mache gerade eine Famulatur (ein medizinisches Praktikum, Anm. der Red.) bei einem Hausarzt und finde es wahnsinnig bereichernd. Ich bin glücklich, heute einen Querschnitt der Bevölkerung gesehen zu haben. Da gehen alle mit ihren Ängsten, Sorgen und Wünschen hin.
Haben Sie einen Plan, wie Sie Medizin und Schauspielerei künftig unter eine einen Hut bringen wollen?
Nein, habe ich nicht. Ich bin ja auch erst 24.
Sie hätten ja auch eine Schauspielschule besuchen können. Wie haben Sie sich das Schauspielern beigebracht?
Ich werde oft gefragt: Auf welche Schauspielschule muss ich gehen, wie hast du das gemacht? Ich würde es gar nicht so sehen, dass man unbedingt irgendwo hingehen muss. Wenn man das Gefühl hat, man braucht diesen Raum, um sich auszuprobieren, ist das sicher toll, wenn es den gibt. Aber ich hatte das große Glück, schon mit elf Jahren anfangen zu können. Deswegen hatte ich nie den Druck, das als Job betrachten zu müssen, als etwas, wo ich total abliefern muss. Es gab einen Raum zum Experimentieren.
Wie sind Sie so früh zur Schauspielerei gekommen?
Das war totaler Zufall. Die Mutter meines besten Freundes damals hat eine Schauspielschule. Die haben jemanden gesucht, irgendwie hat meine Nase gepasst.
Sie sind mit 14 ein Jahr in New York zur Schule gegangen. Was haben Sie dort gelernt?
Ich musste in der Schule wirklich extrem viel lernen, weil ich sehr viele Prüfungen belegt hatte. Ich habe auf dieser hochprivilegierten Schule, in die ich über ein Stipendium gekommen war, aber auch gelernt, wie stark die Klassengesellschaft in den USA ist. Zurück in Deutschland kriegt die Bedeutung des Sozialstaats nochmal eine viel größere Gewichtung. Man sieht Steuern plötzlich in einem ganz anderen Licht, wenn dafür Bildung frei zugänglich ist und es zum Beispiel Bafög gibt für jeden, der sonst nicht studieren könnte.
Dann haben Sie am Kölner Humboldt-Gymnasium Abi gemacht – ausgerechnet 2016, als es dort kurz vor den Abiturprüfungen nachts zu einer Auseinandersetzung zwischen 200 Abiturienten kam, bei der es Verletzte gab. Die Nacht hat unter der Schlagzeile „Abi-Krieg“ deutschlandweit Furore gemacht.
Das ist eine nicht gut gealterte Bezeichnung für das, was damals passiert ist. Letztlich war es eine Rivalität unter Schulen. Eigentlich war eine Wasserbomben-Schlacht geplant, die dann eskaliert ist, weil sich neben den Abiturienten auch Menschen unter die Menge gemischt haben, die auf Krawall aus waren. Da sind dann plötzlich Flaschen und Steine geflogen. Einer meiner Schulfreunde ist im Krankenhaus gelandet. Das war schon dramatisch.
Wie waren Sie denn involviert?
Ich habe zu der Zeit in Stuttgart gedreht, war also in der Nacht, in der es eskalierte, erst vor Ort, als die Polizei endlich die Lange unter Kontrolle gebracht hatte. Aber die Folgen habe ich natürlich mitbekommen. Ich war Schülersprecher und am Entscheidungsprozess beteiligt, dass der geplante Abistreich ausfällt und es stattdessen Informationsveranstaltungen darüber gibt, was in dieser Nacht eigentlich passiert ist. Das waren schwierige Tage.
Sie engagieren sich mit Greenpeace für den Schutz der Weltmeere.
Das stimmt. Darum freue ich mich sehr, dass die UN endlich ein globales Meeresschutz-Abkommen verabschiedet haben. Ab einem bestimmten Abstand zur Küste sind Meere nicht mehr nationales, sondern internationales Gewässer. Das ist bisher ein fast rechtsfreier Raum. Dafür jetzt einen rechtlichen Rahmen geschaffen zu haben, ist ein wahnsinniger Erfolg.
Sie waren mit Greenpeace auf einem Forschungsschiff in der Antarktis. Wie hat diese Reise Ihren Blick auf die Weltverändert?
Ich war zum ersten Mal in einem Ökosystem, das nicht für uns Menschen ausgelegt ist. Wir gehören da zivilisatorisch nicht hin. Das fand ich beeindruckend zu sehen in einer Welt, die sich ansonsten ja immer kleiner anfühlt. Wir sollten dafür kämpfen, dass es diese Unberührbarkeit noch gibt. Außerdem waren wir da unten, um die teils leider stark schrumpfenden Pinguin-Populationen zu zählen und bestimmen.
Ihr Lieblings-Moment mit Pinguinen?
Die sind supercool. Und wahnsinnig mutig. Die gehen einem ja nur bis zum Knie, trotzdem stehen die vor einem, machen einen Höllenlärm und versuchen einen anzugreifen, wenn man ihnen zu nahekommt. Noch lustiger fand ich die Robben. Einige haben sich wahnsinnig gerne auf Sachen draufgelegt. Es gab immer die Anweisung, bloß keine Kamerataschen auf den Boden zu legen, damit da nicht plötzlich eine sehr schwere Robbe draufliegt.
Sie haben in einem Video, das während dieser Reise entstand, gesagt, dass Sie optimistisch sind, dass wir die Welt noch retten können. Ist das Zweckoptimismus oder glauben Sie da wirklich dran?
Oh Gott, das habe ich gesagt? Aber es bringt ja nichts: Wir sind dazu verdammt, optimistisch zu sein. Macht zumindest mehr Spaß.
Sie gehören zur Generation Fridays for Future und Letzte Generation. Können Sie sich mit Gleichaltrigen identifizieren, die Tomatensuppe auf Gemälde werfen oder sich auf der Straße festkleben?
Erst mal bin ich froh und stolz, überhaupt Teil dieser Generation sein zu dürfen, die wirklich wahnsinnig inspirierend ist. Es gibt verschiedene Lager zu der Frage, wie wir privat und politisch Druck ausüben können. Ich finde es wichtig, dass jeder seinen Kanal findet, auf dem er diesen Druck ausüben kann. Ricarda Lang hat gesagt, sie ist in die politische Richtung gegangen, kann aber auch die Demonstranten vor Ort verstehen. So geht es mir auch. Ich sympathisiere mit diesen Leuten, die ihre Wege suchen, Aufmerksamkeit zu finden. Mein Weg als Schauspieler, als Person des öffentlichen Lebens ist es, eher den politischen Weg einzuschlagen.
Viele Wege führen zur Rettung der Welt. Kann Tomatensuppe schmeißen einer davon sein?
Ich glaube, wir brauchen viele Wege. Und die Aufregung und die Diskussionen darüber dürfen auch sein. Ich frage mich natürlich auch, ob das sein muss mit der Tomatensuppe, ob wir Kulturgüter oder Straßenverkehr dafür gefährden müssen. Und in Einzelfällen gibt es immer wieder Sachen, die zu weit gehen, ob in der Klimadebatte oder in der Identitätspolitik. Aber das sind Pendelbewegungen, wie in allen sozialen Fragen. Generell passiert es bei den meisten Bewegung, dass sie vielleicht manchmal über das Ziel hinausschießen. Aber vielleicht brauchen wir diese Bewegungen, um in der Mitte anzukommen.
Sie sprechen Identitätspolitik an. Für Sie als Schauspieler stellt sich ja die Frage, welche Rollen Sie annehmen. Sollte etwa ein Homosexueller nicht besser auch von jemandem aus der queeren Community gespielt werden?
Natürlich ist es eine wichtige Frage, was kann ich spielen, was möchte ich spielen, was traut man mir zu? Und ab welchem Punkt sage ich, hier ist es wichtig, dass eine minderrepräsentierte Gruppe das spielt. Was können sie besser spielen oder vielleicht auch gleich gut, aber mit einem gesellschaftlichen Impact? Der ist in dem Moment wichtiger, weil diese Stimme noch nicht in der Form gehört worden ist im Gegensatz zu meiner männlichen weißen Stimme, die doch sehr dominant war in den letzten Jahrhunderten. Es ist eine Gratwanderung, die man wirklich von Fall zu Fall entscheiden muss.
Sehen Sie die Gefahr, dass die Zuschauer Sie eher als Aktivisten wahrnehmen, wenn Sie sich zu deutlich politisch äußern?
Natürlich ist es auch eine Aufgabe als Schauspieler, nicht zu viel von sich preiszugeben, weil man eine gewisse Glaubhaftigkeit in jeder Rolle haben will. Aber es gibt gewisse Grundsätze in unserer Gesellschaft und wenn der Erhalt unserer Lebensgrundlage nicht gewährleistet ist, bringt es mir auch nichts, wenn ich als Schauspieler wahnsinnig gut wäre.
Sie haben viele Follower bei Instagram. Muss man sich da abgrenzen von Influencern?
Ich glaube, Influencer und Aktivist ist auch noch mal etwas anderes. Deshalb sehe ich aktuell keine Abgrenzungsnot. Wenn man sich mein Profil anguckt, ist das nach wie vor sehr fokussiert auf meine Schauspielkarriere. Man wird kein Bild von meinem Kaffee finden, auch wenn ich es liebe, Latte-Art zu machen und an meiner Kaffeemaschine zu stehen.
Aktuell spielen Sie Winne in der zweiten Staffel von „Unsere wunderbaren Jahre“. Er ist der lebensfrohe Enkel, der in den 1960er nicht das Unternehmen seiner Familie übernehmen will. Sie haben ihm eine naive Leichtigkeit bescheinigt. War es das, was Sie an der Rolle spannend fanden?
Dass er keine Filter hat, ist etwas wahnsinnig Schönes, weil er mit diesen Emotionen und dieser Wut, die er auch spürt, extrem rausgeht, gerade wenn man das vergleicht mit dem, was ich in der Serie „Gestern waren wir noch Kinder“ gespielt habe. Bei der Rolle ist auch eine wahnsinnige Wut da, aber die ist immer gedeckelt. Hier darf sie raus. Wie ein Vulkan, der irgendwie eruptieren darf. Das ist heilsam auf einer Seite und gleichzeitig gibt es ja dann - ohne Spoiler - einen Wendung in dieser Rolle, die der Figur diese Leichtigkeit nimmt. Das wollte ich spielen. Wir lassen den Zuschauer in eine Richtung galoppieren, erzählen jemanden, der so leicht, so freudig durchs Leben läuft - und dann passiert das.
Wie gut konnten Sie sich in diese Nachkriegsgeneration einfühlen?
Ich bin ja die Generation, die Kontakt zu ihren Großeltern hatte, die tatsächlich den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben. Deswegen hat man dazu schon noch einen Bezug. Ich habe über diese Last des Schweigens auch mit meinen Eltern gesprochen, für die es wahnsinnig schwer war, dieses Thema mit ihren Eltern zu erörtern. Ich habe dafür Verständnis und will niemanden anprangern. Das macht Winne in seiner Aggressivität, ich würde das aus der Distanz nicht in der Form tun. Es ist leicht zu sagen, ich bin da anders, wir sind nicht in dieser Situation. Ohne das vergleichen zu wollen, kann ich mir vorstellen, dass auch unsere Enkel uns Fragen stellen werden.
Welche?
Wieso habt ihr nichts gemacht? Wieso habt ihr weiter Benzin verbrannt und seid um die Welt geflogen? Sie werden uns verurteilen, weil wir wider besseres Wissen Lebensgrundlagen zerstören. Gleichzeitig beneide ich Winne um diesen ungetrübten Optimismus und das Lebensgefühl „Alles steht uns offen. Die schlimmen Zeiten sind hinter uns.“ Da funktionierte dieses Versprechen noch, das sehe ich bei uns gebrochen. Sie glaubten an eine bessere Welt und daran, das Paradies auf Erden zu erschaffen. Wir versuchen momentan eher, die Hölle auf Erden zu vermeiden.
Sie sind oft im Ausland für Dreharbeiten. Was machen Sie als Erstes, wenn Sie zurück nach Köln kommen?
Familie und Freunde treffen. Dann einmal in den Rhein gucken, von der Brücke. Dann Blick zum Dom: Dom steht auch noch, alles klar, Check.
Zur Person Damian Hardung
Damian Hardung (24) ist in Köln aufgewachsen. Er hat das Humboldt-Gymnasium besucht und dort Abitur gemacht. Mit dem Schauspielern begann er mit elf jahren. Die Vox-Serie „Club der Roten Bänder“, in der er einen Krebskranken spielt, war sein erster großer Erfolg, international bekannt machte ihn die in Köln produzierte Serie „How to sell drugs online (fast)“. Parallel zur Schauspielerei studiert Hardung Medizin in Köln.