Sharon Eyal gastierte mit ihrem jüngsten Stück „Into the Hairy“ im Rahmen von „Tanz Köln“ im Depot 1.
Schwarze Romantik zu Elektro-Klängen im Depot 1Sharon Eyal überzeugt mit erotischem Tanz-Tableau
Alle Schönheit ist der Vergänglichkeit preisgegeben, überall lauert der Tod, und so haben die hautengen schwarzen Spitzen-Catsuits der Tänzerinnen und Tänzer kleine Löcher als hausten im erotischen Textil längst die Motten. Aber natürlich sind es wohl platzierte „Kunstlöcher“.
Denn hier kreiert die Haute Couture: Maria Grazia Chuiri hat die Kostüme designt, erste weibliche Kreativdirektorin bei Dior und damit eine Top-Frau der Modebranche. Für die model-schöne Kompanie von Sharon Eyal und Gai Behar hat sie nun Männern wie Frauen den gleichen spitzenzarten, leicht verschlissenen Gothic-Schick verpasst, ergänzt durch weiß geschminkte Gesichter mit schwarzen Tränenspuren wie der untote Rächer Eric aus dem Kultfilm „The Crow“, der aus dem Grab steigt, um den Mord an ihm und seiner Geliebten zu vergelten. Und tatsächlich scheint Sharon Eyal wie schon in früheren Stücken wieder der schwarzen Romantik verfallen: der dunklen Poesie von Gewalt, Liebe, Tod und ein bisschen Grusel.
Sharon Eyal stürzt sich ins Haarige
„Into the Hairy“ heißt ihr jüngstes Stück zur faszinierend vielseitigen Elektro-Komposition des britischen Musikers Koreless, das im Rahmen von Tanz Köln im Depot 1 gastierte. Auf „ins Haarige“ also, in die obskure Exzentrik der israelischen Choreografin, in der es immer um androide Künstlichkeit, ekstatische Schwärme, bizarre Individuen geht. Und: um Sex. Längst ist die Ex-Tänzerin von Ohad Naharins ‚Batsheva Dance Company‘ ein Star der Branche, und das zu Recht. Mit ihren filigran gearbeiteten, kühl-kontrollierten Choreografien hat sie sich ästhetisch resolut vom „Gaga-Daddy“ abgesetzt, und teilt doch mit Naharin das Talent, scheinbar alltäglichen Bewegungen durch geringfügige Variationen eine aufregende Mehrdeutigkeit zu verleihen. Etwa die einer geballten Faust.
Die geballte Faust als Leitmotiv der Choreografie
Sie ist choreografisches Leitmotiv von „Into the Hairy“. Aber es wäre viel zu banal für Eyal, sie einfach als Kampfgeste einzusetzen. Bei ihr klebt die Faust an der Schläfe, nah am Auge der Tänzerinnen und Tänzer, als verrutsche die Widerstands- in eine Wein-Pose, wenn Tränen mit den Fäusten weggerubbelt werden. In einer anderen Szene steht ein Mann wie ein Gekreuzigter auf der Bühne, die Arme zur Seite gestreckt, zwei Frauen nehmen seine Fäuste erst in den Mund, dann küssen sie sie, und durch die minimale Verschiebung wird aus einem Bild der Gewalt eines der Verehrung.
Und wenn ganz am Ende die Tänzerinnen und Tänzer sich um ein Liebespaar wie die Blätter einer Blume formieren, dann wächst langsam eine gereckte Faust gen Himmel wie ein Blüten-Stempel. Der Stempel als der weibliche Phallus der Botanik? Vielleicht ist es aber auch die Rächer-Faust von Eric, die aus seinem Grab ragt? Genial ist dieses erotisch aufgeladene Bewegungs-Tableau jedenfalls, so metaphorisch komplex wie auch ironisch. Eben typisch Sharon Eyal.
Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: „Friends of Forsythe“ am 26./27. Oktober im Depot 2.