Gianni Jovanovic, Autor und Aktivist gegen Rassismus und Homophobie, über die Show „Drag Race Germany“ und seinen Umgang mit Anfeindungen.
Schwuler Roma-Aktivist Gianni Jovanovic„Ich habe viel Gewalt, Ausgrenzung und Rassismus erfahren“
Herr Jovanovic, Sie sind Co-Moderator und Juror bei „Drag Race Germany“, das zurzeit bei Paramount+ zu sehen ist. Welche Rolle spielt Drag für Sie?
Jovanovic: Im Vordergrund steht die Lust an der Verwandlung, das Spiel mit Geschlechterrollen. Es geht darum, sie aufzubrechen. Das ist immer meine Intension gewesen, weil ich sehr stark unter diesen toxisch-patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft gelitten habe und daran gehindert wurde, meine eigene Männlichkeit zu leben. Drag war das Freiticket, sein zu können, wie ich wollte.
Sie sind in einer Roma-Familie aufgewachsen, konnten nicht offen über Homosexualität sprechen. Wie lange hat es gedauert, bis Sie dazu stehen konnten, schwul zu sein?
Ich hatte immer Interesse an Männern. Als ich 18 war und das erste Mal bewusst einen Mann geküsst habe, habe ich verstanden, dass das keine Spinnerei ist. Es hat mich in einen Schockzustand versetzt. Aber ich habe das verdrängt. Das tun sehr viele queere Menschen, die nicht queer sein dürfen, weil sie in heteronormativen Strukturen gefangen sind. Sie versuchen, es in einer dunklen Ecke zu verstecken, um zu funktionieren und den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Viele werden dadurch aggressiv und ihre verinnerlichte Homophobie richtet sich auch gegen sie selbst.
Wie haben Sie sich davor bewahrt?
Ich merkte, dass ich in diesen patriarchalen, heteronormativen Strukturen niemals glücklich geworden wäre. Du gehörst nicht zur Norm, also musst du dich in deiner kleinen Mehrheit so aufstellen, dass du ein fröhliches, freies, selbstbestimmtes Leben hast. Dieses Selbstbestimmte fehlt uns oft in der Gesellschaft. Ich glaube, dass wir von Familie, Gesellschaft und Strukturen oft fremdbestimmt werden. Doch viele dieser Normen und Strukturen sind uralt und nicht mehr zeitgemäß, das ist das Problem.
Sie sprachen gerade von kleinen Mehrheiten. Auch Ihr Buch heißt „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“, weil Sie den Begriff Minderheit bewusst vermeiden. Was stört Sie daran?
Das Wort Minderheit ist kein positives Wort, das dich emporhebt. Außerdem sind Sinti und Roma oder queere Menschen keine kleine Gruppe. Das Wort Minderheit trifft es einfach nicht: Wir reden hier von Millionen von Menschen. Und wer ist denn die Mehrheit in diesem Land? Wer bestimmt, dass wir die Minderheit sind? Das Wissen dieser vermeintlichen Minderheiten - Sinti, Roma, Menschen mit Behinderung, queere Menschen - wird nicht in die Gesellschaft eingebracht oder gewürdigt. Es wird noch immer alles durch eine patriarchale Norm gesteuert und entschieden.
Sie sagen, die Liebe Ihrer Familie war das Fundament für Ihr Leben, gleichzeitig mussten Sie auch dort gewaltvolle Erfahrungen machen und haben mit 14 Jahren geheiratet. Wie gehen Sie mit dieser Ambivalenz um?
Ich habe ein ziemlich gestörtes Verhältnis zu meinen Eltern, besonders zu meinem Vater. Ich habe aber verstanden, warum das passiert ist. Es hat historische, strukturelle Gründe, die auch durch die Verfolgung begründet sind, warum meine Familie diesen Schritt gemacht hat. Ich weiß, was sie bis heute mitmachen. Ich kann deshalb bestimmte Dinge verzeihen. Das ist mein Weg zur Selbstliebe. Aber da ist auch der Schmerz, dass ich die Absolution und die Liebe meines Vaters ersehne. Ich möchte, so wie ich bin, gerade als schwuler Rom, von ihm anerkannt werden. Das kann mein Vater aber nicht, das können viele Väter nicht. Mein Vater hat meine Welt nie wirklich verstanden. Sie hat ihm Angst gemacht, wahrscheinlich auch aus der Sorge heraus, dass ich aufgrund dieser Mehrfachdiskriminierung am Ende tot im Straßengraben liegen könnte.
Sie arbeiten als Aktivist und klären über Rassismus und Homophobie auf. Wie vermittelt man Menschen, die diese Erfahrungen selbst nicht gemacht haben, was das mit Betroffenen macht?
Ich glaube, dass wir Menschen etwas besitzen, was uns alle eint: Empathie. Das ist der Schulterschluss, den wir brauchen. Und ich glaube wirklich, dass fast jeder Mensch in Deutschland Ausgrenzung, Diskriminierung, Hass oder sonst irgendetwas erlebt hat - auch heterosexuelle Cis-Männer. Aber es gibt auch Momente, wo mir Menschen sehr ignorant begegnen.
Das kostet viel Kraft?
Ja, wenn rassistische Wörter reproduziert werden, sage ich zu diesen Menschen: Sie haben mich gerade verletzt. Sie haben gerade dieses Z-Wort benutzt, das meine Identität deformiert, das dazu beigetragen hat, dass über 500.000 Sinti und Roma während des Nationalsozialismus ermordet wurden. Wenn Sie dieses Wort benutzen, obwohl Sie die Geschichte dahinter kennen, handeln Sie aktiv rassistisch. Wenn man das den Menschen so ins Gesicht sagt, trifft es sie. Entweder sie erstarren, flüchten oder aber sie gehen in den Angriff. Mir ist wichtig, dass ich meine Würde bewahre und meine Performance im Griff habe. Ich möchte Menschen nicht angreifen, selbst wenn sie etwas gesagt haben, das mich verletzt.
Wie gehen Sie damit um, dass Sie durch Ihre Arbeit auch immer wieder mit Vorurteilen und Rassismus konfrontiert werden?
Wir sind noch nicht an dem Punkt, wo alle Bescheid wissen über die Geschichte von Sinti und Roma in Deutschland. Das ist auch ein Bildungsproblem. Ich kann mir den Luxus noch nicht erlauben, nicht mehr darüber zu sprechen. Ich muss darüber reden, weil ich glaube, so wie ich diese Geschichte erzähle, ehrlich und unverblümt, können die Menschen damit arbeiten. Ich will Impulse setzen. Was die Menschen am Ende daraus machen, ist ihr eigener Weg. Ich kann sie nur bitten, auf diesen Weg der Politisierung zu gehen.
Aber viele beharren auf Aussagen wie: Das haben wir immer schon so gemacht oder gesagt.
Sie haben nicht die Notwendigkeit, sich damit auseinanderzusetzen. Und es gibt ja auch genügend Echokammern, die ihnen sagen: Hey, ist doch kein Problem, das Z-Wort zu verwenden. Aber wenn wir Gruppen damit verletzen, die Genozide durchlebt haben, die bis heute in der Arbeitswelt, im Gesundheitswesen, in Kunst, Kultur, Bildung und auf dem Wohnungsmarkt keinen Zugang haben und mit Existenzängsten in Deutschland leben, können wir keine Witze darüber machen und solche Wörter benutzen.
Es ist erst zwei Jahre her, dass in der WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ weiße Menschen einhellig die Meinung vertraten, dass es kein Problem sei, von einem „Z-Schnitzel“ zu sprechen. Will man da nicht hinschmeißen?
Nein, das nicht. Die waren einfach hohl. Wenn große Fernsehsender so etwas machen, ist es tragisch, aber das zeigt ja auch, wie die Menschen in vermeintlich sicheren Räumen über solche Themen diskutieren. Das war ein ziemlich guter Beweis dafür, wie krass Rassismus gegenüber Sinti und Roma gebilligt wird.
Sie leben in Köln. Die Stadt rühmt sich ihrer Offenheit. Sie aber mussten als Kind hier Hass und Ablehnung erfahren. Ist Köln gar nicht so tolerant, wie es von sich selbst denkt?
Ich glaube, man schmückt sich halt gern damit. Ich habe Köln nicht als tolerante Stadt erlebt, ich habe auch die queere Community in bestimmten Epochen meiner Jugend nicht als weltoffen erlebt. Im Gegenteil, ich habe dort viel Gewalt, Ausgrenzung und Rassismus erfahren. Für bestimmte Menschen kann Köln eine sehr offene, tolerante Stadt sein. Aber für viele andere Gruppen bedeutet Köln auch sehr viel Kampf.
Wie haben Sie es eigentlich geschafft, bei den vielen Angriffen kein Menschenfeind zu werden?
Ich glaube, all das Zynische und Böse zu reproduzieren, das man erlebt hat, kostet viel mehr Kraft. Schauen Sie sich doch mal Rassisten an. Glücklich sehen die nicht aus. Hass macht hässlich. Wenn du mit Boshaftigkeit durch die Welt gehst, wird es aus dir keinen feinen Menschen machen, weder innerlich noch äußerlich. Im Unterbewusstsein habe ich schon immer verstanden, dass ich nicht das Problem bin. Und natürlich habe ich auch viele schöne Erfahrungen mit Menschen gemacht. Ich habe viel Mist erlebt, aber eben auch ganz viel Liebe, Zuneigung und Support.
Wie gehen Sie damit um, dass eine rassistische, queerfeindliche Partie wie die AfD gerade so stark ist?
Wir sind die Mehrheit, nicht diese Partei. Deutschland ist nicht die AfD. Wir brauchen einen gesunden Aktionismus. Das kann bedeuten, auf die Straße zu gehen. Es kann aber auch bedeuten, die richtigen Bücher zu lesen und sich mit Partizipation, Inklusion und antirassistischem Denken und Verhalten auseinanderzusetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Land demokratisch und pluralistisch ist und bleibt. Ich bin hier geboren, und ich werde nicht zulassen, dass diese Menschen die Mehrheit werden.
Welches Verhältnis haben Sie zum Deutschsein?
Ich liebe es, zu sagen, dass ich deutsch bin. Mein Deutschsein ist etwas sehr Individuelles. Das ist für mich nicht mit Hautfarbe verbunden. Für mich ist Deutschsein die deutsche Küche, die deutsche Sprache. Ich liebe es, Deutsch zu sprechen. Für mich persönlich ist es eine der reichsten Sprachen, die ich kenne, und ich kenne einige Sprachen. Und ich liebe Schlager. Ich bin mit der Musik groß geworden: Marianne Rosenberg, die selbst eine Sintiza ist, oder Drafi Deutscher, ein Sinto. Deutschsein ist für mich aber auch eine gewisse Form von Verbindlichkeit. Ich habe aus der Roma-Kultur und aus der deutschen Kultur das Beste genommen.
Gianni Jovanovic (45) ist Autor, Aktivist und Unternehmer. Er setzt sich für die Rechte von Sinti und Roma und der queeren Community ein. Mit 14 Jahren verheirateten ihn seine Eltern. Mit 16 wurde er zum ersten Mal Vater, mit 17 zum zweiten Mal. Mit Anfang 20 hatte er sein Coming Out und verließ seine Frau. Er lebt mit seinem Ehemann Paul in Köln. Zurzeit ist er als Co-Moderator und Juror in der Show „Drag Race Germany“, die bei Paramount+ zu sehen ist.
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