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Selbstversuch in CoronazeitenWie gelungen kann ein Party-Exzess vom Stuhl aus sein?

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Der Kölner DJ Denis Stock­hau­sen legt sich via Stream ins Zeug, unser Autor gerät in Ekstase.

  1. Am Samstagabend hat sich unser Autor via Leinwand die Party aus dem Kölner Gewölbe ins Wohnzimmer geholt.
  2. Wie fühlt sich das virtuelle Kölsch-Trinken an? Wie gelungen kann ein Exzess vom Stuhl aus sein? Ein Selbstversuch in Coronazeiten.

Köln – Alles fließt derzeit. Beziehungsweise streamt. Musiker geben Konzerte aus ihren Schlafzimmern. Gläubige empfangen die Eucharistie via Youtube. Sir Patrick Stewart trägt jeden Abend ein Sonett vor. Und die einschlägige Plattform Pornhub schaltet ihren Premium-Zugang für alle erotisch Ausgedürsteten frei. Der völlige Stillstand des öffentlichen Lebens hat uns vor die Monitore gebannt, wo wir uns gegenseitig mittels bewegter Bits der Tatsache versichern, dass wir noch da sind.

Zum Beispiel Denis Stockhausen. Der DJ steht hinter seiner Kanzel, kein Gott, aber doch ein Stellvertreter auf Erden. Er winkt, lächelt, klatscht in die Hände, hält Plattenhüllen in die Kamera, nimmt einen Schluck aus der Pulle. Hinter ihm pulsieren Animationen, öffnen sich Blüten aus Licht. In den oberen Ecken des Bildes leuchten orange angestrahlt die Lautsprecher, an denen man zweifelsfrei das Gewölbe am Kölner Westbahnhof erkennt, Orgon-Hörner aus dem Hause Martion.

Mein letzter Besuch im Gewölbe ist mindestens anderthalb Jahre her. Jetzt bin ich zwar immer noch nicht da, dafür residiert der Club in meinem Wohnzimmer. Unter https://culture-stream.cologne/ kann man derzeit DJ-Sets, Konzerte und noch manches andere aus Kölner Clubs, Konzerthallen und Theatern live streamen. Vor allem sollte man spenden, ob man sich nun ein virtuelles Kölsch für 2,50 Euro bestellt, oder für 10 Euro „großen Applaus“ bezeugt. Denn die Massenquarantäne trifft die kleinen Kulturorte besonders hart.

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Was nicht heißt, dass sich allein mit gutem Willen Partystimmung erzwingen lässt. Dabei habe ich alles versucht: Den Live-Stream auf die Leinwand gebeamt, so dass der DJ in Lebensgröße zum Teil unserer kleinen Virengemeinschaft wird (er darf sogar im Haus rauchen). Freunde überredet, gleichzeitig einzuschalten, um dabei über die Musik und dies und das zu chatten. Alle Lichter ausgemacht und die Kinder, denen das etwas peinlich ist, zum Tanzen überredet. Social disdancing.

Trotzdem, ein Abend, an dem man kaum den Hintern hochbekommt und unentwegt auf die DJ-Kanzel starrt, zählt nicht gerade als gelungener Exzess. Wo bleibt das Bier zu viel? Das bescheuerte, über die wummernde Bassdrum gebrüllte Gespräch mit der Grußbekanntschaft? Der Schweiß anderer Menschen? Dabei legt sich Denis Stockhausen echt ins Zeug, baut sogar „Rhythm of the Night“ in sein Set ein. Vom Eurodance-Projekt Corona.

Schichtwechsel. Jetzt übernimmt Jonathan Kasper. Er reinigt die Regler sorgfältig mit einem Desinfektionstuch. Inzwischen haben rund 130 Vereinzelte den Stream angewählt, die Übertragung ruckelt. Gemeinschaftsgefühl will sich nicht einstellten. Ich lausche noch ein wenig, dann treibt mich die Neugier weiter. Was wohl die anderen streamen?

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Der Kölner DJ Denis Stockhausen

Aus Hamburg sendet der Club Molotow. Das Bild sieht nach Gemeindedisko aus, inklusive Billig-Lightshow auf dem Pult. Die Musik ist dumpfeste Popsoße aus der schlechten Hälfte der 80er Jahre. Bloß weg hier. Berlin streamt aus einer neongrün erleuchteten Kachelnische, könnte eine öffentliche Toilette sein. Der DJ heißt Tommy Four Seven und legt die reine Lehre auf, hämmert das ganz harte Techno-Brett. Dafür ist es eindeutig zu früh. Ich habe weder Nebelmaschine noch Drogen zur Hand, das letzte Nogger im Eisschrank nicht mitgezählt.

Mischlingshund vor der Kamera

Und der Rest der Welt? Das MoMA PS1 in Queens, New York bietet gleich drei verschiedene DJ-Streams an, alle aus den jeweiligen Apartments der Auflegenden. Heimlicher Star im Stream von Boston Chery ist ihr großer Mischlingshund, der vor der Kamera Männchen macht und — täuschen mich meine Augen? — zur Musik des Frauchens mittanzt. Auf dem Live-Videostreaming-Portal Twitch läuft ein Benefiz-Festival, bei dem allerdings die am rechten Bildrand einlaufenden grenzdebilen Emoji-Kommentare viel unterhaltsamer sind, als die Auftritte der eher unbekannten Musiker und das endlose Gequatsche dazwischen.

Also zurück ins Gewölbe, wo Marcel Janovsky gerade Jonathan Kaspar abgelöst hat. Wie angenehm die elektronische Musik ist, die jetzt mein Quarantänezimmer erfüllt. Abstrakt und doch melodisch, sanft treibend, aber nicht niederknüppelnd. Es gibt ihn also wirklich, den viel beschworener Sound of Cologne. Ich fühle mich sofort heimisch. Immerhin das hat der Clubabend auf dem Sofa gebracht: Die Erkenntnis, dass man am Ende tatsächlich in der richtigen Stadt lebt.