Der Hype um die britische Band, die mit ihrer Musik dem Gott des Schlafs huldigen will, ist riesig. In Köln zeigt sich, woran das liegt.
Sleep Token in KölnAusverkauftes Palladium wird zur Ritualstätte für „Baby Making Metal“
Wer mit voller Überzeugung sein Leben dem Glauben widmet, der zahlt in der Regel einen hohen Preis. Die eigenen Bedürfnisse, Gedanken und Emotionen müssen dem Bekenntnis zu einer transzendenten Macht weichen. Es bestimmt die eigene Identität.
Für Vessel ist es der Schlaf. Eine altertümliche Gottheit, die das Sein eines jeden Menschen bestimmt. Mit Träumen oder Albträumen. Vessel, ein schlaksiger, hochgewachsener Mann in schwarzer Robe, mit schwarzer Farbe auf der Haut und einer weißen Maske mit roter Rune, ist genau das, was sein Name auf Englisch bedeutet. Ein Gefäß für die Botschaft seiner Gottheit.
Die will er mit seiner Band Sleep Token verbreiten. Zumindest ist das die Geschichte der britischen Gruppe, die allgemein bekannt ist. Wer hinter dem Sänger und gleichzeitig musikalischen Schöpfer oder seinen ebenfalls maskierten und nur mit römischen Zahlen benannten Bandmitgliedern steckt, ist nur den Wenigsten bekannt.
Das muss auch nicht sein. Denn wenn Sleep Token zu einem gemeinsam Ritual aufrufen, wie die Band ihre Konzerte nennt, sind innerhalb weniger Minuten keine Tickets mehr zu bekommen. Um die britische Gruppe hat sich in nur sechs Jahren seit Gründung neben dem Hype auch ein regelrechter Kult entwickelt. Das zeigt sich auch am Montagabend (11. Dezember) im ausverkauften Palladium in Köln. Vessel und Sleep Token müssen kein Wort sagen – werden sie in eineinhalb Stunden auch nicht – sondern lassen einzig ihre Musik für sich sprechen, um die rund 4000 Menschen in den Bann zu ziehen.
Sleep Token liefern im Palladium eine Mischung aus Metalcore und R’n’B
Bei dem Image der Briten wäre musikalisch eine Mischung aus Geschrei, Blastbeats und verzerrtem Gitarren-Geschrammel zu erwarten. Sleep Token erfüllen diese Erwartungen auch, aber sie sind nur ein Bestandteil ihrer alle Genre-Grenzen überschreitenden Musik. Das zeigt gleich der erste Song des Abends, „Chokehold“, der auch ihr in diesem Jahr erschienenes Album „Take Me Back To Eden“ eröffnet.
Vessel singt begleitet von atmosphärischen Synthesizern im Hintergrund über seinen Glauben an den Schlaf. Die Gottheit hält ihn im Würgegriff. Wie der Prophet wiederum das Publikum im Palladium. Dann explodiert Sleep Token: Eine tief gestimmte, achtsaitige Gitarre und ein wuchtiges Schlagzeug verpassen der Hingabe, die der von drei Backgroundsängerinnen unterstützte Prophet in Köln präsentiert, Substanz.
Sleep Token bedient sich dieser Formel immer wieder in ihrer Musik. Dabei zeigt primär Vessel, der ganz eindeutig die Hauptfigur des Rituals ist, sein musikalisches Talent. Etwa in „Ascensionism“: Zunächst eine Piano-Ballade über die Verletzlichkeit, die die Hingabe zur Schlaf-Gottheit mit sich bringt. Der Song wandelt sich weiter zu einem elektronischen 808-getriebenen Beat, über den Vessel fließend zwischen Rap und R’n’B-Gesang wechselt. Zum Finale wird durch einen Breakdown mit Gitarre und Schlagzeug die komplette Band wieder zusammengebracht.
Viraler TikTok-Song überrascht mit Funk-Einlage
„The Summoning“ wiederum dreht diese Formel um. Es ist der wohl bekannteste Titel der Briten, mit allein 84 Millionen Streams auf Spotify. Als in Köln die ersten Töne des Songs erklingen, gibt es Jubelschreie aus der Menge. Obwohl er als generischer, moderner Metalcore-Song beginnt. Das Palladium verliert sich passend dazu in Moshpits und Headbanging.
Wie sich herausstellt, ist das alles nur ein sehr aggressives Vorspiel. Für eine sinnlich klingende Funk-Passage. Vessel singt mit voller Kraft von einer Beziehung zu einer Frau, deren Sinn er infrage stellt. Und das Publikum liegt sich, meist als Pärchen, in den Armen. Diese überraschende Einlage ging in diesem Jahr gerade auf TikTok viral, was zum Erfolg der britischen Band maßgeblich beigetragen haben wird.
Band-Mythologie ist für Fans von Sleep Token eher zweitrangig
Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Band zukünftig noch größer werden wird. Das dürfte daran liegen, dass Sleep Token das schafft, was vielen Bands mit Masken und Kostümen nicht gelingt – abseits des Optischen musikalisch interessant zu sein und sich neu zu erfinden. So langsam bewegen die Briten sich schon in Richtung Arena-Level – ihr größtes Ritual werden sie am Samstag in der ausverkauften Londoner Wembley Arena halten.
Die Bühnenpräsenz dafür hat Sleep Token auf jeden Fall: In Köln sitzt jeder Ton von Vessel und seinen Backgroundsängerinnen, Gitarre und Schlagzeug haben die nötige Präsenz im Sound, der durch – für Produktionen dieser Art durchaus üblich – Samples gekonnt erweitert wird. Eine überragende Lichtshow schafft eine Szenerie, die zum Image passt.
Der Mythos um eine altertümliche Schlaf-Gottheit und die Geheimniskrämerei wirkt zwar etwas affektiert, aber vielleicht geht es auch nur darum, der Musik mehr Raum zu geben. Der Glaube scheint für den Großteil der Fans zumindest keine größere Rolle zu spielen. Zwar sind im Kölner Palladium einige von ihnen mit bemalten Gesichtern wie Vessel zum Ritual erschienen, es ist aber die Minderheit, und sie erwecken auch nicht den Eindruck, als ob sie zum Schlaf beten. Den meisten Fans geht es um die Musik – für die sie übrigens einen eigenen Begriff geschaffen haben: „Baby Making Metal“.