Im neuesten Polizeiruf „Du gehörst mir“ stiehlt eine Frau einer Mutter ihr Baby auf offener Straße. Es ist nicht der ganz große Kracher nach der Sommerpause, aber ein solider Thriller.
So war der PolizeirufSelten war Mutterliebe so aufdringlich
Selten wird Zivilcourage so stark bestraft wie im Fall von Lana Stokowski (Hannah Schiller). Die junge Mutter ist gerade mit ihrem Kinderwagen unterwegs, als sie bemerkt, dass ein Mann eine Skaterin zusammenstaucht und körperlich angeht. Stokowski geht sofort dazwischen. Als sie sich dann wieder zu ihrem Baby umdreht, ist es samt Kinderwagen weg.
Sie hat auch schnell einen Verdacht, wer der Täter sein könnte: Christian Nowak (Max Hemmersdorfer). Die verzweifelte Mutter erklärt Hauptkomissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen), dass Nowak sie schon eine ganze Weile gestalkt hatte und einmal sogar bei ihr einbrach, als sie sich kurz einen Kaffee holen ging. Nowak soll ihr ein Foto des Säuglings geschickt haben, eine unverhohlene Drohung.
Erste Folge Polizeiruf 110 nach der Sommerpause
Doch während Brasch Nowak verhört, der naturgemäß alles abstreitet, kommt die wahre Entführerin des Babys Zuhause an - Inga Werner. Offenbar suchte sie mit der Entführung vor allem ihr Mutterglück. Zu Hause hat sie alles, was man für ein Baby braucht. Sie versucht dem Kind Milch zu geben, sein Schreien zu beruhigen. Nach einer Weile gibt sie dem Baby eine Flasche und kann es so besänftigen.
Zu allem Überfluss ist Inga Werner Kriminalrat Uwe Lemps (Felix Vörtler) Nachbarin. Der Ermittler, der eigentlich für ein Sabbatical außer Landes reisen will und sogar schon ein Taxi bestellt hat, hilft der Entführerin ungewollt, indem er ihren Kinderwagen die Treppe hochträgt. Als er bemerkt, dass das Baby eine andere Haarfarbe hat als Inga Werners eigentliches Kind, greift Werner ihn mit einem Metallschläger an. Sie zertrümmert erst seine Knie und schlägt ihn dann bewusstlos.
Kriminalrat Uwe Lemp gerät in „Du gehörst mir“ in die Gewalt einer Entführerin
Nachdem Lemp aufwacht, entsteht eine interessante Dynamik. Trotz mehrerer Fluchtversuche entwickelt Werner Sympathie für ihn, kümmert sich um seine Verletzungen und allmählich kommen die beiden miteinander ins Gespräch. Lemp wägt ab zwischen verschiedenen Fluchtstrategien und erkennt immer mehr, dass Freundlichkeit seine beste Chance ist.
Brasch wiederum ist schwer damit beschäftigt, Nowak zu entlarven. Die Beziehung zwischen Stokowski und Nowak scheint komplizierter zu sein, als es zunächst den Anschein hat, denn auch Lana suchte Nowak vor kurzem für zwanglosen Sex auf. Zudem mutmaßt Brasch, dass Nowak auch als Stalker nicht der Entführer sein muss. Die Ermittler weiten die Suche aus.
In einer Pressekonferenz, die im Fernsehen ausgestrahlt wird, bittet Stokowski unter Tränen die Entführerin, ihr das Baby wiederzugeben. Nowak, der die Konferenz im Fernsehen sieht, kann es kaum ertragen und ruft Stokowski an. Er hat Werner bei der Entführung beobachtet und verspricht Stokowski, ihr das Baby zurückzubringen. Die Polizei schafft es indes nachzuweisen, dass Nowak zur Entführungszeit am Tatort war: Er ist auf einem Film zu sehen, den die junge Skaterin zur Zeit des Geschehens machte.
Die Auflösung des Falls
Lemp hat sich in der Zwischenzeit genug mit Werner angefreundet, um ein Glas Wein zu bekommen und mit ihr fernzusehen, deswegen sehen die beiden zufällig die Pressekonferenz. Er versteht sofort, dass Inga Werner die Entführerin ist. Sie berichtet ihm, dass sie ihr eigenes Baby in einem Urlaub in Finnland verloren hat, als es nur wenige Wochen alt war. Doch Lemps Versuche, sie zur Rückgabe des Babys zu überreden, sie mit einem Mittel in ihrem Drink zu betäuben oder sich mit Gewalt zu befreien, scheitern alle.
Am Ende kommt es zum Clash der Täter: Der Stalker bricht bei Werner ein, um für Stokowski das Baby zurückzuholen. Doch auch er wird von Werner niedergestreckt und anschließend erstochen. Es sieht schon fast so aus, als ob Werner sich mit dem Baby absetzen kann, da kehrt Brasch in Lemps Wohnung ein - direkt über der Wohnung der Entführerin - um dort Lemps Katze zu füttern.
Nach einer verdächtigen Begegnung mit Werner scheint Brasch noch nichts zu merken, aber als sie beim Taxi-Unternehmen erfährt, dass Lemp nie in den Urlaub gefahren ist, dringt sie in die Wohnung ein und kann Lemp befreien. Werner gelingt zwar zunächst die Flucht, doch Brasch kann sie an ihrem Wagen stellen. Anstatt ihr sofort das Baby zu entreißen, lässt Brasch sie es ein letztes Mal stillen.
Fazit zum Magdeburger Polizeiruf
Die Folge zeigt ein eindrückliches Charakterporträt einer Mutter, die zwar ihr eigenes Kind verloren hat, nicht jedoch ihr Bedürfnis, Mutter zu sein. Mit der guten Kameraführung kommt man dieser Figur sehr nah, die man aufgrund ihrer schrecklichen Tat eigentlich von sich stoßen möchte, besonders, wenn sie dem entführten Baby ihre Intimität aufzwingt. Als sie am Ende Lemp schildert, wie sie ihr eigenes Kind verloren hat, bekommt man - zumindest für einen Moment - Mitleid für Inga Werner. Auch wenn das Mitleid gegenüber dem Baby das schnell überschattet.
Highlight der Folge ist der Weg dorthin. Das Grundbedürfnis nach Mutterschaft weitet sich auf Uwe Lemp aus, für den Inga Werner ebenfalls Entführerin und Versorgerin spielt. Sie bildet einen interessanten Kontrast zu Lana Stokowski, deren Fürsorgerollen ihr förmlich aufgezwungen werden. Sie wurde ungeplant schwanger, sie hat einen Stalker, der sie zur eigenen sexuellen Erfüllung verfolgt, und selbst eine beiläufige Begegnung mit einem Teenager auf der Straße bringt sie in die Rolle der Beschützerin.
Braschs Empathie ist wichtig, um die harschen Vorwürfe an eine überforderte junge Stokowski zu dämpfen. Viel Spannung kommt bei ihrer Ermittlung gegen Nowak aber nicht auf, weil man sie von Anfang an auf der falschen Spur beobachtet. Im Vergleich mit Uwe Lemp, mit dem man jede Sekunde mitfiebert, fällt der Rest der Folge etwas ab. Stokowski hätte mehr Bildschirmzeit auch nicht geschadet, um das Thema Stalking gleichwertig zu behandeln und nicht als Nebenkriegsschauplatz eines anderen Verbrechens.
Der neueste Magdeburger Polizeiruf wird wohl diejenigen enttäuschen, die nach der langen Sommerpause einen richtigen Kracher erwartet haben. „Du gehörst mir“ ist aber alles in allem ein solider TV-Thriller.